Mit gesellschaftlich relevanten Inhalten Feuilletonisten ebenso wie das Publikum begeistern und dabei auch noch Preise abräumen? Die A+E-Familie in Deutschland macht es vor. Sie hat sich in den vergangenen zehn Jahren einen Namen als Quelle für TV mit Tiefgang gemacht. Das aktuelle Stück "The Invisible Line – Die Geschichte der Welle", die erste Eigenproduktion des neuen A+E-Abosenders Crime + Investigation, prägte gerade eben das 11th Jewish Film Festival Munich. Welche Philosophie steckt hinter dem Ansatz der TV-Truppe? Der Blog der Medientage hat Kathrin Palesch und Emanuel Rotstein besucht.
Emanuel Rotstein, A+E Networks Germany (CR: Koch/Getty Images für A+E Networks)
In der Münchner Maxvorstadt sorgt Rotstein als Senior Director Programming für die lokalen Eigenproduktionen sowie die inhaltliche Ausrichtung der Pay-TV-Kanäle History sowie Crime + Investigation (CI). Seit Sommer 2019 wirkt Palesch an seiner Seite, als Managing Director für das Unternehmen A+E Networks Germany, das sie seit mehr als einem Jahrzehnt begleitet, zuletzt als Director Finance & Business Development für die deutsche Firma hinter dem Sender History.
Es ist ein eingespieltes Team, das im Schnitt zwei Eigenproduktionen pro Jahr und Sender anschiebt und umsetzt. Nur eine Handvoll Produktionen aus dem Haus ergänzen damit die Lizenzware aus der Library des New Yorker Mutterhauses und weiteren Lizenzgebern, wie dem ZDF. Dennoch sind es genau jene Dokumentationen, mit denen A+E Networks Germany Duftmarken setzt und Schlagzeilen über die Fachpresse hinaus macht. Mit Produktionen wie "Die Befreier" über die Befreiung des KZ Dachau durch die US-Armee oder mit "Der elfte Tag – Die Überlebenden von München 1972" hat A+E Networks Preise abgeräumt.
Der verantwortungsvolle Umgang mit Themen fürs Fernsehen erweist sich als prestigeträchtig – doch wie sieht es mit dem Erfolg beim Zuschauer aus? Und was melden die Münchner der an Rendite interessierten US-Mutter? "Unser Publikum spricht darauf an und bestätigt uns in dem, was wir machen. Wir finden Gehör beim Zuschauer, im Feuilleton und in der Politik", antwortet Emanuel Rotstein.
Kathrin Palesch, A+E Networks Germany (CR: Koch/Getty Images für A+E Networks)
Kathrin Palesch fügt die wirtschaftliche Sicht hinzu: "Wir generieren auf diesem Weg und durch die Zusammenarbeit mit bekannten Persönlichkeiten große Werte fürs Marketing und die beiden TV-Marken, die wir mit Investments in ähnlichen Bereichen gar nicht so erzielen könnten."
Der Verkauf dieser Inhalte ins deutschsprachige Free-TV oder an den internationalen Kollegenkreis sichere dem Unternehmen zusätzlich Einnahmen, so die TV-Managerin. Die Erlöse fließen ihr zufolge wieder ins Programm. Und: "Die generelle Aufmerksamkeit, die unsere Produktionen den Sendermarken bescheren, trägt sicher mit dazu bei, dass auch unser Streamingangebot History Play gut funktioniert und die Abrufzahlen steigen.“
Namhafte Mitspieler
Für ambitionierte Doku-Projekte haben die Münchner über die Jahre sehr bekannte Namen gewinnen können, darunter "Tatort"-Mimin Ulrike Folkerts, Esther Schweins, Schauspieler Hannes Jaenicke oder auch die Darsteller Clemens Schick und Christian Berkel. Für "kleinste Münze", wie Rotstein versichert, und mit der Überzeugung, wichtige Botschaften überbringen zu wollen.
Die Genannten traten als "Botschafter" fürs Format "Guardians of Heritage – Hüter der Geschichte" auf, mit Jaenicke als Gesicht der Reihe. Sie enthüllten dabei Persönliches vor der Kamera, transportierten anschaulich Geschichtliches. Ein sehr wichtiger Punkt für Emanuel Rotstein: "Wir sind inzwischen bekannt dafür, Geschichten aus einem neuen Blickwinkel heraus zu erzählen, in sehr engem Austausch zu den Zeitzeugen zu stehen."
Ein klarer Vorteil, wenn diese Zeitzeugen prominent sind: "Durch sie erreichen wir auch Publikum, das Dokumentationen bei History sonst eher nicht sehen würde", erzählt Kathrin Palesch.
Die Art und Weise, Eigenproduktionen umzusetzen, wird von der Zentrale der A+E-Sender in New York unterstützt. Palesch: "Mit dieser Storyteller-Mentalität haben wir die Chefetage in den Staaten überzeugt."
