Stillstand ist keine Option (mehr): Drei Tage Livekonferenz im House of Communication, gut 5000 Besucher:innen, mehr als 350 Referent:innen und Diskussionsteilnehmer:innen aus den Bereichen Medienwirtschaft und -politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft, kontroverse Debatten, inspirierende Keynotes und informative Präsentationen unter dem Motto "WTFuture?!": Das waren die 39. MEDIENTAGE MÜNCHEN im Werksviertel. Was uns besonders nachdenklich gestimmt hat.
Tempo, Tempo, Tempo!
RTL-Deutschland-CEO Stephan Schmitter hat mit einer zentralen Forderung während des MEDIENTAGE-Gipfels gleich zum Auftakt ein zentrales Thema der #MTM25 gesetzt: Der erfahrene Medienmanager forderte „mehr Tempo!“. Es sei Eile geboten bei Regulierung, Werbung, Zusammenarbeit. Schmitters konkretes Beispiel: Während in den USA Amazon und Netflix „über Nacht“ entscheiden würden, Streaming-Werbung künftig gemeinsam zu vermarkten, dauere es in Deutschland Monate, bis im Fall einer möglichen Sky-Übernahme durch RTL eine Entscheidung getroffen werde.
Der Begriff „Handlungsdruck“ wurde wiederholt bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN eingesetzt. In Sessions zu „Artificial Identity“ oder „Trusted AI“ wurde betont, wie dringlich es ist, schnell klare Regeln für die neuen Herausforderungen durch KI und digitale Plattformen zu schaffen. Auch wurde die Notwendigkeit diskutiert, Werbung und Markenführung rascher an gesellschaftliche Entwicklungen und neue mediale Realitäten anzupassen.
Zügig und mit KI Kosten sparen – das wurde beim TV-Gipfel diskutiert. Des Weiteren machten verschiedene Diskussionen deutlich, dass Publisher, Creator und Plattformen deutlich agiler und in schnellen Partnerschaften arbeiten müssen, um relevante Inhalte und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Und: Im AI-Summit wurde vermittelt, dass die Branche in Echtzeit auf KI-Entwicklungen reagieren muss, um nicht abgehängt zu werden.
Wenn Absender zu Medien werden, haben es Medienhäuser schwer.
Sebastian Esser, Gründer der Creator-Plattform Steady, prognostizierte während des Journalism Summit, dass Personenmarken nach und nach Medienmarken ersetzen würden. Er argumentierte, dass beispielsweise Paul Ronzheimer das Medienhaus Axel Springer nicht brauche, da in den USA längst viele Journalisten unabhängig von klassischen Medien arbeiten könnten, weil ihre eigene Marke so stark sei, dass sie davon gut leben können. Es braucht heute kein Medienhaus mehr im Rücken, um ein Buch, einen Podcast oder einen Newsletter zu veröffentlichen. Esser beschrieb seine Plattform Steady als einen "Schneepflug", der einsammelt, was etablierten Medien wegbröselt.
Maurice Höfgen, Ökonom und YouTuber, finanziert zwei Drittel seiner Arbeit über Jahresabonnements bei Steady oder Substack, was ihm die Planungssicherheit eines Festangestellten bietet. Deutlich wurde bei der traditionellen Abschlussrunde der MEDIENTAGE: Der „Absender“ Höfgen, der mit tiefem Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge seine Community begeistert, setzt Medienmachner:innen wie die ebenfalls anwesende Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales von ARD-aktuell, unter Druck. Den klassischen Medien ist es im Nachrichtenangebot kaum möglich, wie Höfgen ein Thema derart zu vertiefen. Auch skizzierten die Session-Teilnehmer:innen, dass die Art der Reaktion auf Informationen sich in diesem Nebeneinander zwischen Creators und Medien verändere; YouTuber sind es gewohnt, in den direkten und sehr intensiven Austausch mit Kritiker:innen zu gehen.
Oğuz Yılmaz, Co-Founder von YilmazHummel, kritisierte während der #MTM25 die traditionellen Medienhäuser dafür, sich den Creators zu verschließen: "Die Riesentöpfe verwehrt man uns." Er bedauerte, dass somit auch das Potenzial an Talenten nicht ausgeschöpft werde und die klassischen Medien den Anschluss verlören. Tobias Schiwek von We Are Era vertrat die These, dass es keine Creator Economy, sondern eine Community Economy gebe. Die "Power" bewege sich weg von zentralisierten Machtsystemen zu dezentralen Strukturen. Dies beschrieb eine fundamentale Machtverschiebung weg von klassischen Medien.
Journalismus muss (wieder) Vertrauen schaffen!
Nicht nur im Rahmen des Journalism Summit der #MTM25 stand der Verlust und das Zurückgewinnen von Vertrauen im Zentrum, vor allem im Kontext von Desinformation, gesellschaftlicher Polarisierung und demokratiegefährdender Fake News. Diskutiert wurden Ergebnisse aktueller Studien, die eine Medienvertrauenskrise diagnostizieren: Während die Mehrheit den Medien grundsätzlich vertraut, gehen viele davon aus, andere täten es nicht – eine Situation, die Unsicherheit und gesellschaftliches Misstrauen verstärkt.
Beispiele aus der Praxis zeigten, dass Journalist:innen mehr gesellschaftliche Vielfalt und Konflikte adressieren sollten, um Vertrauen zurückzugewinnen. Selbstkritik, wie etwa bei der Berichterstattung über Corona oder in Migrationsfragen,) wurde ausdrücklich angesprochen, ebenso wie die Notwendigkeit, kritische Fragen früher zu stellen und mitzugestalten.
