YouTube etabliert sich als dominante Kraft auf dem großen Bildschirm, während klassische Sender zunehmend auf Creator-Formate und Plattform-Partnerschaften setzen. Amazon Prime Video positioniert sich als „One-Stop-Destination" mit Kooperationen von DAZN bis RTL+. Doch was bleibt am Ende übrig, wenn alle mit allen arbeiten? Zentrale Fragen zur Zukunft des Bewegtbildmarktes beim TV-Gipfel der #MTM25.
Im „Zeitalter der rasanten Konsolidierung“, wie es Henrik Pabst, Chief Content Officer der neu sortierten ProSiebenSat.1 Group, muss sich auch der Bewegtbildmarkt in Deutschland neu sortieren. War es über Jahrzehnte hinweg der Kampf zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern auf der Fernbedienung, so hat längst der Streamer-Button einen dominanten Platz beim Zugang zum großen Bildschirm, wie BR-Intendantin Dr. Katja Wildermuth beim TV-Gipfel der #MTM25 bedauert. Und Großmacht YouTube ist nicht mehr nur Short Form auf dem Smartphone, sondern prominenter Zuwachs auf dem Screen. Mit Tendenz zu mehr, macht der zuständige Director Content Partnerships for Central Europe der Google-Tochter, Andreas Briese, deutlich. Seit dem Frühjahr versteht sich das Google-Unternehmen ohnehin als „Fernsehen“.
Beide Welten aus klassischer Produktion und Creator verschmelzen gerade laut Briese. „Jetzt kommt der nächste Schritt, bei dem YouTuber Dinge produzieren, die in TV sowie Kino und damit auf dem großen Screen funktionieren. Wir gehen davon aus, dass wir in Zukunft mehr davon sehen werden.“ YouTube sei in den USA inzwischen der meistgenutzte Streaming-Anbieter. „Das ist eine große Chance für unsere Creators, dorthin zu kommen, wo das beste Bild und der beste Ton überzeugen.“ Ein Argument auch für partnernde TV-Anbieter, meint der Manager der Google-Tochter, der mit „The Race“ eine Content-Partnerschaft mit dem ProSiebenSat.1Angebot Joyn ein aktuelles Beispiel liefern kann.
Ein Player mit enormen Gewicht: 28.000 Arbeitsplätze und eine Milliarde Euro hängen laut Briese am Faktor YouTube allein in Deutschland. 40 bis 50 Prozent der Sehzeit in der BRD stamme von „lokalen Uploadern“, aber gut die Hälfte der Uploads resultiert ist ist aus dem Ausland. Deutscher Content ist Briese zufolge ein Exportschlager. Mit einer besonderen Fan-Gruppe: „YouTube bietet eine Umgebung, die eine Beziehung zwischen Fan und Marke aufbauen kann.“
Creators bringen Fans und Bindung
Auch Pabst weist auf die wachsende Bedeutung der Creator Economy hin: „In diesem Jahr haben wird zwischen 30 und 40 Creator-Formate bei Joyn. Das ist relevant in einer Zeit, in der sich das Ökosystem Reichweite massiv verändert hat.“ Mit Blick auf Zielgruppen, die erreicht und monetarisiert werden müssen, sei YouTube ein wichtiger Partner. Laut dem CCO der Unterföhringer wird diese Zusammenarbeit noch bedeutsamer.
„Creators sind da und wichtig. Sie werden uns neue Produktionsweisen beibringen, neue Erzählformen. Daher sollten wir sie als TV-Branche umarmen und ernst nehmen.“ Gute Marken und Produktionen würden aus seiner Sicht mehr und mehr die Exklusivität der Inhalte ausstechen; darauf zu setzen, werde immer schwieriger. Pabst: „Man darf nicht vergessen: Manche User kommen einfach nicht mehr zurück, sie haben ihr Nutzerverhalten massiv geändert.“
Elke Walthelm, COO bei Sky Deutschland, hat ein zentrales Anliegen: „Wie machen wir die Inhalte bekannt? Wie wissen die Leute da draußen, dass wir gute Inhalte liefern?“ Aus diesem Grund setze auch Sky auf YouTube mit 22 eigenen Accounts und zehn Millionen Followern. „So erreichen wir Menschen, die sich für unseren Content interessieren und bereit sind, dafür zu bezahlen.“ Sie verweist auf die gute Partnerschaft mit Brieses Team, „von der beide Seiten profitieren“.
Walthelm berichtet vom „Content Driving Value: Es muss so produziert werden, dass Kund:innen bereit sind, dafür zu bezahlen.“ Allerdings helfe viel nicht immer viel. „Wir müssen smart und klug investieren, auch in Dinge, die Vielfalt transportieren und Engagement forcieren.“
Wo bleibt die Identität im großen Miteinander?
