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Wofür Redaktionen KI einsetzen sollten

Geschrieben von Petra Schwegler | 23. März 2023

 

Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) hat kometenhaft den Aufstieg aus der Nerd-Ecke auf die große Bühne geschafft. Seit die Microsoft-Beteiligung OpenAI mit ChatGPT im November 2022 den Chatbot vom Dienst von der Leine gelassen hat, testet die Kommunikationsbranche den Einsatz von KI in der täglichen Arbeit. Nun zeichnet sich mehr und mehr ab, welche Auswirkungen selbstlernende Dialogsysteme auf die Arbeit von Redaktionen haben könnten. Dabei kommt es auf den Einsatzbereich an.

 

Die Frage, ob KI in Redaktionen zu Entlastungen oder Entlassungen führen wird, stellt sich die Branche seit geraumer Zeit. Jetzt, einige Monate nach dem globalen Rollout von ChatGPT und unzähligen Tests mit der kostenfreien Betaversion des Bots, dürften einige zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie der Debattenmonitor der NRW-Medienanstalt LfM im Sommer 2021:


Es gibt Beispiele für Entlassungen durch den Einsatz von KI-Anwendungen. Allerdings ist davon auszugehen, dass KI-basierte Verfahren menschlichen Journalismus nur in kleineren Teilbereichen ersetzen können und ansonsten eher ergänzend zum Einsatz kommen. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen maschineller Automatisierung und menschlichen Fähigkeiten zu schaffen, bleibt eine Gestaltungsfrage, bei der es darum geht, einen sinnvollen und verantwortungsbewussten Umgang mit KI zu fördern und in die journalistische Ausbildung und den Arbeitsalltag zu integrieren.

 

Wo stehen wir in Sachen KI?

Die zunächst veröffentlichte Fassung von ChatGPT kann mittels NLP (Natural Language Processing) geschriebenen Text verstehen und erzeugen. Mit Veröffentlichung fußte das GPT-3-Modell des US-Entwicklers OpenAI auf 175 Milliarden Parametern, um Strukturen von Sprache zu inhalieren und zu imitieren. Das GPT-4-Modell wird nun ausgerollt; es wird auf 100 Billionen Parametern basieren.

Die „multimodalen“ Einsatzmöglichkeiten sollen die KI-Lösungen von Microsoft noch eindrucksvoller machen. So wird es nun zum Beispiel möglich sein, dass die KI aus Texten Videos erstellt und bearbeitet. Das Vorpreschen von OpenAI hat viel ins Rollen gebracht.

Die Digitalbranche liefert im Moment reihenweise neue AI-Tools für Text, Bild, Video und gesprochenes Wort.

  • Aktuell integriert Microsoft in seine Suchmaschine Bing den Text-zu-Bild-Generator Dall-E der Beteiligung OpenAI.
  • Futuri aus dem US-amerikanischen Cleveland will mit RadioGPT die Audiobranche revolutionieren. Dieses Programm kann eine komplette Radiosendung moderieren. Es kann aber auch Posts für soziale Netzwerke und Blogs absetzen oder andere Inhalte für digitale Plattformen in Bezug auf die ausgestrahlten Inhalte in Echtzeit generieren und veröffentlichen. Die Ankündigung von Futuri formuliert ein Ziel für RadioGPT: Der Dienst soll bestehende Radiosender „unterstützen“.
  • Das Münchner Radio Gong 96,3 präsentiert eine KI, mit der Kunden ihre Werbespots kreieren können. Davon sollen vor allem die lokalen Unternehmen profitieren, für die Radiowerbung bisher zu aufwändig und zu teuer war.

 

Was kann eine KI für eine Redaktion leisten?

Ob KI künftig eingesetzt wird, steht nicht mehr zur Diskussion. Jetzt geht es um das Wie. Zunächst einmal müssen Redaktionen ihre Arbeitsprozesse und Strukturen genau kennen. Eine KI kann bei notwendigen, aber eher ungeliebten (Routine-)Tätigkeiten unterstützen. Der Einsatz kann helfen, die Qualität zu steigern, schneller zu werden, die Kosten zu senken und sich auf die eigentlich journalistische Arbeit zu konzentrieren. Dafür ist Weiterbildung wichtig.

