Der Corona-Digitalisierungs-Turbo hat für die Medienbranche eines deutlich gemacht: Die Anbieterseite kann mit neuen Technologien ein immer komplexes Angebot gestalten, aus dem User noch leichter mehr und neuartige Inhalte schöpfen können. Eine Übersicht über innovative Ideen, Projekte, Strategien und Geschäftsmodelle der Medienbranche hat die Online-Konferenz MEDIENTAGE Update geboten. Ein Überblick.
„Der Turbo hält an“: Mit diesem Eindruck begrüßte Siegfried Schneider, die Zuschauer:innen von #MTMUpdate. Der Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) hob die tiefgreifenden Veränderungsprozesse hervor, die schon vor Corona wirkten und durch die Pandemie beschleunigt wurden. Für ihn stellte sich angesichts neuer Konstellationen in den Reihen der Anbieter, in der Arbeitswelt der Medien und bei der Nutzungssituation die Frage, wie klassische Marken an neuen digitalen Erlösströmen teilhaben können. Schneider setzte ebenso wie Staatsminister Dr. Florian Herrmann, MdL und Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, auf kreative neue Ansätze bei der Werbung. Bewusst, dass Lage ernst ist.
Zahlreiche Beispiele, wie Medien vom digitalen Boost profitieren, hatten die Referent:innen der Videokonferenz im Gepäck.
Gerade Nachrichten und Information waren zunächst mit Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 stark gefragt. Sowohl für die Süddeutsche Zeitung als auch für den Bayerischen Rundfunk war es immens förderlich, den Boden für den „Blitzwandel“ schon zuvor bereitet zu haben, wie Thomas Hinrichs, Programmdirektor Information des BR, ausführte. Was bleibt? Ein digitales Mindset beim öffentlich-rechtlichen Sender. Man sei „sehr, sehr flexibel geworden“, um mit Inhalten, verschiedenen Kanälen diverse Zielgruppen bestmöglich anzusprechen, so Hinrichs. Obwohl er sich stolz zeigte angesichts der Fortschritte bei der Münchner ARD-Anstalt, gab er für sein Haus weitere Hausaufgaben aus: Man müsse bei der Datenanalyse noch lernen und das Community Management weiter ausbauen, um Vertrauen beim Publikum zu gewinnen und zu vertiefen. Hinrichs: „Journalisten müssen kapieren, dass Technik heute ausschlaggebend ist für ihren Erfolg.“
Ins selbe Horn stieß Johannes Hauner, Geschäftsführer Süddeutsche Zeitung Digitale Medien; er sprach beim #MTMUpdate von „Pflicht und Muss für alle Medienunternehmen, Technik anzunehmen und innovativ zu werden“. Gerade sein Haus hatte vor Corona passende Zahlmodelle für digitale Inhalte etabliert, die 2020 voll zum Tragen kamen und der SZ zum Durchbruch bei Paid Content verhalf. Dennoch war 2020 laut Hauner „ein herausforderndes Jahr“. Sehr deutlich wurde auch bei der Qualitätsmarke, dass dem User mithilfe neuer Tools immer mehr geboten werden kann und muss. Nun bereitet sich das SZ-Team darauf vor, dass sich das Mediennutzungsverhalten nach Corona wieder verändert. Was bleibt, ist laut Hauner die „höhere Zahlungsbereitschaft für unsere digitalen Inhalte".
Wie Next Level Journalism à la BR aussehen kann, das präsentierte Uli Köppen, Head of AI + Automation Lab, Co-Lead BR Data beim Bayerischer Rundfunk. Das Team wurde interdisziplinär aufgestellt und sucht den Kontakt zu Spezialisten aus dem Machine-Learning, zu Data Journalists oder zu Programmierern. „Leute mit komplett anderem Hintergrund“, wie Köppen betonte. Das Credo: „Wir benutzen Algorithmen und Automatisierung für den Journalismus.“ Wichtig sei das „Ping-Pong mit der Wissenschaft“, um eine valide Basis für Methoden und Recherchen zu finden. Auch hier wurde deutlich, dass der zunehmend technisierte Hintergrund dem Anbieter Chancen bietet und dem User neue Erfahrungen beschert. So baute Köppens BR-Team für die Basketball-Berichterstattung einen Data-to-Text-Automatismus, der bisher wenig berücksichtigte Ligen thematisch besser abdecken kann.
Apropos Technik: Hier rief Robert Richter, EMEA Partnerships Solutions, Broadcast, Media & Entertainment bei Google in München, die Branche zu mehr Zusammenarbeit auf. Partnerschaften würden zunehmend wichtiger, um starke digitale Plattformen für stark nachgefrafte lokale Inhalte zu schaffen. Als Beispiel führte Richter bei der Medientage-Veranstaltung die Kooperation zwischen Google und der ARD Mediathek an. Der Google-Manager wünschte sich indes einen zügigen Ausbau der technischen Infrastruktur.
Besonders viel bewegte sich in den vergangenen 12 Monaten aufgrund der veränderten Aufmerksamkeitsökonomie für die Anbieter von Audio und Bewegtbild. Für einen Konzern wie ProSiebenSat.1 Anlass, einen neuen Geschäftszweig zu etablieren. Den Audio-Bereich leitet seit Ende 2020 Katharina Frömsdorf, Geschäftsführerin Seven.One AdFactory. Sie hob beim #MTMUpdate die Besonderheit der Zielgruppe der Podcast-Fans für den Werbemarkt hervor – interessiert, jung, gebildet, „zwischen YouTube und TV“ angesiedelt, Gutverdiener, urban. Frömsdorf: „Das letzte Jahr war gut für uns! Und wir stehen mit Audio noch am Anfang.“ Das belegten die schnellen Wachstumsraten.
