
Die Initiatoren des Projekts Zuversicht sagen der schlechten Stimmung im Land den Kampf an. Den Anfang macht eine Studie von rheingold salon, Initiative 18 und #UseTheNews. Neben Ursachenforschung geht es dabei um konkrete Anregungen für Politik, Medien und Unternehmen: Wie können die Menschen wieder für Aufbruch, Optimismus und gesellschaftlichen Zusammenhalt begeistert werden?
Darüber spricht Jens Lönneker, Tiefenpsychologe und Inhaber des Marktforschungsunternehmens rheingold salon, im Interview mit dem MTM-Blog.
Die Ausgangslage für das Projekt Zuversicht ist eher düster. Laut Ihrer Studie sieht die Mehrheit der Deutschen schwarz für die Zukunft unseres Landes.
Das ist richtig. Wir sehen eine ausgeprägte Schwarzmalerei, wenn es um das gesamte Land geht. Fast 80 Prozent der Deutschen denken, wir fahren Deutschland an die Wand, wenn wir so weitermachen wie bisher.
Auf der anderen Seite bewerten die Menschen ihre persönliche Situation und ihr individuelles Umfeld durchaus positiv. Wir erleben eine tiefe Spaltung zwischen der Einschätzung der eigenen Lage und der Bewertung von großen gesellschaftlichen Institutionen.
Frei nach Sartre: "Die Hölle sind immer die anderen". Worauf führen Sie diese Spaltung zurück?
Die anhaltende Individualisierung der Gesellschaft, Multikrisen und die Transformation vieler Wirtschaftsbereiche haben zu einer Erosion gemeinschaftlicher Fundamente geführt. In Umfragen sehen wir, dass Politik und Medien heute schlechter bewertet werden als vor ein paar Jahren. Die Relevanz großer Institutionen nimmt ab: Kirchen, Gewerkschaften und politische Parteien verzeichnen sinkende Mitgliederzahlen.
Die Menschen erleben einen Verlust an Selbstwirksamkeit in der Gemeinschaft. Dieser Verlust wird im persönlichen Umfeld weniger stark erlebt: Hier gibt es noch unmittelbares Feedback und Gestaltungsspielraum. Hier haben die Menschen noch das Gefühl, dass sie etwas bewirken können.
Nur zehn Prozent der Befragten denken, dass sie in Deutschland etwas verändern oder beeinflussen können. Glauben die Menschen überhaupt noch an die Demokratie?
In Bezug auf das große Ganze fühlen sie sich die meisten nicht wirkmächtig. Wir wissen aus der psychologischen Forschung, dass Menschen mit einer geringeren Selbstwirksamkeit und Selbsteinschätzung sich weniger zutrauen. Und genau darin liegt die Gefahr: Wer denkt, dass er im bestehenden System ohnehin nichts bewegen kann, fühlt sich vielleicht eher zu populistischen Ansichten hingezogen oder stellt das System als Ganzes infrage.
Wie kann die Zuversicht zurückkehren?
Wir sehen, dass Menschen, die stärker gemeinschaftlich organisiert sind, auch mehr Zuversicht haben. Viele Befragte unserer Studie wünschen sich eine stärkere Gemeinschaft und mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie wollen gemeinsame Ziele erreichen und so wieder mehr Selbstwirksamkeit spüren. Sie berichten von gemeinsamen Erlebnissen im Heimat- oder Sportverein, von Projekten in der Gemeinde, wie dem Bau eines Spielplatzes oder der Einrichtung von Wanderwegen.
Die Gemeinschaft muss konkrete Ziele verfolgen und sie auf den Weg bringen. Das gibt den Leuten Auftrieb und Zuversicht. Es hilft nichts, sich zusammenzurotten und übers Leben zu klagen.
Das souveräne Individuum gehört zu den großen Errungenschaften der Aufklärung – warum fühlen sich gerade jetzt so viele auf sich allein gestellt?
Die Vernunft ist nicht das Einzige, was uns bei der Demokratie hält. Das können wir gerade auch in den USA verfolgen: Wenn es den Leuten wirtschaftlich schlecht geht, dann pfeifen sie auch mal auf die Vernunft.
Zu den Dimensionen der Aufklärung gehören auch Gleichheit und Brüderlichkeit. Ohne die Verankerung in der Gemeinschaft fühlt sich der Einzelne heute schwächer als je zuvor.
Wie können Politik und Medien dazu beitragen, dass sich die Stimmung dreht?
