Gemischte Bilanz fürs Medium Radio bei der aktuellen MA 2023 Audio I – mit viel Licht, aber auch Schatten: Die Fan-Basis bleibt groß, verteilt sich aber zunehmend weg von den großen Massenwellen hin zu Spartenangeboten. Die Zahl der Reichweitenmillionäre schwindet weiter, während in der gut gemachten Nische neue Rekorde verzeichnet werden.
Die agma liefert die aktuellen Leistungszahlen der Gattung in einer Woche, in der bei den Radiodays Europe in Prag die Frage aufgeworfen wurde: Braucht Radio mehr Seele?
„Ja!“, wenn man den Entwicklungen der aktuellen MA Audio glaubt. Das Zwischenzeugnis der Media-Analyse Audio gibt der Branche eindeutig Hausaufgaben mit – mittel- wie langfristig.
Radio bleibt ein Massenmedium.
Die Rahmendaten stimmen immer noch. Die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (agma) attestiert den Sendern laut der neuesten Daten, dass ihr Medium weiterhin von fast allen Personen ab 14 Jahren in der deutschsprachigen Bevölkerung gehört wird. 93,6 Prozent der deutsch-sprachigen Bevölkerung nutzt Audioangebote. Gegenüber der Sommerausweisung der MA Audio 2022 II mit 94,1 Prozent hat sich der Wert kaum verändert.
Auch beim jungen Publikum nicht: Bei den 14- bis 29-Jährigen wird der weiteste Hörerkreis aktuell mit 91,3 Prozent angeben. Und der weiteste Hörerkreis im linearen Radio rangiert in dieser jungen Altersgruppe immerhin noch bei 88,7 Prozent. Dazu die agma: "Klassisches Radio, oft als Medium für ältere Nutzer interpretiert, wird im WHK von 31,32 Millionen Hörern in der Zielgruppe 14-49 Jahre gehört und von 34,34 Millionen in der Altersgruppe ab 50 Jahre, also nur knapp 10 Prozent mehr. Reine Online-Audioangebote werden von fast genauso vielen Hörern über 50 Jahre (WHK 4,92 Millionen) wie in der Altersklasse 30-49 Jahre gehört (WHK 5,59 Millionen)."
Also, nicht nur Spotify bei Teens und Twens? Online-Audio kommt hier auf 40,8 Prozent.
93,0 Prozent aller Nutzer:innen hören klassisches Radio. Und Audioangebote überzeugen täglich rund 61 Millionen Hörer:innen.
Die Massenprogramme tun sich indes schwer.
Doch trotz weitgehend stabiler User-Zahlen haben die beworbenen Sender über alles an Reichweite bei der allgemeingültigen Währung Hörer:innen pro Durchschnittsstunde, Mo.-Sa., 6 bis 18 Uhr verloren. Das belegt unter anderem der Blick auf die großen nationalen Kombis von RMS und ARD Media. In ihnen sind die eingangs erwähnten Dickschiffe der Radiobranche vertreten. Die Wellen ziehen mit ihrem teils satten Minus die Vermarktungs-Kombinationen nach unten.
Die erfolgsverwöhnten Dickschiffe der vergangenen Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, lassen mehr und mehr Federn. Der Lokalsenderverbund Radio NRW, Antenne Bayern, die junge WDR-Welle 1Live, WDR 2, NDR 2, SWR4 BW, Hit Radio FFH, Radio FFN, MDR Sachsen, MDR Jump, Radio SAW, SWR4 RP, Radio PSR oder auch Radio Hamburg stehen auf der Verliererseite der agma-Ausweisung fürs Frühjahr 2023.
Teils sind die Reichweiten unterwegs zu historischen Tiefständen. Business as usal bei den Wellen für den Massengeschmack dürfte damit ein Ende haben.
Die gut gemachte Nische bindet Hörer:innen.
