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Addressable TV: "Befinden uns in Phase zwei"

Geschrieben von Susanne Herrmann | 26. Oktober 2021

Auf einem digitalen Markt mit internationalen digitalen Playern kann nur bestehen, wer kluge Kooperationen eingeht. Das gilt auch im Werbemarkt für Addressable TV (ATV). Das wird im Interview mit Sebastian Busse, Director Addressable TV International der Adtech-Plattform Smartclip, deutlich. Die Adtech-Plattform skizziert in ihrem aktuellen Whitepaper "Addressable TV Advertising", wo ATV in Europa heute steht.
Im Gespräch mit dem
Blog der Medientage München spricht Busse über die Komplexität der ATV-Werbung, was heute genau darunter zu verstehen ist und wo Chancen im Wachstumsmarkt Connected TV und ATV liegen.

 

Herr Busse, in Smartclip-Whitepaper schreiben Sie, ATV-Werbung nehme zwar an Fahrt auf, werde aber von Werbekunden noch nicht ideal eingesetzt. Wo hakt's?

 ATV-Werbung befindet sich noch immer in einem frühen Stadium. In Deutschland ist  Addressable TV erst seit etwa fünf Jahren auf dem Markt, davon seit circa zwei Jahren in den meisten Media-Briefings natürlicher Bestandteil. Darum fehlen an manchen Stellen noch etablierte standardisierte Arbeitsabläufe, wie der automatisierte Einkauf funktioniert und wie der Direkteinkauf der einzelnen Werbemaßnahme. Das ist völlig natürlich und fußt auf verschiedenen Gründen.

Vor allem beim Einkauf stellt sich diese Frage: Sprechen wir bei ATV über klassisches Fernsehen oder ein digitales Medium? Da sind sich die Einkäufer in den Agenturen manchmal nicht einig, weil Addressable TV – wie zuvor schon betont – , noch recht neu ist, und Kenntnisse sowie den daraus resultierenden Einsatz innerhalb der Mediaagenturen beeinflusst. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, mit unserem aktuellen ATV Whitepaper sowie in unserer alltäglichen Arbeit, beratend zu agieren, aufzuklären und technische Weiterentwicklungen aufzuzeigen. Dazu gehört auch die gerade erst angekündigte TechAlliance.

Vorbehaltlich der Zustimmung der Kartellbehörde schaffen wir gemeinsam mit Amobee das erste europaweite Angebot für den automatisierten Zugang zu Addressable-TV- und Cross-Screen-Werbung. Käufer werden die Möglichkeit haben, größere lokale und pan-europäische ATV-Kampagnen über eine gemeinsame Plattform zu buchen.

 

 Im Smartclip-Whitepaper von April 2020 kritisierten die befragten Medienfachleute unter anderem die wenig effiziente Beratung der Kunden seitens der Mediaagenturen. Hat sich das nun gebessert? 

Themen, die den Markt beschäftigen, sind Skalierungsmöglichkeiten, insbesondere der Videoformate, denn das ist die nächste Stufe, die zünden muss. Die TechAlliance ist genau der Schritt in diese Richtung. Das Ziel aller Marktteilnehmer ist es, dass die Adressierbarkeit im Bereich TV mit der Adressierbarkeit von Video gleichbedeutend ist.

Was wir den Werbekunden erklären wollen: Das alles geht nicht von heute auf morgen. Wir müssen gemeinsam in innovative Produkte und neue Formate investieren – verbunden mit dem klaren Signal, dass es funktioniert. Wir sehen das an den Budgets, die mit stetig steigender Reichweite an adressierbaren Videoformaten im OTT sowie auch im linearen TV-Bereich ebenfalls deutlich steigen. 

 

Im Whitepaper ist ebenfalls von großen Zuwächsen bei den ATV-Werbeumsätzen von Smartclip die Rede. Von welchen Summen sprechen wir hier? Zum Vergleich: Die Netto-Werbeeinnahmen 2020 laut ZAW lagen bei rund 4 Milliarden Euro für TV-Werbung linear, bei 880 Millionen für In-Stream-Video. 

Der jährliche Umsatz steigt seit Produkteinführung kontinuierlich. Von den absoluten Zahlen der Fernsehwerbung sind wir noch recht weit weg,. Ohne Frage wird sich der TV-Werbemarkt in die digitale Richtung weiterentwickeln und die Anteile der ATV-Werbeformate am Gesamtumsatz werden wachsen.