Die Politiker könnten den Menschen mehr zuhören und gemeinschaftliche Momente stärker herausarbeiten. Vielen geht es in erster Linie darum, ihre eigenen Vorstellungen und Meinungen kundzutun. Die Leute haben das Gefühl, da kommt jemand, und erzählt mir, wie ich die Welt sehen soll. Da gibt es zu wenig Zuhören und zu wenig Miteinander.
Das lässt sich nur im Zusammenspiel mit den Medien drehen. Auch sie müssen mehr zuhören, Lösungswege aufzeigen und über positive Entwicklungen berichten. Wir beschreiben das als "konstruktiven Journalismus".
Was genau verstehen Sie darunter?
Ich weiß, das viele Journalist:innen das kritisch sehen und viele denken, wir erwarten von ihnen Schönfärberei. Darum geht es uns nicht. Ein kritischer Blick auf die Entwicklungen ist weiterhin notwendig. Aber man muss nicht mit jedem Beitrag alarmieren und allein das betonen, was alles falsch läuft und nicht funktioniert.
Gerade im lokalen und regionalen Bereich gibt es so viele positive Errungenschaften und Entwicklungen. Viele Menschen wünschen sich wieder mehr Nachrichten, die ihnen Zuversicht vermitteln können.
Einige Zeitungen haben spezielle Rubriken für "Gute Nachrichten" eingerichtet. Da steht dann zum Beispiel, dass die Freibadsaison eröffnet wurde oder ein Wal einen Mann wieder ausgespuckt hat …
Konstruktiver Journalismus kann zum Beispiel sein, dass man über ein Projekt im Raum Köln berichtet, bei dem ein Energieversorger gemeinsam mit der Universität eine neue Technologie entwickelt hat, die das Wasser aus dem Rhein als Energiequelle nutzt.
Welche Bedeutung kommt den lokalen und regionalen Medien zu?
Wir sind überzeugt davon, dass das lokale und regionale Umfeld für das Erleben von Gemeinschaft extrem wichtig ist. Deshalb ist es ja auch so entscheidend, dass die Finanzierung der regionalen Medien nicht wegfällt.
Wir wissen aus der Sozialforschung, dass die Bereitschaft zu Populismus und Extremismus wächst, wenn regionale Medien fehlen. Sie sind ein wichtiger Demokratieanker. Auch für die Politik ist es wichtig, sie zu schützen – schon aus Eigeninteresse, denn Lokalpolitiker finden auf nationaler Ebene in den Medien kaum statt.
Bei den Jüngeren kommt das alles nicht mehr an. Sie informieren sich vor allem in den Sozialen Medien über das Zeitgeschehen und suchen dort Gemeinschaft und Bestätigung.
Wir haben in unseren Interviews nicht das Feedback bekommen, dass es dabei um ein intensives Gemeinschaftserlebnis geht. Die Austauschformen in den Sozialen Medien sind doch eher unverbindlich und oberflächlich – hier ein Kommentar, da ein Meme. Gemeinschaft braucht Verbindlichkeit.
Wir müssen wieder lernen, uns darauf einzulassen, den Menschen ernsthaft zuzuhören und den anderen nicht nur als Stichwortgeber zu verstehen. Mehr als 80 Prozent der Deutschen haben das Gefühl, dass viele lieber eine Diskussion gewinnen wollen, statt zuzuhören. Über 70 Prozent denken, dass viele eine "Wir Gegen die anderen"!-Mentalität haben.
Viele haben das Gefühl, dass extremistischen Ansichten schon zu oft Gehör geschenkt wurde und das dies zur "Normalisierung" der AfD beigetragen hat.
Wir müssen hier einen klaren Unterschied machen: Als demokratische Gesellschaft dürfen wir rechtsextremistischen Doktrinen und Politikern, die sie verbreiten, keine Bühne geben. Aber wir können auch nicht weiter ignorieren, dass ein großer Teil der Bevölkerung das Gefühl hat, kein Gehör mehr zu finden.
Wir müssen den Menschen wieder zuhören, ihre Ängste und Sorgen ernst nehmen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Wir brauchen keine Bühne für die AfD, sondern eine Bühne für die Leute, die sich mit ihren Anliegen nicht berücksichtigt fühlen.
Wie können Unternehmen und Marken den Vertrauensvorschuss, auf den Ihre Studie hinweist, positiv nutzen?
