
Das VOCER-Institut für Digitale Resilienz hat ein Policy Paper an die neue Bundesregierung gerichtet. "Refounding Democracy 2025" wurde von führenden Köpfen aus Journalismus, Medienpolitik, Wirtschaft und Stiftungen entwickelt. Dr. Stephan Weichert, Gründer und Direktor des Instituts, spricht im Interview über Ansätze für mehr Medienvielfalt, unabhängige KI-Regulierung und eine nachhaltige Finanzierung lokaler Journalismus-Startups.
Aus Ihrer Sicht ist es überfällig, Journalismus in der Abgabenordnung als gemeinnützig anzuerkennen – warum?
Die Politik sollte den gemeinnützigen Journalismus in der Abgabenordnung verankern, damit eher gemeinwohlorientierte Projekte in Ergänzung zu privatwirtschaftlichen ebenfalls eine stabile finanzielle Grundlage erhalten und nicht länger von Finanzamts-Einzelfallentscheidungen abhängen, wie es derzeit der Fall ist.
Aktuelles Problem: Sogar innerhalb der einzelnen Ämter wird je nach Sachbearbeitendem anders entschieden, Beispiele dafür gibt es zuhauf. Deshalb braucht der gemeinnützige Journalismus endlich Rechtssicherheit.
Mit der Gemeinnützigkeit käme neben den wirtschaftsorientierten Medien und den öffentlich-rechtlichen Häusern eine weitere resiliente Säule hinzu, die wir 'dritten Sektor' nennen.
Stephan Weichert
Woran scheitert die im Policy Paper geforderte Anerkennung bislang?
Nach meiner Beobachtung fehlt es an politischem Willen. Man darf dabei nicht vergessen: Eine solche Änderung in der Abgabenordnung kostet den Steuerzahler nicht viel Geld, es wäre aber der Resilienz der gesamten Branche sehr zuträglich. Denn für die Resilienz journalistischer Organisationen ist es am Ende des Tages gar nicht so sehr entscheidend, ob sie "For Profit" oder "Non Profit" wirtschaften – sondern, ob ihre Geschäftsmodelle auf Dauer tragfähig sind. Mit der Gemeinnützigkeit käme neben den wirtschaftsorientierten Medien und den öffentlich-rechtlichen Häusern eine weitere resiliente Säule hinzu, die wir "dritten Sektor" nennen.
Die rechtliche Unklarheit sorgt jedoch bisweilen dafür, dass nur wenige Journalist:innen im Lokalen gründen wollen, obwohl sie auf ganzer Linie bereit dazu wären. Wir brauchen hierfür ein neues Fördersystem, etwa um die ländlichen Räume in Bezug auf die journalistische Demokratiearbeit zu stützen, aber auch, um den beginnenden Braindrain aus dem Journalismus in andere Branchen aufzuhalten.
Gibt es dafür bereits internationale Vorbilder?
In den USA gibt es etliche etablierte gemeinnützige journalistische Organisationen. Aktuell zählt die Dachorganisation Institute for Nonprofit News (INN) über 475 als gemeinnützig anerkannte Newsrooms in den USA. Allen voran die Investigativ-Schwergewichte Pro Publica und das Center for Investigative Reporting, das bereits 1977 Jahren seine gemeinnützige Arbeit aufnahm und unter deren Dach seit kurzem die Mutter aller Nonprofit-Redaktionen – die "Mother Jones"“ – erscheint. Im Lokalen gibt es die Voice of San Diego, CalMatters, The Texas Tribune und die MinnPost in Minnesota.
Alle genannten Nonprofit-Newsrooms finanzieren sich über Privatspenden und Stiftungsgelder – und sind steuerbefreit. Gleichwohl wissen wir aktuell nicht, wie es in Amerika mit dem Journalismus weitergeht. Dort werden Journalist:innen gecancelt, eingeschüchtert und durch die Trump-Administration verunglimpft.
Es muss attraktiver gemacht werden, neue journalistische Projekte und Medien-Startups anzuschieben.
Stephan Weichert
Hierzulande wächst die Angst vor "Nachrichtenwüsten", in denen keine gedruckte Tageszeitung mehr erscheint. Wie kann die Politik helfen, gegenzusteuern?