Ich persönlich schätze, dass adressierbare Werbung im linearen TV in den nächsten fünf Jahren bei rund 500 Millionen Euro in Deutschland liegen wird. Langfristig kann man davon ausgehen, dass ein Großteil der Fernseh-Budgets auf ATV-Werbung entfallen und über Einkaufsplattformen wie die TechAlliance umgesetzt werden. 

 

Sie haben es vorhin schon angedeutet: Wir brauchen auch eine klare Definition von ATV. Was ist denn in Deutschland vor allem gemeint, wenn wir von Addressable TV-Werbung sprechen? 

Etabliert wurde ATV über die Technologie HbbTV im klassischen linearen Fernsehen. HbbTV ermöglicht die Verschmelzung von digitaler Werbetechnologie mit dem linearen Fernsehkonsum. Das heißt, wir ermöglichen ATV-Werbeformate in Form der bekannten Switch-In-Formate im Content-Stream außerhalb der Werbeinsel und wir können mittels HbbTV, ebenso die klassische Werbeinsel komplett adressierbar gestalten. Das ist Phase eins.

Schon jetzt befinden wir uns in Phase zwei. Die Nachfrage seitens der Werbekunden und Sender nach zusätzlicher Reichweite auf weiteren Distributionsplattformen ist deutlich zu bemerken.  Darum findet ATV jetzt zunehmend auch auf anderen Plattformen statt. 

 

 

Was heißt das konkret? In Ihrem Whitepaper kündigen Sie an, jede Werbeplatzierung im Werbeblock adressierbar zu machen und ATV-Werbung auf OTT und IPTV auszuweiten. Können Sie das näher ausführen?

Wir sehen ja längst große Kooperationen von Unternehmen wie RTL Deutschland und ProSiebenSat.1 mit großen Plattformen wie der Deutschen Telekom und Vodafone, die aufgrund ihrer Technik mit Rückkanal adressierbare Werbung in IPTV und OTT ermöglichen. Damit befinden wir uns mit ATV noch im linearen Programm, aber auf neben HbbTV auf zusätzlichen Plattformen. In den USA, Frankreich oder Großbritannien ist das zum Beispiel der Standard; dort hingegen hat HbbTV nicht den gleichen Stellenwert oder ist gar nicht verbreitet.

Phase eins kennzeichnet den klassischen Übertragungsweg TV, Phase zwei bezieht lineares Fernsehen über die IPTV- und OTT-Plattformen mit ein. Für Phase drei bedeutet dies, dass der TV-Konsum vermehrt komplett digital über der Internet stattfindet, neben dem großen Fernsehbildschirm spielen mobile Endgeräten eine immer wichtigere Rolle. Hier wird das Genre Addressable TV-Werbung perspektivisch auch etabliert werden.

Das alles ist linearer TV-Konsum, über alle Plattformen und Endgeräte hinweg. Die nächste Herausforderung wird dann sein, wie und wo man ATV-Werbung in der On-Demand-Nutzung etablieren kann. Generell gilt: Addressable TV ist adressierbare Werbung in fernsehähnlichen Umfeldern. Die Technologie, die dahintersteckt, sollte in naher Zukunft nach Möglichkeit nur noch eine nachgelagerte Rolle spielen. Schon jetzt wechseln die Nutzer nahtlos zwischen Plattformen und Endgeräten.

 

Smartclip betrachtet ja auch verschiedene europäische Märkte. Welches Land ist ein gutes Vorbild für Deutschland?

In jedem Land ist die Fernsehlandschaft komplett anders, mit unterschiedlichen Marktteilnehmern, die das Thema ATV anders definieren und ausbauen.

Deutschland ist glücklicherweise in der Position, dass sich HbbTV stark und schnell etabliert hat. Dadurch haben die Sender selbst die Kontrolle über das Thema ATV und können ein Stück weit unabhängig agieren. Damit nimmt Deutschland, insbesondere aus Senderperspektive, selbst eine Vorreiterrolle ein. 

 

Was erwartet uns bei ATV-Werbung in naher Zukunft? 