Die Voraussetzungen für die Unternehmen, in Deutschland etwas zu bewegen, sind wirklich gut: Sie werden in zahlreichen Studien, nicht nur in unserer eigenen, besser bewertet als Politik und Medien. Man traut der Wirtschaft eher zu, die Stimmung zu drehen, etwas im Land positiv zu verändern. Dazu kommt, dass erfolgreiche Unternehmen einen großen Kreis an Käufer:innen oder Nutzer:innen haben.
Die Gemeinschaft gehört bereits zu ihrer DNA. Wir empfehlen ihnen, diesen Gemeinschaftsaspekt stärker zu betonen, an Gemeinschaftsbildung und Zusammenhalt zu appellieren.
Im Marketing geht es eher um Einzigartigkeit. Gemeinschaft allein macht eine Marke nicht vom Wettbewerber unterscheidbar.
Die Kunst besteht darin, die Gemeinschaftsbildung in einer besonderen Art und Weise zu inszenieren. Ein Beispiel ist die Kampagne der Telekom gegen Hate Speech im Netz, die wunderbar zum Claim "Erleben, was verbindet" passt. Aber auch eine Marke wie Brunch positioniert sich hier wirklich gut mit ihrer "House of Colours"-Kommunikation: In diesem Haus stehen die Menschen in ihren Wohnungen für die verschiedenen Brunch-Sorten und ihre -Farben. Sie behalten ihre Eigenart und bilden dennoch gemeinsam eine attraktive Hausgemeinschaft.
Wir sehen in unserer Studie, dass die Menschen Sehnsucht danach haben, in der Gemeinschaft wieder eine Rolle zu spielen, gemeinsame Ziele zu verfolgen. Wir sind sicher, dass es einen Weg gibt, diese Aspekte in der Werbung stärker zu betonen.
Die Studie bildet den Auftakt für das Projekt Zuversicht, an dem sich bereits eine Reihe von Partnern aus Wirtschaft und Medien beteiligt haben. Wie werden die Erkenntnisse umgesetzt?
Es gibt bereits konkrete Ansätze aus dem Kreis der Initiatoren und Partner. Zum Beispiel die Nachwuchskampagne "Heads up Germany". Hier fließen die Erkenntnisse der Studie in einen Arbeitsauftrag an den Nachwuchs in Werbung, Marketing, Journalismus und Politik.
Gefragt sind unkonventionelle Ideen und kreative Lösungsansätze: Wie lässt sich Gemeinschaft neu beleben und wie gewinnen die Menschen ihre Selbstwirksamkeit zurück?
Ein weiteres Beispiel ist der Local Solution Monitor. Die Funke-Gruppe und das Hamburger Abendblatt zeigen hier, wie Lokaljournalismus gemeinsam mit einer engagierten Community unter dem Motto "Jobs to be Done" Probleme löst. Wir setzen auch auf die Verzahnung mit bestehenden Projekten wie der Initiative Staatsreform um Julia Jäkel, Peer Steinbrück, Thomas de Maizière und Andreas Voßkuhle, die das Thema Demokratie- und Staatsverdrossenheit auf Ebene der Institutionen angeht.
Sind Sie offen für weitere Partner?
Natürlich. Das Projekt ist ein "Work in Progress" und wir freuen uns über weitere Partner und Konzepte. Wir sind überzeugt davon, dass jeder etwas dafür tun kann, dass sich die Stimmung im Land dreht und die Menschen ihre Zuversicht zurückgewinnen.
Zur Person:
Jens Lönneker (Foto: Roland Brandschuh) ist Tiefenpsychologe mit dem Schwerpunkt Markt-, Medien und Kulturforschung. Er forscht und berät national wie international in den Bereichen Grundlagenforschung, Produkt- und Markenentwicklung und Kommunikationsstrategien. Als Lehrbeauftragter bzw. Referent war Lönneker u.a. an der Universität der Künste in Berlin, der Business School Berlin (BSB) und der Universität St. Gallen tätig. Er ist Präsident der Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens e.V. (G·E·M) – eine der ältesten Forschungsgesellschaften in Deutschland mit einer Tradition von über 100 Jahren.
Jens Lönneker ist einer der Gründer der rheingold Gruppe. Zusammen mit seiner Frau Ines Imdahl gründete er 2010 den rheingold salon – heute eine der ersten Adressen in der qualitativen Markt-Medienforschung.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 38. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und im MTM-Blog bereit. Dort kann auch der wöchentliche Blog-Newsletter abonniert werden.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der MEDIENTAGE MÜNCHEN.
Kommentare