Film bewegt, Fiktionales hat die Macht, Einfluss auf Menschen zu nehmen. Doch welches Bild der gesellschaftlichen und politischen Realität transportieren TV und Streaming-Angebote? Macht Künstliche Intelligenz auch fiktionale Inhalte zum Spielball politischer Meinungsprägung? Die Geschäftsführerin von ZDF Studios, Karoline Meichsner-Sertl geht im Interview auf die Wichtigkeit von TV-Events für die öffentliche Debatte zur deutschen Geschichte ein, auf die neuen FAST-Kanäle der Mainzer und auf Kooperationen mit Streamern. Jetzt hier im Blog und am 24. Oktober bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN 2024.
Frau Meichsner-Sertl, wie stark ist wohl der Einfluss von Medien, insbesondere von TV, auf die Gesellschaft?
Der Einfluss ist enorm und wächst analog zur Nutzungsdauer der audiovisuellen Medien. Wenn wir allerdings über TV – also unsere klassischen linearen Medien – sprechen, dann nimmt dieser Einfluss analog zum zurückgehenden Anteil am Medienkonsum langsam ab.
Bestimmte Events im linearen TV gehören jedoch weiterhin zu kollektiven Ereignissen der Gesellschaft, wie etwa Live-Sportevents oder große fiktionale Mehrteiler, die dort zuerst zu sehen sind.
Wie ist es dann zu bewerten, dass laut Produzentenallianz inzwischen deutlich weniger Filme produziert werden, in denen deutsche Geschichte erzählt wird. Welche Folgen hat das für die politische Debatte und die kulturelle Diskussion in Deutschland?
Ein großes TV- beziehungsweise Medien-Event, das tatsächlich eine massive öffentliche Debatte zur deutschen Geschichte ausgelöst hat, war "Unsere Mütter unsere Väter".
Ich glaube allerdings, dass weniger die Menge an historischen Stoffen, als die Art des Diskurses Folgen für die politische Debatte in Deutschland hat. Und dieser Diskurs wird eben zu großen Teilen durch die Polarisierung in den sozialen Medien dominiert.
Wäre jetzt nicht die Zeit, in der man diesen Bereich unbedingt aufstocken sollte?
Was man aufstocken sollte, sind die Flächen, auf denen eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit den Mechanismen von Macht, Gefolgschaft und Verantwortung in einer Gesellschaft auch anhand von historischen Ereignissen aufgezeigt werden.
In einer Situation mit Überangebot an Content und Meinungen auf den verschiedensten Plattformen ist es eine große Herausforderung, einen differenzierten Diskurs zu führen.
Und wie ist das Thema KI zu bewerten? Kann auch Fiktionales zum Mittel politischer Manipulation werden?
Im fiktionalen Bereich wird KI noch eine Weile brauchen bis fertige Produktionen eine Qualität erreichen, bei denen sie mit dem klassischen Fernsehstück mithalten können. Das hat uns zuletzt die Dokumentation "Das KI Manifest" vor Augen geführt.
Im Nachrichtenbereich ist der Missbrauch dagegen ja schon reiflich bekannt. Und die politische Meinungsprägung sehen wir auch jenseits von KI in den sozialen Medien – da kann die KI allerdings leicht zum Brandbeschleuniger werden. Aber nochmal, das sehe ich in den nächsten drei bis vier Jahren noch nicht im fiktionalen Bereich.
Wie ändern sich die Rahmenbedingungen zur Herstellung, Finanzierung und Vermarktung von Film durch die weltweiten politischen Veränderungen?
Zunächst leiden in vielen europäischen Ländern die öffentlich-rechtlichen Programmanbieter an einer Reduktion ihrer Finanzierung. Da gibt es jetzt zwar großartige Kooperationen, wie die "New 8" mit Sendern aus Skandinavien, Belgien und den Niederlanden. Aber alleine schaffen es viele Sender nicht mehr, ihr Produktionsvolumen aufrecht zu erhalten.
Für das Lizenzgeschäft sind das nur vordergründig gute Nachrichten, denn auch hierfür fehlen den Sendern oft die Mittel. Gleichzeitig gehört es zu den veränderten Rahmenbedingungen, dass durch die Konsolidierung der US-amerikanischen Marktteilnehmer neue Partner für die Finanzierung zur Verfügung stehen.