Auf der anderen Seite gewinnen Wellen mit einer klaren musikalischen Ausrichtung wie Senkrechtstarter Radio Bob !, Rockland Radio, BR Klassik oder Sunshine Live hinzu. Auch der Fokus aufs Lokale, auf das Lebensumfeld der Fans, scheint Hörer:innen zu binden: Sender wie Donau 3 FM, Das neue Radio Seefunk und Energy Stuttgart rangieren auf der Gewinnerseite der ma-Listen.
Ist das Radio mit Seele? Die Diskussion, wie sich das klassische Medium Hörfunk gegenüber der boomenden Audiokonferenz aus dem Netz und auf Abruf positioniert, wurde bei den Radiodays Europe in Prag geführt. Ein Argument, das etwa Rock-Antenne-Senderchef Guy Fränkel anführte, war, dass sich die Branche wieder mehr Gedanken um die „Seele“ des Mediums machen sollten, um die alten Kernkompetenzen. Um das Radio als treuen und geschätzten Begleiter im Alltag.
DAB+ liefert Radio für die Gen X. Und der Podcast ist beliebt.
Auch das geht aus den Zahlen der MA 2023 Audio I hervor: Die Reichweite für Radio via DAB+ wächst kontinuierlich. Die Plattformen kommen inzwischen auf einen weitesten Hörerkreis von 28,5 Prozent. Und: Am meisten schätzen diesen digitalen Zugang zum Radio die 30- bis 49-Jährigen, Generation X genannt – mit 31,3 Prozent.
Für den Podcast sind weitere Zuwächse zu verzeichnen. So wurden Podcasts von 40,1 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung schon einmal genutzt (ma 2022 Audio II: 39,5 Prozent). In der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen haben sogar 55,2 Prozent schon einmal Podcasts gehört (ma 2022 Audio II: 53,9 Prozent).
Braucht Radio eine „Markenreichweite“?
Mag die ma-Tabelle auch für die klassische Sendermarken Minuszeichen ausweisen: Im Netz geht es zeitgleich für viele mächtig voran. Was Audio über UKW verliert, kann Online durchaus kompensieren. Zumindest bei der Reichweite und der Sichtbarkeit.
Monetarisieren lässt sich Web- und Online Audio jedoch noch nicht so gut. Wäre es an der Zeit, für mehr Relevanz der Gattung im Werbemarkt über eine Art zusätzlicher Darstellung der Gesamtleistung einer Radiomarke nachzudenken? Ein Wert, in den auch Reichweiten der Sender-Websites, Podcast-Aktivitäten, Social-Media-Performances oder weitere Radio-begleitende Angebote hineinspielen, die bei der crossmedialen Vermarktung längst eine Rolle spielen?
Alles in allem steht die Radiobranche vor immensen Umwälzungen. Das über viele Jahre stabil in sich ruhende Geschäft hat durch Digitalisierung, veränderte Nutzung, neue Mitbewerber:innen und Krisen extrem an Dynamik gewonnen. Chancen und Herausforderungen gerade im lokalen Bereich stehen Anfang Juli im Mittelpunkt der Lokalrundfunktage 2023 in Nürnberg.
Die LOKALRUNDFUNKTAGE finden in diesem Jahr am 4. und 5. Juli statt! Der deutschlandweit größte Branchentreff für den lokalen und regionalen Rundfunk vereint im modernisierten NCC Mitte der NürnbergMesse Konferenz und Ausstellung.
Die eineinhalbtägige Veranstaltung stellt ein Forum für Meinungsaustausch, Zukunftsvisionen und Lösungsansätze dar. Das Programm der #LRFT23 umfasst Workshops, Diskussionsrunden und Vorträge von nationalen und internationalen Referent:innen. Die Workshops informieren über Neuigkeiten der lokalen Radio- und TV-Branche, stellen Innovationen für Programm- und Marketingstrategien vor und ermöglichen Diskussionen über drängende Fragen des Rundfunkmarktes.
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