"The Invisible Line – Die Geschichte der Welle" etwa erzählt wenig abstrakt, mit den echten Protagonisten und sehr gut nachvollziehbar, wie schnell eine aus totalitären Systemen bekannte Gruppendynamik um sich greifen kann. Einer der Stoffe, der History und Crime + Investigation übers Fernsehen hinaus zum Gesprächsstoff macht: "Im Rahmen einer Kooperation, die wir seit Langem mit dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands sowie mit Schulen pflegen, stellen wir Emanuels Dokumentationen kostenlos als Lehrmaterial zur Verfügung. So können wir auch an Schulen unsere Verantwortung unter Beweis stellen, um geschichtsprägende Themen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen", erklärt Kathrin Palesch.
Unsere Dokumentationen zahlen auf die Marken am Standort München ein. Kathrin Palesch
Vorteil Geschichtssender
Als Vehikel, um Geschichtsthemen ins Bewusstsein des Publikums zu rücken, dienen auch Jahrestage. Dann sitzt das kleine Team um Emanuel Rotstein und Kathrin Palesch mit einigen wenigen freien Kameraleuten und Cuttern, mit denen seit Jahren vertrauensvoll zusammengearbeitet wird, an Themenschwerpunkten. Gerade das Jahr 2020 birgt aus Sicht des Geschichts-Kanals History viel Potenzial. So strahlt der Abosender aktuell zum 75. Holocaust-Gedenktag die Dokumentation "Die Befreier" im Rahmen einer Sonderprogrammierung aus.
Seit 2010 bei A+E Networks, macht Emanuel Rotstein in der Zeitspanne bis heute eine gesellschaftliche Veränderung aus. Diese schlägt sich in seiner Arbeit nieder: "Anfangs haben wir etwas leichtere Themen für Eigenproduktionen ausgewählt, darunter Artifactual Entertainment wie 'Rost’n’Roll - Kasis Werkstattgeschichten', angelehnt an unsere amerikanischen Formate mit einem Charakter, der durch seine Welt führt. Doch wir haben schnell gemerkt, dass wir die Farbe Entertainment gar nicht so stark bedienen müssen. Die Inhalte aus unserer US-Library oder vom ZDF bieten genügend hochwertige Unterhaltung“, berichtet der A+E-Manager.
Schnell war bei der Senderfamilie damals klar, dass mit Eigenproduktionen "mehr erreicht" werden soll, dass sie Zuschauer zum Nachdenken bringen sollten. Der richtige Weg, wie wir heute wissen.
Eine TV-Marke, die weltweit bewegt
Palesch und Rotstein sehen Medien generell stark in der Verantwortung: "Die Veränderungen in Gesellschaft und Politik machen deutlich, wie wichtig es ist, das Bewusstsein der Zuschauer zu stärken und seinen Teil dazu beizutragen, dass sich Geschichte nicht wiederholt", so die Senderchefin. Das geht weit übers TV-Angebot hinaus: Seit November macht sich A+E Networks in über 100 Ländern mit einer groß angelegten Kampagne für den Stopp von Gewalt gegen Frauen stark.
"Mehr als 74 Millionen Zuschauer im EMEA-Raum sprechen wir mit diesem wichtigen Thema an“, erzählt Palesch. Mit der Kampagne soll das Publikum für das Problem von Gewalt gegen Frauen sensibilisiert und eine Debatte angestoßen werden, unter anderem durch lokale Maßnahmen und Partnerschaften. Bestehende Hilfsangebote und Hilfsorganisationen sollen bekannt gemacht und mit Spendengeldern gestärkt werden. Programmlich stehen Wiederholungen der Doku-Serie "Surviving R. Kelly – The Impact" im Mittelpunkt, die weltweit für Aufsehen sorgte.
Für zwei Dinge bricht der Dokumentarfilmer Rotstein übrigens eine Lanze: für kluge Unterhaltung und fürs Streaming. "Gut gemachte Entertainmentformate können wichtige Botschaften transportieren, die per se ganz andere Zielgruppen erreichen als ein Nachrichten-Slot“, betont Emanuel Rotstein.
Für die TV-Konkurrenz der Streamer hat er Lob übrig: "Sie haben das Bewusstsein beim Zuschauer geschaffen, dass er bis zu 180 Minuten lange Dokumentationen schauen kann und nicht alles im YouTube-Kurzformat konsumieren muss. Dafür bin ich den Amazons und Netflixes dankbar.“
Der Begriff 'Eigenproduktion' ist mit den Originals ein Siegel für Qualität geworden. Emanuel Rotstein
Bang ist den A+E-Mitarbeitern bei der riesigen gestreamten Konkurrenz nicht, wie Kathrin Palesch versichert: "Pay-TV funktioniert nach dem gleichen Prinzip – Inhalte gegen Geld. Da bewegen wir uns auf gewohntem Terrain."
Hier noch ein Einblick ins jüngste Projekt der Münchner Senderfamilie:
Einen Rundumblick auf die Zukunft von Bewegtbild bietet das MEDIENTAGE Special "Connect! The Future of TV“ am 22. April 2020 in München.
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