Der TV-Konsum verändert sich – weniger klassisches TV, dafür mehr Streaming, mehr Video-on-Demand, mehr Social TV. Darauf müssen nicht nur Medienhäuser, sondern auch die Produktionsfirmen reagieren. Fabian Tobias, Geschäftsführer von EndemolShine Germany, erklärt im Interview und im Rahmen des #MTM SPECIALS Future Video am 24. April in München, worauf es in Zeiten solch drastischer Umwälzungen im Bewegtbildmarkt ankommt – um für das Publikum relevant und als Unternehmen resilient zu sein.
Herr Tobias, der Bewegtbildkonsum verlagert sich zunehmend ins Streaming. Dort finden nun auch immer mehr Dokus, Live-Shows und Reality-Formate statt. Wie geht ein Produktionshaus wie EndemolShine mit diesem Change um?
Wenn wir unsere Formate produzieren, denken wir nicht „linear“ oder „streaming“. Uns bewegt immer die eine Frage: "What's the story?", also was ist die beste Geschichte, die ein Format zu erzählen hat?
Durch das Kreieren von starken und modernen Geschichten schaffen wir es, Zuschauende zu berühren – sei es im linearen Fernsehen, auf Social-Media- oder Streaming-Plattformen. Aus diesem Grund verfolgen wir beim Schaffen unserer Marken immer den Anspruch, dass die Inhalte für alle Plattformen funktionieren.
Mit der "Big Brother Knossi Edition" haben wir eine neue Zielgruppe erreicht und gleichzeitig einen Werbeeffekt für die bisher linear erlebte Marke Big Brother geschaffen.
Wie übersetzt man Kreativität in die neuen Sehbedürfnisse der Zuschauer?
In dem man die Kraft der verschiedenen Kanäle voll ausspielt. Zum Beispiel mit schnellen Short-Clips, die Lust auf mehr machen. Und auch durch junge Zielgruppen, die in ihrem Social-Media-Feed unsere Marken entdecken. Das funktioniert bei Programmmarken wie "Kitchen Impossible" oder "The Masked Singer" besonders gut.
Aber das reicht nicht. Deshalb wagen wir in diesen dynamischen Zeiten auch ganz Neues, zum Beispiel mit der "Big Brother Knossi Edition". Das ist ein völlig neuer Case, bei dem wir – gemeinsam mit Joyn – Influencer ins "Big Brother"-Haus haben einziehen lassen. Es gab eine Premium-Auswertung auf Joyn, außerdem wurden die Inhalte auf Knossis Twitch-Kanal live gestreamt.
So haben wir eine neue Zielgruppe erreicht und gleichzeitig einen Werbeeffekt für diese bisher linear erlebte Marke "Big Brother" geschaffen.
Erfordern neue Format-Ideen auch eine andere Herangehensweise beim Aussuchen des Casts?
Grundsätzlich verändert sich das Casting-Handwerk nicht: Wir finden spannende, diverse und extrovertierte Persönlichkeiten und entdecken so dynamische Beziehungskonstellationen. Wo Freundschaft, Liebe oder Auseinandersetzungen, also große Emotionen entstehen, ist die Basis für gutes Entertainment gegeben.
Ein Phänomen unserer Zeit ist jedoch, dass Kandidat:innen immer häufiger versuchen, ein Format zu nutzen, um die eigene Reichweite zu pushen. Teilweise kommen sie mit ganzen Strategien in unsere Shows. Hier gilt es, die versteckte Agenda zu entlarven. Beispielsweise über die Moderation oder Storytelling in unseren Einspielfilmen.
Für den Big Screen sind auch große Liveshows gefragt, die im Streaming noch nicht zu finden sind.
Auch wenn sich der Medienkonsum in andere Richtungen bewegt, so bleibt das klassische TV weiter zentral. Welche Formate passen heute noch auf den Big Screen?
Formate, die ein breites Publikum und unterschiedliche Generationen ansprechen. "Die Höhle der Löwen" ist so ein Beispiel, aber auch Julia Leischik mit "Bitte melde Dich" versammelt in der aktuellen Staffel wieder ein Millionenpublikum vor dem Bildschirm. Gleichzeitig sind auch große Liveshows gefragt, da sie im Streaming noch nicht zu finden sind.
Wie muss Content heute aussehen, um das Publikum vor dem TV-Gerät zu binden?
Der Schlüssel ist, sich von der Masse abzuheben. Das geht nur, wenn wir Bilder und Eindrücke schaffen, die sich in den Köpfen der Zuschauenden verankern.
