Über die Ukraine ist Ende Februar der Krieg hereingebrochen. Die Auseinandersetzung mit dem russischen Angreifer prägt auch ein Medien- und Informationskrieg erschreckenden Ausmaßes: Russland schaltet kritische Medien aus, während ukrainische Redaktionen schier Unmögliches leisten und die Welt außerhalb der Region sich in Medien und Social Web mit einer Bilderflut konfrontiert sieht, die der sorgfältigen Einordnung bedarf. Medienmacher:innen und Expert:innen haben sich im Rahmen der #MTMDigitalks mit den Facetten des Medienkrieges beschäftigt.
„Krieg ist auch Medienkrieg“, macht Stefan Sutor, (Foto oben, rechts) Geschäftsführer der Medien.Bayern GmbH, zum Auftakt des Medientage-Online Specials deutlich. Dabei blickt er unter anderem auf die Besonderheiten des Ukraine-Konflikts, die neuen Mechanismen der medialen Meinungsbildung vor allem über soziale Kanäle. Oder auch die komplette Blockade externer Medien in Russland.
Marvin Schade, (Foto oben, links) Co-Gründer und Founding Editor des Branchendienstes Medieninsider sowie Moderator der sechsten Ausgabe der #MTMdigitalks, stellt die Frage: „Zeigen, was ist – oder verpixeln, was ist?“
„Der Krieg in der Ukraine markiert einen deutlichen Wandel in der Weltpolitik“, hebt Prof. Dr. Marlis Prinzing hervor. Über „ihre Wahrheit“ und ihr Narrativ wollten viele Parteien sich selbst zum Sieg verhelfen, sagt die Forscherin von der Hochschule Macromedia Köln. Prinzing: „Es erreichen uns viele Stimmen, die uns aktiv in diesen Krieg schicken wollen.“
Dafür stünden zahllose und besondere Bilder, verbunden mit der vagen Ahnung: „Manche davon sind wahr“. Doch wie können Medien zumindest versuchen, eine Wahrheit zu transportieren?
Die Wissenschafterin hat vier Thesen für Redaktionen parat:
„Distanz ist so wichtig“ im professionellen Kriegsjournalismus, erklärt Prof. Dr. Marlis Prinzing. Zumal Medien „gerade im Krieg hochbedeutsam“ seien: Sie können eine Krise verschlimmern, aber auch maßgeblich an einer Deeskalation mitwirken.
Für Christian Mihr ist dieser Krieg „in manchen Dingen sehr typisch“. Der Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen berichtet von den ersten sechs getöteten Journalist:innen; es seien ukrainische Kolleg:innen gewesen. Mindestens elf seien verletzt worden durch teils „ganz bewusste Angriffe“.
Mihr stuft die Taten als „Kriegsverbrechen“ ein, die Pressevertreter:innen seien gezielt von Kriegsparteien ausgeschaltet worden.
Anders sei dieser Krieg für uns und seine Organisation aufgrund der geopolitischen Nähe. Und: Entscheidend sei, dass viele Journalist:innen „im Land bleiben und berichten wollen“. Daher unterstützt das Team die Presse im Kriegsgebiet mit Schutzausrüstung oder Räumen.
Andriy Dikhatyarenko, Senior News Editor and Anchor beim öffentlich-rechtlichen ukrainischen Sender UA PBC, gehört zu denen, die im Land bleiben. Er hat mit dem Verlust von Kolleg:innen zu kämpfen. Und mit einer Arbeit unter schwersten Bedingungen; oft muss bei Bombenalarm fix in den Schutzkeller gewechselt werden.
Wie kommt ein Team in den Kriegswirren noch an relevante Informationen, wie werden sie verfiziert?
In heiß umkämpften Regionen wie Mariupol oder Sumy seien eigene Quellen aufgebaut worden, durch Gegenfragen bei Dritten werde versucht, Informationen gegenzuchecken. Wichtig für Andriy Dikhatyarenko: Sein Team zeigt keine militärischen Einheiten aus seiner Heimat, die russische Beobachter:innen nutzen könnten. Immer habe man im Bewusstsein, die eigenen Bürger:innen nicht zu gefährden.
Daneben schildert Mihr den Zusammenbruch unabhängiger Medien in Russland. Er beobachtet eine „dramatische Entwicklung in den vergangenen Wochen“. Unabhängige Medien seien aufgelöst, verboten oder blockiert worden, viele Reporter:innen hätten das Land verlassen.