Aber Konsolidierungen führen auch zu einer Verdichtung von möglichen Finanzierungspartnern auf dem internationalen Markt. So sind zum Beispiel im non-fiktionalen Bereich durch die Fusion von Warner und Discovery wichtige Finanzierungspartner für kleine und mittlere Produktionsfirmen weggefallen.
ZDF Studios bringt Fiktionales weltweit an Sender und Streamer
Bei Ihrem Amtsantritt sprachen Sie davon, den internationalen Format-Vertrieb stärken zu wollen. Was konnten Sie bereits erreichen?
Wir haben erst kürzlich das Format "Wetten, dass..?" an ITV verkauft. Schwierig bleibt dagegen der Format-Vertrieb im fiktionalen Markt, wo die Herausforderung darin liegt, Themen wie deutsches Urheberrecht oder die nach deutschem Recht kaum vorhandene Schutzfähigkeit mit den berechtigten Interessen internationaler Sender beziehungsweise beauftragenden Streamer in Einklang zu bringen. Aber wir gehen das weiterhin systematisch an und lassen nicht locker.
Wie sieht es mit Kooperationen mit Streaming-Partnern aus? Inzwischen hat ZDF Studios bereits verschiedentlich Rechte an Produktionen von Netflix & Co erworben. Soll dieser Bereich ausgebaut werden?
Mit den großen Streamern und Anbietern tauschen wir uns immer wieder über gemeinsame Erwerbe mit einem klugen Windowing für die Senderechte aus. International klappt das sehr gut, wenn ich alleine an "Surviving Summer" mit zwei Staffeln für Netflix denke.
In Deutschland gilt es für uns natürlich auch, die Strategie unseres Mutterhauses ZDF dabei zu berücksichtigen.
Vor einem Jahr hat ZDF Studios zusammen mit Samsung TV 20 Themen-Channels, sogenannte Fast TV Sender gestartet, darunter "Bares für Rares" Wie ist die Resonanz?
Hervorragend. Wir haben inzwischen die Kanäle Terra X, Bares für Rares und ZDF kocht! aufgesetzt, die einen zuverlässigen Beitrag zu unseren Einnahmen liefern und arbeiten an kreativen Ideen für weitere Launches.
Derzeit ist FAST vor allem ein Volumen-Geschäft mit Katalogware. Die Auswertung hochpreisiger Einzeltitel sehen wir bis auf Weiteres nicht. Wir betrachten FAST-Channels als eine echte Opportunität. Wie sich dieses Segment langfristig entwickeln wird, bleibt zu beobachten.
Zur Person:
Karoline Meichsner-Sertl ist Geschäftsführerin von ZDF Studios. Nach der juristischen Ausbildung in Hamburg und Berlin begann sie ihre berufliche Laufbahn 1993 als Juristin bei ARTE Deutschland, bevor sie 1995 als Leiterin Akquisition und Recht zur Degeto Film wechselte. Von 2000 bis 2002 war Karoline Meichsner-Sertl stellvertretende Leiterin der Rechtsabteilung der EM.TV & Merchandising AG. 2002 übernahm sie bei der Deutschen Welle die Leitung der Hauptabteilung Strategie & Marketing. Ab Oktober 2006 betreute sie im Justitiariat die rechtlichen Fragen der Bereiche Vertrieb und Neue Medien.
Bei ZDF Studios begann Meichsner-Sertl 2009 als Leiterin der Rechtsabteilung, bevor sie 2019 kaufmännische Geschäftsführerin wurde. In dieser Funktion verantwortet sie die Bereiche Finanzen, Recht & Verträge, Personal, Content Operations and Localization, Beteiligungsstrategie sowie Digital Innovation.
Die MEDIENTAGE MÜNCHEN 2024 finden vom 23. bis 25. Oktober unter dem Motto "Realities" bei der Serviceplan Group im House of Communication in München statt.
Dabei blicken wir im Rahmen zahlreicher Sessions auch auf die Verantwortung der Medien. Denn eine informierte Öffentlichkeit bildet die Grundlage für eine funktionierende Demokratie. Über Macht und Einfluss von Film auf die Gesellschaft wird unter anderem Karoline Meichsner-Sertl sprechen. Tickets sind ab sofort erhältlich!
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