Das können 10.000 Strasssteine auf einem irre aufwändigen "Masked Singer"-Kostüm sein oder cineastisch inszenierte Challenges zwischen Tim Mälzer und einem Sternekoch bei "Kitchen Impossible". Auch eine Show unserer Wettbewerber, wie beispielsweise "Klein gegen Groß", ist ein Garant dafür, wie Entertainment für die ganze Familie bestens funktioniert.
Um diesem steigenden Marktdruck begegnen zu können, zählt einmal mehr, die besten kreativen Köpfe hinter der Kamera sowie die größten Publikums-Talente vor der Kamera zu haben.
Bei aller Euphorie darf man nicht verhehlen, dass Sender und Streamer im vergangenen Jahr angefangen haben, reihenweise Projekte zu canceln. Das ist für Produktionsfirmen keine gute Entwicklung. Wie ist EndemolShine gerüstet?
Um als Unternehmen resilient zu sein, ist es das Wichtigste, Programmmarken zu kreieren, die das Publikum nachhaltig liebt und die sogar in der Lage sind, Alltagsrituale zu schaffen.
Um diesem steigenden Marktdruck begegnen zu können, zählt einmal mehr, die besten kreativen Köpfe hinter der Kamera sowie die größten Publikums-Talente vor der Kamera zu haben. Wie zum Beispiel Tim Mälzer. Hier war auch die Gründung der gemeinsamen Firma Potatohead Pictures ein strategisch bedeutsamer Schritt. Solche Joint Ventures sind in der aktuellen Marktdynamik sehr wertvoll und ein echter Gewinn.
Zur Person:
Fabian Tobias (Foto: Unternehmen) ist Diplom-Medienökonom und Geschäftsführer von Deutschlands größter unabhängiger Non-Scripted-Produktionsfirma EndemolShine Gemany. Daneben wirkt er als Managing Director von EndemolShine Polska und ist Mitglied im Aufsichtsrat der B&B EndemolShine (Schweiz).
Im Verlauf seiner Karriere hat er zahlreiche internationale Formate aus den unterschiedlichsten TV-Genres wie „Wer wird Millionär?“ (RTL), „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ (RTL), „Hell’s Kitchen“ (SAT.1) oder „MasterChef“ (Sky) so wie auch die Comedyshow „Comedians der Welt“ (Netflix) und den Factual Hit „Celebrity Hunted“ (Amazon Prime) verantwortet. In seiner damaligen Rolle als „Head of Show“ bei der EndemolShine sicherte er die Lizenzrechte für „The Masked Singer“ (ProSieben), welches das erfolgreichste Showformat seit Senderbestehen wurde.
2019 stieg Fabian Tobias in das Management Board von Brainpool TV auf, wo er die Primetime Hitshow „Big Performance – Wer ist der Star im Star?“ (RTL) entwickelte sowie Live Eventshows wie den „Deutschen Comedypreis“ (SAT.1) produzierte.
Seit Juli 2020 ist er Managing Director von EndemolShine Germany, die zur Banijay Group gehört und Formate wie „The Masked Singer“, „Die Höhle der Löwen“, „Wer wird Millionär?“ und „Kitchen Impossible“ produziert.
Im Oktober 2020 wurde Fabian Tobias im Rahmen des gemeinsamen Projektes der PROUT AT WORK-Foundation und der UHLALA GmbH auf Platz 28 der TOP 100 OUT EXECUTIVES 2020 gewählt. Ausgezeichnet werden Manager in Führungspositionen, die an ihrem Arbeitsplatz offen dazu stehen, LGBT+ zu sein.
Fabian Tobias ist in Solingen aufgewachsen und lebt in Köln. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Hosentaschenfernsehen vs Big Screen: Wie gucken und streamen wir künftig? Welche Trends setzen sich durch? Welche Media- und Business-Modelle sichern zukunftsfähige Content-Strategien fürs (vernetzte)TV, für den Stream, Video on Demand oder auch für Social Video? Welche Player haben mit ihren Technologien und Anwendungen das Sagen? Und wer sind die Gatekeeper von morgen?
Antworten auf diese Fragen gibt das #MTM SPECIAL FUTURE VIDEO 2024. Die Konferenz findet am 24. April 2024 im House of Communication in München statt und widmet sich der Zukunft von Video: ein Tag mit Insights von namhaften Branchenexpert:innen wie Fabian Tobias und wegweisenden Konzepten von Unternehmen aus der Bewegtbildwelt.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.
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