Da kommt einiges. Der Ausbau der Reichweiten bei der Adressierbarkeit der Werbeinseln wird ein großes Thema. In Bezug auf neue Kundengruppen, sind das die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Wir investieren stark in ATV-Produkte, um den Mittelständlern, für die Fernsehen bisher kein Thema gewesen ist, eine einfache Buchung von Addressable-TV-Werbung zu ermöglichen. Das kann jetzt über speziell dafür entwickelte Einkaufsplattformen stattfinden.

Cross-Device-Targeting, die Verbindung der klassischen TV-Welt mit der Online-Welt, gibt es ja schon im Markt. Das wird bei uns weiter eine hohe Priorität haben, also Fernseh-Daten zu nutzen und Kampagnen Online zu verlängern.

Programmatic wird eine große Rolle spielen. In Deutschland ist eine entsprechende Plattform bereits durch die Kooperation von ProSiebenSat.1 und RTL mit d-force eingeführt. Ähnliche Ansätze wird man in anderen Märkten schon bald sehen. Auf gesamteuropäischer Ebene wird die partnerschaftlich ausgerichtete TechAlliance mittelfristig die Möglichkeit eröffnen, eine echte Antwort auf die US-Techgiganten anzubieten.

 

Egal in welchem Bereich, ob ATV oder Streaming, ohne Partner geht in einem globalisierten digitalen Markt nichts mehr?

Kooperationen sind die Chance für die europäischen Medienhäuser, ihre sehr starke Stellung zu behalten. Ich will das Thema nicht überstrapazieren, aber es ist nun mal Fakt, dass internationale Konzerne wie Google und Facebook den digitalen Werbemarkt kontrollieren. Fakt ist auch, dass die deutschen Medienhäuser das erkannt haben und Stärke zeigen. Wir sehen vermehrt, dass ehemalige Wettbewerber zu Kooperationspartnern werden. Das sieht man beispielsweise. im Bereich Content-Distribution, Vermarktung und man sieht es auch im Bereich der Werbetechnologie.

Genau dort setzt TechAlliance an. Die TechAlliance wird ein Europaweites Angebot für Programmatic TV darstellen, das die Unabhängigkeit der europäischen TV-Sender und Streaming-Aanbieter sicherstellt - in einem Marktplatz, der für ganz Europa entwickelt und aus Europa heraus gesteuert wird.

 

Zur Person:
Sebastian Busse ist Director Addressable TV International bei Smartclip. Er verantwortet hier seit 2012 das Thema Addressable TV (ATV) und war maßgeblich am Aufbau der größten europäischen ATV-Plattform beteiligt. Erfahrungen im digitalen Medienvertrieb und als Experte ATV und Online-Video-Vermarktungslösungen sammelte Busse unter anderem bei Digitalagenturen.
Smartclip - eine offene Adtech-Plattform für europäische Fernsehsender, Verlage und Streaming-Dienste - ist ein Unternehmen der Mediengruppe RTL Deutschland und Teil der Bertelsmann-Vermarktungsallianz Ad Alliance. Im aktuellen Whitepaper schildert Smartclip den ATV-Werbemarkt. Außerdem stellen Fall
studien, z.B. Erdinger Weißbier, Iglo, Nissan, der regionale Möbelhändler Rehmann & Söhne, mit Formatbeispielen im Whitepaper die Differenzierungs- und Targeting-Möglichkeiten vor, die ATV-Werbung bietet.

 

Mit einem ausführlichen Programm in Zusammenarbeit mit unseren Partnern MEKmedia und der Deutschen TV-Plattform wird das MEDIENTAGE Special Connect! The Future of TV am Dienstag, 26. Oktober, Teil der MEDIENTAGE MÜNCHEN sein. Dort wird Dr. Oliver Vesper, Co-Chief Executive Officer und Managing Director Media & Operations bei Smartclip Europe, über die digitale Zukunft des europäischen TV-Marktes sprechen.

DiMEDIENTAGE MÜNCHEN finden dieses Jahr vom 25. bis 29. Oktober statt. Sie stehen unter dem Motto New Perspectives. Dabei blicken wir auf die Zeit nach der Corona-Pandemie und zeigen neue Perspektiven, Geschäfts- und Arbeitsmodelle auf, die dem veränderten Medienkonsum Rechnung tragen.

 


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