Die Politik müsste beherzter nachhaltige Innovationsfonds für Lokalgründer:innen auflegen, die über die klassische Anschubfinanzierung von zwei bis drei Jahren hinausgehen. Das heißt, es muss attraktiver gemacht werden, neue journalistische Projekte und Medien-Startups anzuschieben, ohne sich von Beginn an dem aktuellen wirtschaftlichen Druck stellen zu müssen. Gerade frisch gegründete Redaktionen brauchen mehr Planungssicherheit.
In unserem Appell an die Politik geht es daher zum einen darum, neue strukturelle Rahmenbedingungen zu schaffen, um die ersten fünf Jahre nach Gründung durchzustehen. Da wird für meinen Geschmack derzeit bisher zu wenig geklotzt und zu viel gekleckert.
Und zum anderen?
Es gibt glücklicherweise noch viele Kleinverleger:innen, die aus Überzeugung an ihren Regionalzeitungen festhalten und sich derzeit fragen, wie lange sie es noch schaffen, die defizitäre Zeitung in ihren Kleinstädten am Leben zu halten, ohne dass diese zu "Zombiezeitungen" mutieren. Auch solche ehrenhaften Medienhäuser, in denen die Verleger:innen keinen goldenen Rolls Royce fahren, haben Unterstützung verdient.
Wir müssen hier also auch an staatliche Förderinstrumente für diese leidenden Familienbetriebe denken. Die bestehenden Lokalmatador:innen könnten dann im Schulterschluss mit den neuen Medien-Pionier:innen zusammenarbeiten.
Das Policy Paper fordert zudem eine klare Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte. Wer sollte so ein "Gütesiegel" kontrollieren?
Aufgrund möglicher Befangenheiten und Abhängigkeiten der handelnden Politik fände ich es etwas ungelenk, wenn es von Ministeriums- oder Behördenseite selbst kontrolliert würde. Besser wäre eine unabhängige Denkfabrik, die mit unabhängigen Personen besetzt ist - vergleichbar dem deutschen Ethikrat – und die ein solches Siegel in Eigenverantwortung und, mit entsprechenden Mitteln ausgestattet, stemmen kann.
Denkbar wäre ein Bündnis aus bestehenden Organisationen, idealerweise sogar länderübergreifend. Unser Institut arbeitet derzeit an einem konkreten Vorschlag.
KI stellt nicht nur für Verlage, sondern auch für freie Medienschaffende eine Herausforderung dar. Wie könnte hier geholfen werden?
Aus unserer langjährigen Erfahrung wissen wir, dass sich aktuell viele Journalist:innen fragen: Wo stehe ich eigentlich in der KI-Welt – als Mensch und als Journalist:in? Viele Kolleg:innen haben Angst vor dem Verlust ihres Jobs und ihrer professionellen Identität.
Hier wären noch viel mehr öffentlich geförderte Bildungsangebote für Journalist:innen und Redaktionen der Schlüssel zu mehr "KI-Resilienz", vor allem für Freischaffende.
Das Paper fordert die Politik auch auf, solch unabhängige Weiterbildungszentren und Schnittstellenorganisation wie das VOCER-Institut zu fördern. Warum ist das so wichtig?
Allein in den letzten Jahren seit Corona haben wir mehr als 500 Journalist:innen in verschiedenen Formaten weitergebildet, gecoacht und beraten. Wir betrachten uns – wie der Name schon sagt – an der Schnittstelle zwischen Medienpolitik, Redaktionen und Verbänden, indem wir verbindende Räume für Dialog schaffen und weitestgehend kostenfreie Weiterbildungen anbieten.
Noch in diesem Jahr gehen wir zudem neue konkrete Fördervorhaben an, etwa die Einrichtung eines Innovationshubs für lokaljournalistische Pilotprojekte sowie die ersten "journalistische Resilienzkonferenz".
Zur Person:
Dr. Stephan Weichert (Foto oben; VOCER-Institut, Martin Kunze) ist Publizist, Social Entrepreneur und Vorstand des VOCER-Instituts für Digitale Resilienz, einer gemeinnützigen Forschungs- und Weiterbildungseinrichtung, die sich für robusten Journalismus einsetzt. Weichert arbeitet außerdem seit 25 Jahren als Dozent und Lehrbeauftragter (TU Dortmund, City University of New York und FH Graz). Der Experte engagiert sich in zahlreichen Verbänden und Jurys; aktuell ist er Beirat des Forums für gemeinnützigen Journalismus.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 38. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und im MTM-Blog bereit. Dort kann auch der wöchentliche Blog-Newsletter abonniert werden.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der MEDIENTAGE MÜNCHEN.
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