Gegen die Zensur dort kämpft auch Reporter ohne Grenzen an – man versuche, Blockaden technisch zu umgehen, Seiten wieder zu öffnen oder VPNs zur Umgehung einzusetzen. Daneben werde geflohenen russischen Journalist:innen im Ausland ermöglicht, von dort ihre Arbeit fortzusetzen.
Die ukrainische Moderatorin Karolina Ashion hat einen anderen Weg gefunden, um Landsleute zu informieren. Sie präsentiert das neue "Ukraine Update" von RTL News, ein deutsches Nachrichtenformat für geflohene Ukrainer:innen,
Eine Reporterin, die dem deutschen Publikum seit Beginn des Krieges die Lage in der Ukraine darlegt, ist Katrin Eigendorf. Die Reporterin der ZDF-Hauptredaktion Aktuelles und Ukraine-Korrespondentin findet es „heute als Reporter:in wichtiger denn je, über den Krieg zu berichten“. Es sei das schlimmste Unterfangen seit dem 2. Weltkrieg auf europäischem Boden und zudem der „bestdokumentierte Krieg“ aller Zeiten: „Alle Seiten überfluten uns mit Informationen“, so Eigendorf.
Umso wichtiger sei, dass professionelle Berichterstatter:innen die Informationen mit Sorgfalt einordnen. Dass sie bei ihrer Arbeit nahe umkämpfter Gebiete ein Risiko eingeht, ist der ZDF-Journalistin bewusst. Man wäge genau ab. Katrin Eigendorf hat den nächsten Einsatz schon vor Augen: Am Wochenende geht es zurück über Krakau nach Kiew.
Eigendorf macht Propaganda übrigens von beiden Seiten aus – von Russland sehr deutlich, auch von Seiten der Ukraine. Etwa dann, wenn Druck auf den Westen ausgeübt werde, um Unterstützung zu finden.
Besonderen Einsatz für die Berufskolleg:innen in der Ukraine zeigt das Team des Katapult-Magazins. Quasi über Nacht haben die Greifswalder den Ableger Katapult Ukraine gelauncht, die Max Rieck verantwortet.
„Wir haben in der Redaktion nicht erwartet, dass in Europa so schnell ein Krieg ausbricht“, gibt Max Rieck zu. Dann wollte man nur noch sehr schnell den Kolleg:innen aus der Ukraine eine neue Chance geben. Inzwischen arbeiten in der Redaktion vier Ukrainerinnen, weitere Freischaffende kommen sukzessive dazu. Finanziert wird das Projekt laut Rieck durch Gehaltsverzicht in der deutschen Redaktion und durch Spenden.
Die Solidarität mit der Ukraine reicht noch weiter: Das Ziel heißt, eine Redaktion für Katapult Ukraine im Heimatland aufzubauen. Des Weiteren soll das Werk eine englische Variante bekommen: „Wir wollen auch Menschen erreichen, die von Putins Zielen überzeugt sind“ – aktiv eintreten gegen Desinformation. Daher ist Katapult auch offen für die Aufnahme geflohener russischer Journalist:innen, „auch um gegen Putins Propaganda etwas zu tun“.
Apropos Propaganda: Grundsätzlich ist der freie Journalismus in einer Demokratie geschützt, der juristische Rahmen für die Arbeit von Journalist:innen aus den Kriegsgebieten gesetzt. Doch was passiert, wenn im konkreten Fall russische Medien auch hierzulande versuchen, das sorgsam gesteuerte Bild des Kreml um Staatschef Wladimir Putin in Deutschland zu verbreiten? Prof. Dr. Mark Cole, wissenschaftlicher Direktor am Institut für europäisches Medienrecht, EMR, hat konkret die RT-Entscheidung von Anfang Februar vor Augen, als dem Sender (einst Russia Today) aufgrund fehlender deutscher Lizenz die Ausstrahlung untersagt wurde. Dass RT immer noch zu finden ist in deutschen Netzen, führt Cole auf die Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung zurück. Eine komplette Nichtverbreitung im Netz sei schwer; die Medienaufsicht versuche, auf die Netzbetreiber einzuwirken, um RT nicht mehr zu verbreiten.