Einige Beispiele für den Einsatz:

  • Nachrichten- und Sportticker, Ratgeberthemen, Dauerbrenner: Solche Service-Inhalte wiederholen sich regelmäßig. Die KI kann auf Basis von Daten aus dem eigenen Archiv, Agenturmeldungen, Wetterdaten oder Sportergebnissen neue Artikel und News erstellen.
  • Einig sind sich Branchenbeobachter:innen, dass der Einsatz von KI vor allem die Suche im Internet revolutionieren wird. Die Formel „KI und Voice, das neue Google“ hat den Suchriesen entsprechend aufgeschreckt und zur Präsentation eigener Anwendungen getrieben. Schon stellt Google seinen KI-Chatbot Bard in USA und Großbritannien mehr Menschen zur Verfügung. Dort können Interessierte sich auf eine Warteliste für eine Beta-Testphase eintragen. Auf jeden Fall ist eine KI, die große Textmengen auswerten und in Beziehung zueinander setzen kann, ein spannendes Tool, das die Recherche in Redaktionen unterstützen kann.
  • Daneben ist der Algorithmus dazu in der Lage, Texte zu kürzen und zu überarbeiten. Auch funktioniert ChatGPT beim Korrigieren von orthografischen und grammatischen Fehlern sowie falscher Interpunktion sehr gut. Doch inhaltlich sollten Schlussredaktion und Chefredaktion den Hut aufbehalten; eine finale Prüfung vor Veröffentlichung gilt für viele als zwingend notwendig.
  • SEO-Optimierung, Verschlagwortung, die Auswertung von Metadaten: KI könnte Redakteur:innen bei diesen notwendigen Routinearbeiten zur besseren Auffindbarkeit und Verwertung von Inhalten unterstützen. Das Ausloten, welcher Content für welche Zielgruppe geeignet ist, könnte auf längere Sicht eine Aufgabe für Menschen bleiben, wenn Redaktionen auf Glaubwürdigkeit und Transparenz setzen. Auch sollte aus diesen Gründen überdacht werden, ob automatisierte Antworten an Leserfragen ChatGPT und Co. überlassen werden sollen.

Vergessen werden darf nicht, dass KI-generierte Texte, Bilder, Videos oder Audiostücke nur so gut sind, wie die Eingabe, also das Prompting. Das will gelernt sein; so könnten in Redaktionen neue Jobprofile entstehen. Andererseits sind sich Kenner:innen einig, dass auch Jobs verloren gehen werden. Vor allem, wenn es um externe Dienstleistungen geht.

So gehörte die Bildagentur Getty zu den ersten Klägern gegen Bild-generierende KIs, die Genremotive erstellen können. Gerade Online-Redaktionen greifen für die Bebilderung von Texten auf Stock-Motive der großen Agenturen zurück. Dieses Geschäftsmodell torpedieren Maschinen wie Stability AI.

 

Und die Grenzen?

Die Künstliche Intelligenz ist so intelligent wie der Algorithmus dahinter. Er erkennt Muster und Beziehungen.

Immer weiter wird die KI mit Informationen gefüttert; noch stößt das System auf Grenzen. Die Ergebnisse sind nur so aktuell wie die Daten, auf denen die Aussagen basieren.

Eine Frage kann – mehrmals gestellt – unterschiedliche und sogar widersprüchliche Antworten erzeugen. Selbst die Entwickler:innen von OpenAI warnen vor falschen Antworten: "ChatGPT sometimes writes plausible-sounding but incorrect or nonsensical answers."

Alles „zwischen den Zeilen“ wie Ironie oder Humor stellt Stolperfallen für AI-Tools dar.

Und noch bewegen wir uns in einer Grauzone, was das Urheberrecht angeht. Redaktionen müssen also genau abwägen, wo ein KI-Einsatz Sinn hat. Ein Event im MedienNetzwerk Bayern machte deutlich: Unterstützung ja. Doch Kolumnen, Essays, Kommentare und damit jede Art von klassischer journalistischer Arbeit kann die Maschine aktuell nicht leisten.

Die größte Chance für den Qualitätsjournalismus bietet die KI dort, wo sie (hoffentlich) nicht eingesetzt wird: Beim Schreiben von hochwertigen, gut recherchierten und verständlichen Artikeln. Je größer der Anteil Fake News und maschinell erzeugtem Content wird, desto mehr wird es für Leserinnen und Leser zum Qualitätsmerkmal, wenn Content von einer verlässlichen Quelle recherchiert und aufbereitet wird.

Hans-Jörg Schmidt, Enable2grow
Fakt ist: KI wird das Internet verändern, wie wir es kennen. Es wird aber auch Grenzen geben. An diesen arbeitet unter anderem die EU-Kommission seit zwei Jahren unter dem Label „AI Act“ und auch der Deutsche Ethikrat meldet sich zu Wort. Dessen Vorsitzende Alena Buyx hat sich aktuell für eine strikte Begrenzung bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz ausgesprochen: "Der Einsatz von KI muss menschliche Entfaltung erweitern und darf sie nicht vermindern. KI darf den Menschen nicht ersetzen."

Nicht vergessen werden darf: Der Einsatz einer KI wird Redaktionen Geld kosten. OpenAI hat bereits angekündigt, dass die Nutzung von ChatGPT aufgrund der immensen Rechnerleistung nicht kostenlos bleiben wird.

 

Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 36. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.


Die Medienthemen können auch gehört werden: 
im Podcast der Medientage München. Die neue Ausgabe 103 stellt den Einsatz von KI in den Mittelpunkt.