
Neue Spielregeln im Markt, die Big Tech diktiert. Desinformation, die KI eher noch verstärkt. Wirtschaftlicher Druck, der vor allem klassische Medien in die Knie zwingt. Demokratien, die im Kampf der Meinungen in die Brüche gehen. Das ist der Status-quo, der Grundlage ist für viele Diskussionen bei den 39. MEDIENTAGEN MÜNCHEN. Gleich zum Auftakt beim MEDIENTAGE -Gipfel gibt es viel zu diskutieren.
Das Motto "WTFuture?!" steht für viele offene Fragen, von denen einige während der #MTM25 beantwortet werden dürften. Zum Beispiel die zentrale Frage mit Blick auf Desinformation, KI und Plattform-Dominanz, die zum Auftakt Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) stellt: „Was kann man noch glauben?“ WTFuture?! sei daher aktuell das richtige und selbstkritische Motto, eine Art „Arbeitsauftrag“ für Herausforderungen, die in diesem Herbst besonders groß zu werden scheinen.
Schmiege rechnet mit „klaren Botschaften“ für die 39. MEDIENTAGE. Mit der Frage nach „What the Future auf Freedom?“ wünscht sich Schmiege einen fairen Rahmen für Medien, ein Level Playing Field, das klassische Anbieter auf Augenhöhe mit dominanten Plattformgrößen zu heben vermag. Und: „Wir brauchen Leitplanken für eine chancenorientierte KI-Nutzung.“ Unterstützend soll hier das bayerische KI.M wirken, das klassischen und auch kleinen Medienhäusern kompetent zur Seite stehen soll.
Apropos Plattformen: Der Großteil der Werbeerlöse geht inzwischen an drei Big-Tech-Konzerne, Reichweite wird Währung, Medien gleichen Mindereinnahmen teils durch Fusionen aus. Doch was vermag deutsche und europäische Medienpolitik gegen den „transatlantischen Gegenwind“ zu unternehmen?
Zuversicht mit Blick auf Plattform-Regulierung?
Dr. Wolfram Weimer, lange Jahre Journalist und Verleger, bei „38 MEDIENTAGEN in verschiedenen Rollen“ vor Ort und heute Staatsminister für Kultur und Medien, richtet den Blick auf aktuelle Veränderungen in der Branche. Stichwort Plattform-Dominanz: In seinen (eigentlich geplanten) acht Minuten Rede verdient Google sechs Millionen Euro. Und während der MTM verdiene der Tech-Riese so viel wie ProSiebenSat.1 in einem Jahr, so der Minister zur Veranschaulichung des Ungleichgewichts. Weimer ruft dem neuen ProSiebenSat.1-Eigner MFE aus Mailand zu, dass das Bekenntnis der Unternehmerfamilie Berlusconi zum Münchner Standort sehr wohl gesehen und nicht nur von Bayerns Ministerpräsident Dr. Markus Söder positiv wahrgenommen werde.
Dr. Wolfram Weimer (Foto: Medien.Bayern GmbH)
Er hebt als starkes Beispiel für die Stärkung des Standorts die neu angeschobene Filmförderung hervor; wichtige Punkte sind dabei, dass der jährliche Betrag ab 2026 auf 250 Millionen Euro verdoppelt werden soll, Hinzu kommt eine geplante Investitionsverpflichtung für Streaming-Dienste wie Netflix sowie das Vorhaben, die Kinoförderung aufzustocken. Denn: Die Filmbranche habe einige sehr harte Jahre hinter sich und man habe sich in der Berliner Politik dazu verabredet, hier massiv zu unterstützen, so Weimer.
Weimer zeigt sich trotz der aktuellen Auseinandersetzung mit Trump-Berater Richard Grenell (KI-Unternehmen betreiben demnach „geistigen Vampirismus“) aufgrund der Zerschlagung von Oligopolen in vergangenen Jahrzehnten zuversichtlich, eine Regulierung zu erzielen: „Wir werden auch bei den Big-Tech-Monopolen erleben, dass eine Struktur entsteht, die sich für fairen Wettbewerb öffnet.“ Er hofft, dass die #MTM25 neue Impulse in der transatlantischen Diskussion setzen. „Vielleicht geht diese Leitung auch über Kalifornien,“ witzelt Weimer über die umfassende Tonstörung während seines Gipfel-Impulses.
Investitionen und Stärkung der Medien
Zurück in den europäischen Medienmarkt: „Das ist schon eine Herausforderung“, urteilt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder beim MTM-Gipfel über die neue Eignerstruktur bei ProSiebenSat.1. Eigentlich zufrieden mit der neuen Lage in Unterföhring unter dem neuen Mehrheitseigner, beurteilt der bayerische Landesvater den am Dienstag kommunizierten Vorstandswechsel so: „Es ist jetzt ein paar Jahre lang nicht so gut gelaufen. Da gibt es dann schon mal einen Trainerwechsel.“ Für Söder wichtig: Es geht weiter mit Investitions-willigen Eignern und der CSU-Politiker glaubt der Zusicherung durch an einen unabhängigen Journalismus aus dem Hause ProSiebenSat.1.
