Mit mobilen Devices und smarten TV-Geräten treffen auf dem Bildschirm zwei Welten aufeinander: Das Fernsehen, das sich über die Verbindung zum Internet mit dessen Funktionalitäten ausstaffieren kann, und die digitalen Anbieter mit Bewegtbild-Inhalten. Eine anders geartete Konkurrenzsituation.
Wenn die Seven.One Entertainment Group in den kommenden Wochen die Apps von ProSieben, Sat.1 und Galileo einstellt, um allein auf den Streaming-Dienst Joyn zu setzen, dann wird sich für den TV-Konzern am großen Konkurrenzumfeld auf dem Startbildschirm von Smart-TV-Geräten oder digitalen Devices nichts ändern. Allerdings fehlen dann die Markennamen, die in der Fernsehwelt so bekannt sind und Türen öffnen können.
Chief Content Officer Henrik Pabst sieht in der Marke Joyn, das bislang noch als Joint-venture mit Discovery auftritt, eine "zentrale Streaming-Plattform", die als Aggregator "viele Vorteile, vor allem für die Nutzer:innen" biete. Gegenüber dem Mediendienst DWDL.de heißt es zur Begründung: „Damit legen wir den Fokus klar auf Joyn als One-Stop-Destination. Eine Marke, eine Adresse für all unsere Inhalte.“
Gelöst werden muss auch noch die Frage, wie die Interaktion mit dem Publikum künftig ablaufen soll. Denn bei Shows wie "The Masked Singer" auf ProSieben setzt der Konzern die bisherigen Sender-Anwendungen für den Austausch mit Usern ein. Die App spielt sogar eine zentrale Rolle im Konzept des Unterhaltungsformats. Hier will sich das Team in Unterföhring an die Arbeit machen und einen würdigen Ersatz schaffen.
Klar ist: Die Karten werden mit Streaming neu gemischt.
Viele, die sich über Netflix, Amazon Prime Video oder auch YouTube und Livestreams bei Twitch in den Online-Bewegtbild-Kosmos einklinken, sind zu jung, um von TV-Marken wie ProSieben, Sat.1 und Galileo nachhaltig geprägt worden zu sein. Bei jüngeren Zielgruppen steht der "Aggregator" Joyn daher erst einmal neutral neben den bekannten Größen auf der Startrampe. Überzeugen soll er, so hofft die Führungsriege des Münchner Konzerns, mit größtenteils werbefinanzierten und kostenfreien Inhalten. Will heißen: Eine Übersetzung des Prinzips Privatfernsehen in eine Streaming-Variante – für User und Werbekunden.
Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Zum einen gieren die Werbungtreibenden nach jungen Zielgruppen, die die klassischen Medien eher meiden und beim Streaming oder Podcast-Abruf verortet werden. Für den ProSiebenSat.1-Vermarkter SevenOne Media gibt es sicher einiges zu tun. Zum anderen attestiert eine Reihe an Studien dem Abonnieren von VoD-Angeboten eine Obergrenze; mehr als maximal vier bis fünf Streaming-Abos werden den einzelnen Haushalten nicht zugemutet – noch dazu bei aktuell rapide steigenden Preisen.
Bereits vor zwei Jahren ermittelten die Marktforscher der GfK:Im Zuge neuer Angebote wie beispielsweise Apple TV+ und Disney+ steht der Markt vor weiteren Veränderungen. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach der Obergrenze für das Zeit- und Ausgabenbudget der Konsumenten für SVOD Dienste. Konsumenten sind grundsätzlich bereit rund 23 Euro im Monat für Streaming-Dienste aus dem Film und Serienbereich auszugeben. Durchschnittlich können sie sich vorstellen 2,2 Angebote zu nutzen. Insgesamt 33 Prozent der aktuellen SVOD Nutzer geben in der GfK-Studie an, zukünftig für bestimmte Filme oder Serien ein weiteres Abo abzuschließen beziehungsweise den Anbieter zu wechseln.
Natürlich trifft Joyn bei AVoD auf Konkurrenz. Neben der geübten Konkurrenz zur RTL-Familie, die bei ihrem VoD-Ableger RTL+ neben dem Abo-Segment auch einen werbefinanzierten Part streamen, formieren sich Anbieter wie Roku. Der deutsche Markt bleibt für internationale Player begehrt
Des bisherige Joyn-Partner Discovery hat übrigens andere App-Ambitionen: Der Konzern baut lieber erst einmal die Partnerschaft mit Sky Deutschland aus und bringt voraussichtlich im Sommer eine Discovery+ App auf Sky Q und auf das neue Smart-TV-Gerät Sky Glass. Die Partner versprechen zum Start "mehr als 10.000 Stunden Content, darunter erstklassige Discovery+ Originals wie ‚Introducing, Selma Blair‘, die großen Sport-Highlights von Eurosport und viele preisgekrönte BBC Dokumentationen“.
Auch hier lautet das Prinzip, dass sich starke TV-Marken im Streaming einer App-Adresse unterordnen, im Fall von Discovery+ als Abo-Variante. Daneben sichert sich auch dieses Team den Zugang zur Werbefinanzierung im Streaming-Umfeld: Bereits im August 2021 hatten Sky und Discovery als Teil der erweiterten Vereinbarung kommuniziert, dass die Free-TV-Sender von Discovery Bestandteil der "Sky Q über das Internet" Plattform sind. Dazu zählen Eurosport 1, DMAX, TLC, Tele 5 und Home & Garden.
Zum Procedere: Wer über die Sky Q IPTV Box den Streaming-Zugang wählt, schöpft aus dem Vollen und hat die Qual der Wahl - Fernsehen, Streaming und Apps. Sky-, Partner- und Free-TV-Sender. Hinzu kommt der Zugriff auf Mediatheken wie ARD, ZDF und RTL+ sowie eine große Auswahl an Apps wie Netflix,, Prime Video, DAZN und auch der Zugang zur Hörwelt von Spotify. Eine ähnliche All-in-One Plattform also, wie sie auch die Deutsche Telekom mit MagentaTV oder Vodafone mit GigaTV im deutschen Markt bietet.
Allerdings wird es trotz des Bündelns unter Joyn, Discovery+ und Co für User zunehmend unübersichtlich.
Die Analysten von Deloitte haben bereits vor geraumer Zeit angemerkt, dass sich Immer mehr Zuschauer:innen Orientierung wünschen. Raum für neue Geschäftsmodelle: Ein unabhängiger "Superaggregator“ ist mit ScreenHits TV im Sommer 2021 hierzulande an den Start gegangen. Auch dort ist Joyn für ProSiebenSat.1 vertreten, ebenso wie die SVoD-Anbieter Amazon Prime Video, Disney+, Netflix oder Starzplay.
Doch egal, wie gebündelt die Streaming-Angebote daherkommen: Die Zeiten der Reihung von Sendern nach Ziffern auf einer Fernbedienung sind in vielen Haushalten vorbei, das Zappen durchs Lineare ist passé. Jetzt geht es um die App und um das positive User-Erlebnis dahinter, um immer wieder in diese Streaming-Anwendung einzutauchen.
Zahlen zum digitalisierten Bewegtbild-Markt lieferten die Medientage München mit einer Session:
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