Wie verträgt sich YouTube mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag? BR-Intendantin Wildermuth versteht das Engagement bei TikTok oder YouTube als Teil der Pflicht, überall dort zu sein, wo die Menschen sind. Nur bei dem Thema Reichweite ticke die ARD anders und mit weniger Druck – „Absenderzuschreibung“ müsse klar sein. „Meine Strategie ist eine langfristige Bindungsstrategie, die Inhalte müssen uns zugeordnet werden. Kurzfristige Reichweite steht nicht an erster Stelle“, so die BR-Chefin.

Auf dem Weg zu absoluten One-Stop-Destination und alles aus einer Hand? Immer mehr, zuletzt auch durch die gerade verkündete Partnerschaft mit RTL+, berichtet Dr. Christoph Schneider, Country Director Prime Video D/AT & Managing Director Amazon Digital Germany über Prime Video. WOW, DAZN, Paramount – zu diesen Namen würden sich Schneiders Aussagen zufolge weitere Partner gesellen, „wir sind auch offen für YouTube-Formate, eigentlich für jeden“. Schneider: „Unser Ziel ist ein Lean-back-Angebot für unsere Kund:innen“, so der deutsche Prime-Verantwortliche. Doch der Shop sei nur so interessant wie die Marken, Vermischung im Channel Business strebe Prime Video daher nicht an, so Schneider, der Prime Video als „Host für viele Marken mit Inhalten, die leuchten“ bezeichnet.
Selbst produziere Amazon 15 bis 20 Formate pro Jahr in Deutschland on Top, aktuell liegt der Hauptaugenmerk auf der zweiten Staffel des deutschen Serien-Hits „Maxton Hall“. Genre-Vielfalt kommt beim Streamer also aus Partnerschaften ebenso wie aus der eigenen Reihe. Beides ist Schneider wichtig, um alle Zielgruppen abdecken zu können: „Mit Blick auf die Alterspyramide können wir nicht nur die 35-Jährigen bedienen.“ Darauf dürfte auch die Content-Kooperation mit Sat.1 beim Revival von „Der letzte Bulle“ einzahlen, der am 31. Oktober zunächst bei Prime startet und vier Wochen später bei ProSiebenSat.1. Schneider betont: „Gemeinsam erreichen wir Zielgruppen, die ProSiebenSat.1 allein nicht adressieren kann, und wir können das Franchise gemeinsam größer und erfolgreicher zu machen.“
ProSiebenSat.1-Manager Pabst pflichtet bei: Gemeinsam könne man mehr und Größeres produzieren. „Das ist ein Miteinander, trotzdem müssen wir aufpassen, dass wir an bestimmten Stellen alleine gehen.“ Das „Windowing“, mit dem auch die Zeitspannen zwischen Ausstrahlung hier und dort gesteuert werden, müsse beobachtet und angepasst werden.
Fragen, die das neue Miteinander aufwirft
„Wir reden hier über Marktdominanz“, stuft BR-Intendantin Wildermuth die Konzentration auf wenige große Plattformen auch kritisch ein. „Was bleibt am Ende übrig, wenn alle mit allen arbeiten? Wer sitzt dann in zehn Jahren noch auf dieser Bühne?“ Ihre Frage an die Branche beim TV-Gipfel der #MTM25: „Muss man alles mitmachen, was der Markt diktiert?“ 860 Millionen Euro investiert die ARD jährlich im deutschen Produktionsmarkt. Wildermuth: „Wie plural wollen wir in Zukunft sein, lohnt sich unser Investment in Produktionen, wenn wir nicht mehr direkt zum Zuschauenden kommen? Wo finden die Nutzer:innen noch Unterscheidbares?“ Sie wünscht sich dazu eine breite Debatte, um die Vielfalt im deutschen Bewegtbildmarkt zu sichern.
Rund eine Milliarde investiert ProSiebenSat.1 in den Produktionsmarkt, ein Großteil davon geht laut Pabst in den lokalen Markt. Für TV wie Streaming. Abgrenzen? Oder mehr verschränken zu einem großen Ganzen? Der ProSiebenSat.1-CCO: „Es stehen in dieser Gemeinde noch mehr Häuser, die ich besuchen muss.“ Einen generellen Appell an die Vranche zur Veränderung spricht Pabst aus: „Wenn wir den Produktionsmarkt Deutschland gut erhalten wollen, müssen wir uns verändern.“ Pabst plädiert dafür, Teamgrößen zu hinterfragen, Kosten, den KI-Einsatz. „Es kann nicht sein, dass ich 'The Voice' deutlich günstiger in Holland produziere.“ Die ganze Branche müsse hier umdenken, so der ProSiebenSat.1-Manager.
Wie wird sich der Markt neu sortieren? Das bleibt abzuwarten. Henrik Pabst bringt die entscheidenden Leitplanken für kommerzielle Anbieter ins Spiel: „Am Ende diktiert der Werbemarkt, was wir tun.“
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