Die Schriftstellerin, Publizistin und Podcasterin Jagoda Marinić warnte beim MEDIENTAGE-Gipfel am konkreten Fall des Umgangs mit der AfD, eine rechtspopulistisch initiierte Debattenkultur führe zur Polarisierung, wenn Debatten als eine Art „Battle“ inszeniert würden. Solche Verengungen des Diskurses blendeten aus, dass es meist nicht nur zwei, sondern viel mehr Positionen gebe. Deshalb blieben viele Lebenswelten unterrepräsentiert.
In mehreren Sessions der #MTM25 kamen Expert:innen zu dem Schluss, dass Sprache bewusst weiterentwickelt werden müsse, um eine diverse Gesellschaft zu erreichen und nicht auszuschließen. Neue journalistische Formate und Ansprachemodelle sollten darauf ausgerichtet sein, verschiedenen Lebenswelten und Zielgruppen gerecht zu werden.Die Rolle von verständlicher, transparenter und inklusiver Sprache im Journalismus wurde dabei als Schlüssel gesehen: Nur wenn Nachrichten so formuliert sind, dass sie möglichst viele in ihrer Lebenswirklichkeit erreichen und Partizipation ermöglichen, kann langfristig Vertrauen entstehen.
Ein zentrales Thema dabei war auch der Einfluss von KI auf journalistische Sprache und Stil: Redaktionen stehen nach Ansicht von Expert:innen vor der Aufgabe, Klarheit, Transparenz und Originalität bei automatisiert generierten Texten zu gewährleisten. Sprache dürfe nicht von Algorithmen verzerrt werden.
KI ist inzwischen Normalität, aber auch Herausforderung.
Immer wieder wurde während der drei Konferenz-Tage der #MTM25 im Münchner House of Communication festgehalten, dass KI längst in der täglichen Arbeit integriert wird – von der Recherche über die Produktion bis zur Distribution und Ausspielung von Inhalten KI heute in jedem Prozessschritt etabliert. Praxisbeispiele reichten von KI-basierten Transkriptionen und Übersetzungen, automatischer Artikelzusammenfassung und -vertiefung bis hin zu multimodalen Formen wie automatisiert produzierten Audio-Formaten, der Personalisierung von News oder der Trendanalyse im Social-Media-Bereich.
Im Rahmen der MEDIENTAGE wurden Startups und Medieninnovationen gezeigt, die KI-Lösungen produktiv einsetzen, etwa für Sprachsynthese in Podcasts (Voice-Cloning), die automatische Erstellung vereinfachter Nachrichtenformate, oder die Themenauswahl von Nachrichten-Apps, die User-Interaktion durch KI optimiert. Medienhäuser wie der BR experimentieren und skalieren KI-Anwendungen in Newsrooms: Personalisierte Nachrichten sind hier längst so „normal“, dass Nutzer:innen vielfach kaum bemerken, wie viele redaktionelle Produkte schon KI-gestützt entstehen.
Allerdings wurden unter dem Label „KI“ viele Diskussionen dem MEDIENTAGE-Motto „WTFuture?!“ gerecht: Auch wenn viel Gesagtes die Normalisierung des KI-Einsatzes bestätigte, wurde immer wieder verdeutlicht, dass menschlicher Kontext, professionelle Prompt-Nutzung und redaktionelle Verantwortung essenziell bleiben. KI als Produktivitätsmotor – aber kein vollständiger Ersatz für journalistische Arbeit.
Besonders der Wechsel vom klassischen Medienkonsum hin zu KI-gestützten Such- und News-Plattformen wurde als Zeichen einer neuen Ära in den Vordergrund gestellt. Mit fatalen Folgen für die Geschäftsmodelle der Publisher im Netz, wie im Zusammenhang mit neuen Formen von KI Search hervorgehoben wurde.
Was haben wir bei den #MTM25 gelernt?
Die Medien befinden sich in einem fundamentalen Umbruch. Mit immer mehr Vielfalt an Angeboten aus den eigenen Reihen, aus dem dominanten Bereich der digitalen Plattform und aus der zunehmend beliebten Creator Economy bewegen sie sich mittlerweile in verschiedenen Welten. Medienhäuser müssen Zielgruppen bedienen oder sogar einfangen, die parallel nebeneinander existieren. Laut dem US-Medienbeobachter Evan Shapiro stehen zwei Zielgruppen im Fokus: die Gen X und Best Ager einerseits sowie die Millennials und noch Jüngere andererseits. Für viele Mediengattungen gilt: Diese Zielgruppen überschneiden sich immer weniger beim Lesen, Hören, Sehen.
Getreu dem MEDIENTAGE-Motto „WTFuture?!“ ist aber auch ein optimistischer Blick in die Zukunft angesagt. KI eröffnet beispielsweise im (Lokal-)Journalismus neue Chancen, wenn es darum geht, neue und kostengünstige Formen von personalisierten „Echtzeit“-Formaten zu starten. Zusammen mit der Community Economy könnten Medien in der KI-geprägten Zukunft mehr und stärkere Personenmarken etablieren, die sich im Kampf um die Aufmerksamkeit bei Menschen jeder Altersklasse etablieren könnten. Es gibt sie also, die Rezepte und Ideen, um die zentrale Frage der Medien zu beantworten: Wo kommen die Konsument:innen und Geschäftsmodelle der Zukunft her?
Passend zu vielen Entwicklungen stand im Mittelpunkt der #MTM25 eine Erkenntnis: Stillstand ist keine Option (mehr).
Auch wenn die MTM als Konferenz bis zum 21. Oktober 2026 pausieren: Wir bleiben präsent! Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 39. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen im Info-Bereich der MEDIENTAGE-Homepage und auch im MTM-Blog bereit. Bilder für den Download (Quelle: Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN) sind in der Mediathek zu finden.
Zudem können zahlreiche MTM-Themen gehört werden: im Podcast "This is Media NOW".




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