Warum sind Investoren so wichtig? „Wir haben von zwei Seiten einen unglaublichen Wettbewerb, von China und den USA.“ Söder plädiert gerade auf der EU-Ebene für „die richtige Balance“ aus Regulierung und Freiheit, um in diesem Spiel mithalten zu können. Grenzen für dominante US-Unternehmen, wie sie etwa Weimer fordert, stuft Markus Söder als nachrangig ein. Vielmehr liegt ihm daran Medien im Wettbewerb zu stärken. „Ich glaube lieber an Freiheit als an Regulatorik.“
Wir müssen wieder stark werden!
Dr. Markus Söder
Die Kleinteiligkeit der Medienregulierung sei ein Anachronismus in einer Zeit, in der sich die Menschen zunehmend jenseits der klassischen Medien informieren. Markus Söder: „Wenn wir es in Europa schaffen, vom Weltmeister der Grenzsetzung zum Weltmeister der Innovation zu werden, dann haben wir ein wichtiges Ziel erreicht.“
Florian Haller, CEO der Serviceplan Gruppe und Herr über die MTM-Location House of Communication, weiß besonders um die Übermacht der digitalen US-Konzerne. Als Chef einer der größten Inhaber-geführten Mediaagenturen, Mediaplus, betont er beim Gipfel: „Es ist schon lächerlich, dass bei uns bei Datenthemen im Kleinsten reguliert während, während in den USA im großen Stil mit Daten neue Geschäftsmodelle ausgerollt werden.“ Die letztlich deutschen Medienhäusern bei Publikum und Werbeerlösen wiederum noch mehr Konkurrenz machen.
Mehr Austausch über den Atlantik
Die Lage in den USA ist auch bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN ein Thema: Zu Gast beim MTM-Gipfel 2025 ist Goli Sheikholeslami, CEO von POLITICO. Sie gibt offen zu, dass sich ihr Job in den vergangenen Monaten seit Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump umfangreich verändert hat. Sheikholeslami: „Die transatlantische Story ist dadurch wichtiger geworden. Unsere Newsrooms in Europa werden vergrößert.“ Man wolle sich so auf mehr Austausch über den Atlantik hinweg vorbereiten.
Goli Sheikholeslami (l) mit Eva Schulz (Foto: Medien.Bayern GmbH)
Sie beschwört die Unterstützung des deutschen Gesellschafters Axel Springer, die Beziehung sei unterstützend, aber nicht beeinflussend. Man schreibe die Pressefreiheit groß im Konzern. So gestärkt, könne ihre Marke umgehen mit den Steinen, die die US-Regierung dem Journalismus in den Weg räumt, zuletzt mit dem Verschärfen der Berichterstattungsregeln aus dem Pentagon.
Was können deutsche Medien von der zunehmend angespannten Lage im US-Journalismus lernen? Sheikholeslami beantwortet die Frage von Gipfel-Moderatorin Eva Schulz mit dem Mehr an Verantwortung, das nationalen Medien zukommt. In den vergangenen 20 Jahren haben die USA ihr zufolge 40 Prozent der lokalen Medien eingebüßt, die Menschen dort sind immer mehr auf Information aus US-weit agierende Medienmarken angewiesen – in einer zunehmend polarisierten Welt.
Den Menschen ruhig mehr zutrauen
Oliver Kalkofe, Komiker, Satiriker und Moderator, darf beim großen „Oktoberfest der Medien“ ein Grußwort sprechen, das er zwei „Ks“ widmet. KI und „Känzel“-Culture.
War früher wirklich alles besser? Cancel Culture habe es schon in seiner Kindheit gegeben, wegen zu viel Gewalt sei etwa in den 1980er-Jahren die Serie „Schweinchen Dick“ ausgeknipst worden, berichtet Kalkofe. „Gecancelt wurde schon immer, aber es war schon immer falsch. Früher aus Angst vor Kirchen oder gesellschaftlichen Druck, heute aus Angst vor Reaktionen im Internet.“
Man könne stattdessen den Menschen viel mehr den Mut geben, vor dem Reden und Posten nachzudenken. „Wir müssen in den Medien allgemein damit aufhören, aus vorauseilender Angst Dinge erst gar nicht zu machen.“ Man dürfe nicht alles vereinfachen, sondern mehr hinterfragen.
Den Shitstorm lieber hinterfragen, als ihn mit dem medialen Ventilator auch noch zu verteilen.Oliver Kalkofe
Wie wirkt sich KI aus? „Es gibt fantastische technische Tools, die uns die Arbeit erleichtern. Dieser Segen der KI kann für uns aber auch gefährlich werden, da Menschen ersetzt werden können.“ Kalkofe fragt anwesende Branchenvertreter:innen, warum immer mehr Menschen im Medienprozess ausgetauscht würden? Gehe das so lange, „wie die KI noch keinen Urlaubsanspruch und Betriebsurlaub entdeckt“. Wir brauchen Regeln für den Umgang, die „KI lernt schneller als wir diskutieren“. Die menschliche Dummheit könne keine KI ersetzen.