Zunächst einmal: Wir werden überflutet, aber es könnte schlimmer sein. Dieser Meinung ist Ingrid Brodnig. Die Autorin und Journalistin beschäftigt sich intensiv mit Desinformation im Netz, mit Querdenkern und Verschwörungstheorien. Und sie nennt Beispiele von Manipulation in diesem Krieg. Sie warnt davor, zu unterschätzen, welcher Meinungsapparat für russische Medien über die Jahre hinweg aufgebaut worden sei.
Die Österreicherin beobachtet Russlands "Bemühungen" seit 2016, im Syrienkrieg seien Mechanismen deutlich geworden, die durch die Corona-Phase nochmals befeuert worden seien. Dass nun rechte Kreise, Querdenker und Verschwörungstheoretiker im Pro-Putin-Lager zu finden seien, wundert die Autorin nicht: Das autokratisch geführte Russland sei für diese Menschen „begehrenswert“. Dort herrschten „klare Ansagen“ statt unbequemer demokratische Streitkultur. „Menschen, die stark an Verschwörungsdenken glauben, sehen auch hier wieder Muster – was sie gerne tun. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wird als Beleg für die Theorien ihres Weltbilds gesehen“, betont sie. „Corona ist nicht mehr so emotional, der Krieg liefert jetzt neuen Stoff in wütenden Communities.“
Doch Ingrid Brodnig malt nicht Schwarz: „Die gute Nachricht: Das ist die Minderheit. Und es könnte noch viel schlimmer sein, die Putin-Propaganda könnte noch viel besser funktionieren.“ Der Grund liegt in einer neuen „gewissen Wehrhaftigkeit“, die in den Medien entstanden sei.
Warum hat gerade TikTok die Social-Media-Dynamiken des Ukraine-Kriegs so verändert?
Simon Hurtz führt zum einen die schiere Masse an Bewegtbild-Inhalten zum Thema an: mehr als 40 Milliarden Beiträge zum Krieg zählt der Redakteur des SZ-Digitalressorts und Autor des Social Media Watchblogs. Hurtz folgt auf TikTok vielen Frauen aus der Ukraine, die zuvor Influencerinnen waren, und anderen, die nun neu auf der Plattform sind und teils sehr humorvoll und lebensnah aus dem Krisengebiet berichten. Viele der TikTokerinnen seien aber nach ihrer Flucht inzwischen aus dem Ausland aktiv.
Hurtz nennt einen weiteren Grund, warum TikTok die Art der Informationsvermittlung aus einem Krieg so verändert: die Gleichzeitigkeit von Kriegscontent neben „irgendeinem viralen Quatsch“, ein Nebeneinander, das er teils schwer erträglich findet. Alles in allem sei die „Plattform mindestens so anfällig für Fake News und Verschwörungstheorien wie andere“.
TikTok in Russland ist dagegen nahezu funktionslos. Zum einen seien durch das Regime im Kreml die Macher massiv eingeschüchtert, das Posten russischer Live-Inhalte zudem von technischer Seite seit rund drei Wochen nicht mehr möglich, so Hurtz. TikTok sei in Russland daher „nahezu abgeschaltet“. Simon Hurtz bedauert; „Man muss sich schon große Mühe geben, um noch auf unabhängige News zu stoßen.“
Auch für die Redaktionen, die von außen auf den Krieg in der Ukraine blicken, ist die Arbeit nicht leicht. ZDF-"heute journal"-Moderatorin Marietta Slomka spricht im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa von „Hilflosigkeit bei Interviews mit Menschen in der Ukraine“. Das sei das "psychologisch Schwierigste", was sie als Interviewerin erlebt habe, dagegen seien harte Schlagabtausche mit Politikerinnen "ein Spaziergang". Slomka: "Man verabschiedet sich und sagt: Auf Wiedersehen - und ich habe einen Kloß im Hals, weil ich nicht weiß, ob ich diesen Menschen je wieder sehen werde."
Wer es verpasst hat: Hier ist der Mitschnitt von #MTMdigitalk Vol.6:
Interessiert an Themen rund um die Medienbranche? Dann ist hier im Blog der Medientage München noch mehr Lesenswertes zu finden.
Zudem können Medienthemen auch gehört werden: im Podcast der Medientage München. Die Folgen 65, 69 und 70 befassen sich mit dem Medienkrieg.
Darüber hinaus stehen Zusammenfassungen vieler Sessions der 35. MEDIENTAGE MÜNCHEN sowie Bildmaterial in der Mediathek der Medientage-Homepage bereit.