
Tiefgreifender Wandel im audiovisuellen Markt Europas: Während traditionelle TV-Sender mit sinkenden Zuschauerzahlen und Werbeeinnahmen kämpfen, dominieren US-Streaming-Anbieter zunehmend den großen Bildschirm. Eine Studie des European Audiovisual Observatory im Europarat zeichnet ein klares Bild dieser Verschiebung: Europäische Medienunternehmen verlieren kontinuierlich Marktanteile an amerikanische Plattformen wie Netflix und YouTube. Zeit, einen genauen Blick auf diese Entwicklung zu werfen.
Die jüngsten Nielsen-Zahlen für den deutschen Bruttowerbemarkt sprechen eine deutliche Sprache: Die Gattung Fernsehen gab im März 6,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat nach. Auch wenn das werbeintensive Osterfest dieses Jahr ins zweite Quartal gefallen und damit ein Teil des März-Verlustes zu erklären ist: Der Trend ist eindeutig. Klassische Medien geraten zunehmend unter Druck. Für das Gesamtjahr 2025 rechnen Expert:innen bestenfalls mit einer Stagnation im TV-Bereich, während digitale Werbeformate weiter kräftig zulegen.
Vor diesem Hintergrund machen die Ergebnisse der neuen Studie „Top players in the European AV Industry – Concentration, statute, origin and profile“ der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle des Europarats in Straßburg besonders nachdenklich.
Die 38-seitige Analyse beleuchtet die 100 umsatzstärksten audiovisuellen Gruppen in Europa und zeigt, wie diese in verschiedenen Marktsegmenten (Pay-TV, Streaming, Werbung, öffentliche Finanzierung) aufgestellt sind. Untersucht wurden unter anderem Marktanteile, Eigentumsverhältnisse, Herkunft, Geschäftsmodell (etwa klassische Sender, Telkos, reine Streaming-Dienste), geografische Präsenz und Veränderungen durch Fusionen oder Übernahmen.
Demnach verschieben sich die Machtverhältnisse über die großen Bildschirme in den Haushalten Europas zunehmend in Richtung global agierender Digitalunternehmen. Mit der Wanderung des Publikums raus aus klassischem Fernsehen, über Pay-TV und hin zu Streaming und Social Video, verlieren die europäischen Anbieter immer mehr Zuschauende und Erlöse an US-amerikanische oder globale Unternehmen.
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie „Top players in the European AV Industry – Concentration, statute, origin and profile“ im Überblick:
Noch sind Europas Bewegtbild-Marken stark
Sie erwirtschaften noch 59 Prozent der Umsätze der Top-100-Gruppen – allerdings sind das acht Prozentpunkte weniger als 2016. Reine Streaming-Anbieter beziehungsweise jene Digital-Unternehmen, die nicht auf traditionelle TV-Kanäle angewiesen sind. (Pure OTT), kommen mittlerweile auf 17 Prozent der audiovisuellen Umsätze – ein Plus von 14 Prozentpunkten seit 2016.
In den zukunftsträchtigen Bereichen Streaming und Online-Werbung (SVoD & OTT Advertising) stehen nicht-europäische Player bereits für 88 Prozent des Umsatzes. Indes dominieren europäische Gruppen wie Sky oder die RTL-Familie noch das klassische Geschäft mit Pay-TV und Fernsehwerbung (74 Prozent Marktanteil).
Die Marktstruktur verändert sich
Sky-Eigner Comcast ist zwar noch der Analyse zufolge noch der größte audiovisuelle Konzern in Europa mit etwa zehn Prozent Anteil am Gesamtumsatz der Top-100-Unternehmen. Doch Netflix und Google-Tochter YouTube erreichen zusammen bereits etwa denselben Anteil.
Die Eigentümerstruktur zeigt eine klare Tendenz: Über 70 Prozent der Umsätze im europäischen Bewegtbildmarkt werden von privaten Unternehmen kontrolliert, insbesondere aus den USA.
Öffentlich-rechtliche Anbieter wie ARD und BBC behaupten sich zwar noch, verlieren aber kontinuierlich an Einfluss im Gesamtmarkt.
US-Dominanz im SVoD – und Netflix sticht heraus
Im Abo-finanzierten Streaming-Bereich (Subscription Video on Demand) ist die Überlegenheit amerikanischer Anbieter erdrückend. Netflix allein macht fast 40 Prozent des europäischen SVoD-Marktes aus. Und während traditionelle Medienhäuser um Marktanteile kämpfen, meldet Netflix einen Erfolg nach der anderen (Netflix hat im ersten Quartal 2025 die Erwartungen übertroffen und den Umsatz auf 10,54 Milliarden US-Dollar und den Gewinn auf 2,89 Milliarden US-Dollar gesteigert).
