Für die Studie "Screens in Motion“" untersucht Hubert Burda Media die neuesten Bewegtbild-Trends. Marion Sperlich, Head of Research Media Market Insights, über die Beliebtheit der öffentlich-rechtlichen Mediatheken in der Zielgruppe 50plus, warum die großen Screens immer mehr für Social Media genutzt werden und was es mit dem so genannten Entertainment-Stress auf sich hat.
Ein Interview im Vorfeld des #MTM SPECIALS Future Video am 16. Mai in München, wo Marion Sperlich exklusiv neue Ergebnisse der Studienreihe präsentieren wird.
Welche Trends setzen sich in Sachen Sehgewohnheiten beim deutschen Publikum durch?
Es zeichnet sich ab, dass die mittlere Altersgruppe, also die 30- bis 49-jährigen, bei den Streaming-Abo-Sendern massiv aufgeholt haben. Und zwar um 10 Prozentpunkte in nur einem Jahr. Die Nutzungsrate liegt nun bei 66 Prozent, bei den jungen Nutzer:innen bis 30 Jahre liegt sie nur fünf Prozent darüber, nämlich bei 71 Prozent.
Hier lässt sich also – wenn auch auf hohem Niveau – eine Stagnation in der Abo-Nutzung bei den Jüngeren feststellen.
Und der zweite Trend?
Entgegen allen Unkenrufen ist das klassische TV nicht tot, sondern weiter sehr präsent. Im Schnitt nutzen 83 Prozent der Befragten klassisches Fernsehen, und zwar mindestens einmal im Monat. Bei den ab 50-Jährigen sind es 93 Prozent und bei der mittleren Altersklasse 82 Prozent.
Deutlich darunter liegen allerdings die 14- bis 29-Jährigen mit 69 Prozent. Diese Zielgruppe nutzt inzwischen mehr Abo-Streaming als TV.
Die öffentlich-rechtlichen Mediatheken werden stark genutzt. Wir sehen das als Einstieg der über 50-Jährigen in die non-lineare Bewegtbildnutzung.
Marion Sperlich, Burda
Welches Studienergebnis hat Sie bisher am meisten überrascht?
Ich hätte nicht gedacht, dass die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender deutlich stärker genutzt werden als die Angebote der Privaten. Das ist vor allem in der Altersgruppe 50plus der Fall. Der Nutzeranteil ist mit 58 Prozent recht beachtlich. Wir sehen insbesondere die ÖR-Mediatheken daher auch als Einstieg der über 50-Jährigen in die non-lineare Bewegtbildnutzung.
Ganz generell gesprochen – welches Endgerät kommt bei der Bewegtbildnutzung am meisten zum Einsatz?
Es ist mit großem Abstand das TV-Gerät, von denen es in vielen Haushalten mehr als eines gibt. Die Nutzungsrate liegt hier bei 93 Prozent. 65 Prozent nutzen einen Smart TV, 64 Prozent Laptop oder Desktop und 41 Prozent das Tablet für Bewegtbildinhalte.
Die Fortschreibung der Studienergebnisse aus 2022 wird spannend - wie geht es mit dem Trend hin zum Big Screen weiter? (Quelle: Screens in Motion 2022, BCN)
Nutzen Zuschauer den großen Screen heute für mehr Inhalte als noch vor ein paar Jahren?
Ja, denn es ist einfach komfortabler, Videoportale und Social-Media-Apps wie die von Facebook oder Tiktok auf dem Big Screen zu sehen. Das ist eventuell auch ein Grund dafür, dass Smart TV mit 72 Prozent die höchste Verbreitung bei den unter 30-Jährigen hat.
Gibt es je nach Plattform unterschiedliche Genre-Präferenzen?
Unserer Studie zufolge schon. Dabei deckt das klassische TV das größte Genre-Spektrum ab. Es reicht von Nachrichten und Newssendungen über Filme, zu Dokumentationen und Serien.
Im Pay-TV werden am liebsten Filme, Serien und Sport geschaut. Dagegen werden auf den Social-Media-Kanälen besonders Musikvideos und Tutorials präferiert.
Sie machen die Studie "Screens in Motion" bereits seit mehreren Jahren. Stellen Sie seit 2018 eine Nutzerveränderung fest?
Wir führen die Studie zum sechsten Mal durch und stellen über die Jahre hinweg einen klaren Trend fest: Streaming gewinnt. Das geht zu Lasten des klassischen TV, aber nicht allein.
Streaming hat in Teilen andere Nutzungen reduziert: Es werden weniger DVDs genutzt, auch der digitale Einzelabruf von Formaten ist rückläufig.
Die Fülle an Plattformen und Angeboten ist nicht mehr zu überblicken. Inzwischen spricht man vom Entertainment-Stress.
Marion Sperlich, Burda
Die Zahl der Streaming-Anbieter ist in den letzten Jahren ständig gestiegen. Überfordert die Vielfalt die Zuschauer?