Kalkofe rechnet in gewohnter SCHLEFAZ-Manier mit den Formaten in TV und Streaming ab, die heute die Screens bevölkern. „Wollen wir versuchen, die Menschen weniger blöd zu machen?“, provoziert der TV-Kritiker Kalkofe. Allein KI, Cancel Culture und Social Media sind aus seiner Sicht nicht allein daran schuld, „wenn wir eine Zukunft schaffen, vor der wir früher selbst gewarnt haben“.
War vorher der KI-Söder auf der Bühne? Der echte Söder hätte etwas gegessen.
Oliver Kalkofe
Sprache, Fairness, Vertiefung: Verantwortung in und für Medien
WTFuture?! – darüber diskutieren auch ARD-Vorsitzender Florian Hager, Publizistin Jagoda Marinić, RTL-Deutschland-CEO Stephan Schmitter und Dr. Christian Wegner, CEO des Süddeutschen Verlags. Wie steht es um die Diskussionskultur in Deutschland? Nicht gut, findet Marinić. Sie plädiert für die „mediale Metaebene“, die Medienhäuser erreichen sollten, indem sie nicht einfach schnell und oft unüberlegt Social-Media-Botschaften in einer Art „Ping-Pong“ spielen. Man müsse aus dem „He said, she said“-Journalismus herauskommen und die Vertiefung wagen. „Wir brauchen eine gute Streitkultur, aber auch eine gute Informationskultur“, so Jagoda Marinić. Auch die Politik sei hier gefragt.
hr-Intendant Hager begrüßt das allgemeine Bewusstsein, dass Demokratie und freie Medien einander bedingen. „Was die Fülle der Berichterstattung angeht, denke ich, dass wir unseren Job gut gemacht haben“, so der hr-Chef. RTL-Lenker Schmitter spricht sich dafür aus, Räume zu schaffen, in denen Menschen wieder sprechen, wieder in die Diskussion kommen. Social Media gehört für ihn zu jenen Faktoren, die maßgeblich den zwischenmenschlichen Austausch unterbinden würden.
Schmitter fordert vernünftige und schnell umgesetzte Regeln, um für mehr Chancengleichheit zu sorgen, um die Medienmarken erhalten zu können. „Wir brauchen Tempo“, so der erfahrene Medienmanager. Auch wenn die geplante Übernahme von Sky durch RTL auf einem guten Weg sei, dauere das Verfahren über Monate. Währenddessen würden Player wie Amazon quasi über Nacht global wirksame Werbekooperationen ausspielen.
Für Wegner, der mit dem Traditionsblatt SZ vor wenigen Wochen 80. Geburtstag feiern durfte, ist klar: „Wir sind mit klassischen Medien noch überall vertreten, das müssen wir erhalten!“ Es gebe zwei große Herausforderungen – die zunehmend politische Einflussnahme hierzulande und die digitalen Plattformen mit Absender USA oder China. Der SZ stehe sehr gut da, dank „hervorragender Autoren“, einer rechtzeitigen Loslösung vom Werbemarkt hin zu mehr Vetriebserlösen (seit 2023 komplett aus Abos finanziert) und einer voll umgesetzten Digitalisierung. „Unser Ziel ist es, uns bis 2030 komplett aus dem Digitalen zu finanzieren“, so Wegner.
Großer Bremsfaktor ist dabei aktuell KI Search à la Google, was Reichweiten einbrechen lässt und die Notwendigkeit für Lesende und Werbekunden infrage stellt, Medienseiten aufzurufen. Wegner über KI Search: „Das ist ein neuer Vertrag. Und die Attacke kommt von OpenAI und Co. Sie ersetzen die Suche durch Antworten und attackieren wiederum das Kerngeschäft von Google.“ Die Beschwerde der Verleger gegen Google sei richtig; es könne nicht sein, dass „jemand unsere Inhalte nutzt“ und damit das Geschäftsmodell der eigentlichen Quellen zerstört.
Hager, der naturgemäß als ARD-Mann die Lanze für eine starke Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen bricht, hebt hervor: „Wir werden nur überleben, wenn wir den Schulterschluss üben – mit Privatsendern, mit Verlagen. Da sind wir in guten Gesprächen, es werden Gräben zugeschüttet. Wir können alle nur überleben, wenn wir gemeinsam vorgehen.“ Der ARD-Manager widerspricht Söder in einem Punkt: Man müsse Daten der deutschen Anbieter stärker schützen. Regulierung mit Sinn!
Viele Themen, viele Herausforderungen. Kopf in den Sand stecken? Gipfel-Moderatorin Eva Schulz rät zu dieser Strategie: „Ein ‚WTF?!‘ darf man in diesen Zeiten setzen, wenn man noch ein ‚Future‘ dranhängt!“
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 39. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der MEDIENTAGE-Homepage und auch im MTM-Blog bereit.
Zudem können zahlreiche MTM-Themen auch gehört werden: im Podcast "This is Media NOW".
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