Hier die Verteilung der Publikums-Vorlieben im deutschen Markt, wie sie die Streaming-Suchmaschine JustWatch für das erste Quartal 2025 ausgewertet hat – mit dem deutschen Publikumsliebling Prime Video:
Den SVoD-Sektor, also das Geschäft mit den Streaming-Abos, stuft die Europäische Audiovisuelle Informationsstelle des Europarats als „extrem konzentriert“ ein: Fast neun von zehn umgesetzten SVoD-Euros gehen an US-Marken.
Pay-TV ist in europäischer Hand
Beim Bezahlfernsehen dominiert Sky mit einem Viertel des Marktes. Erfreulich aus europäischer Sicht: Acht der Top-10-Anbieter sind europäisch, darunter viele Telekommunikations-Unternehmen wie Vodafone und die Deutsche Telekom. Öffentlich-rechtliche Anbieter spielen in diesem Segment allerdings nur eine untergeordnete Rolle.
Digitale Verschiebung im Werbemarkt
Während die klassische TV-Werbung noch stark europäisch geprägt ist (85 Prozent Umsatzanteil) und von der Marke RTL angeführt wird, dominieren im digitalen Werbeumfeld Plattformen wie YouTube, Meta und TikTok. Die Google-Tochter als größter Streamer vereint fast die Hälfte der Werbespendings auf sich, die europaweit im digitalen Bewegtbildumfeld ausgegeben werden.
Die Europarat-Analyse belegt die YouTube-Dominanz in begehrten Werbeumfeldern (Quelle: Studie)
Studien-Autorin Laura Ene Iancu macht mit Blick auf die Zweiteilung zwischen klassischen Umfeldern und digitalem Milieu deutlich, dass der Anteil europäischer Gruppen am gesamten audiovisuellen Werbemarkt kontinuierlich sinkt.
Konsolidierungswelle setzt sich fort
Der Markt bleibt in Bewegung, wie die jüngsten Fusionen und Übernahmen zeigen. Canal+ etwa expandiert durch Übernahmen, unter anderem des Filmgeschäfts von Orange. Amazon Prime Video kauft Produktionskapazitäten wie die Bray Studios in Großbritannien. Sport-Streamer DAZN sichert sich Eleven Sports in Belgien und Portugal. Die BBC Studios erwerben STV in Skandinavien.
Zugleich ziehen sich manche Anbieter aus Nebenmärkten zurück, wie etwa die Telekom mit dem Verkauf von Tower-Infrastruktur oder ITV mit dem Rückzug von Britbox aus bestimmten Märkten.
Fazit: Anpassungsdruck bleibt hoch
Die Dynamik des europäischen Medienmarktes zeigt eine klare Richtung: Der Wettbewerbsdruck durch US-dominierte Streaming-Anbieter wird weiter zunehmen. Traditionelle europäische Medienunternehmen behaupten sich zwar noch im klassischen TV- und Pay-TV-Geschäft, doch die Wachstumsdynamik liegt eindeutig bei digitalen, grenzüberschreitenden Angeboten.
Die zunehmende Marktkonzentration, besonders im SVoD- und OTT-Werbebereich, stellt europäische Medienunternehmen vor große Herausforderungen. Nur wer sich konsequent digital transformiert und internationale Strategien entwickelt, wird langfristig wettbewerbsfähig bleiben.
Das Beispiel Netflix zeigt, wie erfolgreich konsequente Digitalisierung und Internationalisierung sein können – eine Lektion, die europäische Medienhäuser dringend beherzigen sollten.
Der diesjährige Termin für das Klassentreffen des lokalen und regionalen Rundfunks steht: Am 25. und 26. Juni finden die LOKALRUNDFUNKTAGE 2025 im NCC Mitte NürnbergMesse statt. Zur Debatte steht dort auch in verschiedenen Sessions, mit welchen Themen und Angeboten sich lokales und regionales Fernsehen bei Publikum und Werbung positionieren kann.
Mehr Lesenswertes rund um die MEDIENTAGE MÜNCHEN findet Ihr im Blog. Inspirierendes kann passenderweise auch gehört werden: Mehr als 150 Folgen mit Host Lukas Schöne stehen inzwischen im MEDIENTAGE-Podcast "This is Media NOW" für Euch zum Abruf bereit – mit vielen spannenden Themen und Gesprächspartner:innen!
Kommentare