Inzwischen spricht man tatsächlich vom Entertainment-Stress. Die Fülle an Plattformen und Angeboten – TV-Sender, Mediatheken, Streaming-Anbieter – ist für viele nicht mehr zu überblicken.
Wir haben in der Studie deshalb auch abgefragt, wie lange plattformübergreifend nach einem geeigneten Film oder einer Serie gesucht wird: Im Schnitt suchen Zuschauer:innen elf Minuten, bis sie finden, was sie anspricht. Jüngere Streamende investieren sogar durchschnittlich 18 Minuten.
Und wenn man sich am Ende doch nicht auf ein Programm einigen kann?
Das ist leider eine weniger erfreuliche Erkenntnis aus der Studie: Kann man sich nicht auf ein gemeinsames Programm einigen, dann schauen 38 Prozent separat. Es stehen in fast jedem Haushalt mehrere Devices zur Verfügung. Das macht es einfacher, beim Kucken separate Wege zu gehen.
In diesem Angebots-Dschungel tut Orientierung not. Wie informieren sich Nutzer?
Knapp die Hälfte nutzen dazu TV-Zeitschriften in gedruckter oder digitaler Form. 28 Prozent informieren sich auf den Plattformen selbst, 30 Prozent folgen Empfehlungen von Freund:innen.
Immerhin 23 Prozent nutzen dazu gedruckte TV-Zeitschriften, darunter beispielsweise TV Spielfilm, für die wir auf Basis der letztjährigen Studienergebnisse für die Programmie-Leser ein Streaming-Supplement auf den Markt gebracht haben.
Viele Menschen empfinden Werbung als Störfaktor. Werbefreiheit gilt als großer USP der Streaming-Plattformen.
Marion Sperlich, Burda
Auch Streamer wie Amazon, Disney+ und Netflix sind ins Werbebusiness eingestiegen. Mit welchen Folgen fürs klassische Fernsehen?
Das können wir aktuell noch nicht absehen. Aber ich kann jetzt schon sagen, dass viele Menschen Werbung als Störfaktor empfinden und dass Werbefreiheit ein großer USP der Streaming-Plattformen ist. Den werden sich vermutlich viele Nutzer:innen ein paar Euro kosten lassen.
Genaueres können wir dann mit den neuen Ergebnissen von "Screens in Motion 2023" sagen, die wir aktuell noch auswerten. Hier interessiert uns auch: Handelt es sich bei Nutzer:innen der werbefinanzierten Versionen um Neukund:innen oder Umsteigende aus den bisherigen Abo-Modellen?
Zur Person:
Marion Sperlich (Foto: Thomas Leidig für Hubert Burda Media) ist seit 2011 Head of Research beim BurdaVerlag. In ihrer Funktion verantwortet sie sämtliche Research-Projekte für die am Standort Hamburg ansässigen Marken (u.a. TV Spielfilm, TV Today, Cinema und Stream it!). Mit Schwerpunkt auf vermarktungsrelevante Werbewirkungsthemen hat Sperlich zuletzt für TV SpielfilmPlus die große Bewegtbildstudie "Screens in Motion" entwickelt. Als vorrangig User-zentrierte Studie positioniert sie "Screens in Motion" mit umfassenden Informationen zu den Sehgewohnheiten der Deutschen als unabhängige Erhebung im deutschen TV- und Streaming-Markt.
Zudem vertritt Sperlich die BurdaVerlags-Marken Focus und Focus Money als Sprecherin der technischen Kommission der Marktmediastudie LAE (Leitanalyse zur Mediennutzung von Entscheidenden in Wirtschaft und Verwaltung).
Marion Sperlich begann ihre Karriere beim BurdaVerlag 1998 nach ihrem Psychologie-Studium in Göttingen.
Streaming, Connected TV, AVoD, FAST, OTT, Addressable TV, Social TV: Viele Facetten prägen den dynamischen Bewegtbild-Kosmos. Doch welche Trends, Business-Modelle, Content- und Media-Strategien setzen sich durch? Welche Technologien, Anwendungen und Player geben künftig den Ton an? Wie nutzen wir im Jahr 2030 den großen Bildschirm?
Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des neuen #MTM SPECIALS FUTURE VIDEO 2023. Die Konferenz findet am 16. Mai im Münchner House of Communication statt und widmet sich der Zukunft von Video. Ein Tag mit spannenden Branchenexpert:innen und interessanten Einblicken in die Maschinenräume der Bewegtbildkonzerne. Marion Sperlich, Head of Research im BurdaVerlag, bietet Einblicke in die noch unveröffentlichte Neuausgabe der Studie 2023. Die Expertin klärt bei der Tageskonferenz exklusiv, welche Rolle der Startbildschirm bei der Wahl von Inhalten spielt.
Mehr Informationen sind hier zu finden.
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