Hier konnte Mirijam Trunk als Geschäftsführerin der Audio Alliance der RTL/Bertelsmann-Familie noch tiefer ins Detail gehen. Corona brachte laut der Audio-Spezialistin neue Zielgruppen zum Podcast, neue Vorlieben konnten sich bei Hörer:innen entwickeln.
Inzwischen gibt es viel Wissen bei Audio Alliance und Audio übers Publikum. So etwa, dass originäre Inhalte zu einem der wichtigsten Gründe gehören, warum User ein Label nutzen. Auch Trunk ging von einem weiter steilen Wachstum der Gattung aus und nannte vier Voraussetzungen (Abbildung), damit „der Podcast erwachsen wird. Der Podcast ist derzeit noch in der Pubertät.“
Von einem „tollen Lauf“ konnten die Konferenz-Teilnehmer aus der Streaming-Branche sprechen: Henning Nieslony, Co-Geschäftsleiter des RTL-Angebots TVNOW und Dr. Christoph Schneider, Geschäftsführer Amazon Prime Video Deutschland. Sowohl der lokale als auch der globale Anbieter gaben bei dem Medientage Update preis, dass sie das starke Wachstum vor allem durch neue Inhalte in diesem Jahr, durch neue Partnerschaften und mit neuen technischen Finessen weiter anheizen wollen. Gefragt nach dem Nebenher von linearen TV und Abrufinhalten betonte Nieslony: „Im Videobereich werden sich langfristig Budgets neu verteilen.“ Für die nächste Zeit prognostizierte der Kölner Manager:
Schneider ging aufgrund der älteren Zuschauerschaft im deutschen Markt ebenfalls von einem anhaltenden Nebeneinander der Gattungen aus. Doch: „Die Gewohnheiten werden sich verändern.“ User würden Unterhaltung immer mehr streamen, Nachrichten oder Shows weiter linear sehen.
Einen weiteren Blick in die Zukunft von Bewegtbild warf bei der Digital-Konferenz Klaus Böhm, Media & Entertainment-Lead bei der Unternehmensberatung Deloitte. In einer anschließenden Masterclass betonte er: „Covid-19 hat die Entwicklung hin zu VoD maßgeblich vorangetrieben.“ Für einen Ausblick ins Jahr 2030 prognostizierte er weitere Markteintritte von globalen wie lokalen Playern mit „teils sehr tiefen Taschen“.
Tausende Faktoren würden auf die weitere Entwicklung einzahlen, für die Deloitte in einer neuen Studie vier Szenarien herausgearbeitet hat
Böhm machte deutlich, dass es nicht „ein“ Szenario geben werde. Es würde vielmehr in den kommenden Jahren darum geben, durch regulatorische Maßnahmen, kluge Formen der Zusammenarbeit und teils nötige Konsolidierungen einen Mttelweg zu finden. „Technologie spielt dabei eine immer größere Rolle“, hob der Deloitte-Manager hervor. Eine Qualifizierung in Sachen Data bei Sendern sei daher immens wichtig.
Tech rocks: Besonders deutlich wurde beim #MTMUpdate der Mehreinsatz der Anbieter fürs Publikum bei den Beispielen aus der Sportberichterstattung. Mit 5G und Smartphones rückte etwa Sky für die Fans vor den großen und kleinen Bildschirmen noch näher ans Geschehen in den Stadien heran. Charly Classen, EVP Sports bei Sky Deutschland, gab den Tipp: Alles für den Zuschauer ganz stark vereinfachen, denn der Hintergrund sei mit UHD, vielen Optionen zum Abruf oder Audio-Ergänzung enorm komplex geworden.
Alessandro Reitano, SVP Sports Production bei Sky Deutschland, sagte über die neue 5G High Level Production fürs Fernsehen: „Es ist hochkomplex, diese beiden Welten zu verheiraten.“ Mit dem Testlauf beim Sky Vodafone 5G-Gipfel wurde belegt, wie mit der Smartphone-Content-Generierung mehr Fanerlebnis produziert werden kann. Reitano beschwor beim Digital-Event die Chancen für bisher kaum berücksichtigte Sportarten und Ligen.
Genau dort setzte Andreas Gerhardt, Director Distribution/Regulierung bei Sport1 an: Sein Unternehmen hat eSports ins TV gebracht. Der Abosender eSportsONE, seit Januar 2019 in Deutschland on Air, wird seit November 2020 international ausgerollt. Das Geheimnis des Erfolgs: „Wir machen das, was wir können“, schmunzelte Gerhardt. Die Münchner bereiten eine bislang digitale Sportart mit großer Übung fürs Fernsehen auf.
Wo es für die Unternehmen gut lief, konnten sie in zunehmend smarte Werbetechnologien investieren.
Nicole Agudo Berbel, Geschäftsführerin und Chief Distribution Officer der Seven.One Entertainment Group, führte als Wachstumsfeld Addressable TV an. Das Zusammenwachsen von TV-Werbung mit digitalen Targeting-Möglichkeiten über vernetzte Smart-TV-Geräte kam bei der Senderfamilie 2020 in rund 1000 Kampagnen zum Einsatz – doppelt so viel wie noch im Jahr zuvor. Agudo beschwor für den Konzern und die Gattung TV das Ende der Silos: „Unsere Branche ist erfreulicherweise vernetzter geworden.“ Die Neuaufstellung der SevenOne trug dieser Entwicklung Rechnung; sie spiegele die Entwicklung vom Broadcaster zum „Mighty Channel Entertainment“-Haus wider, so die Managerin. Was mit sich bringt, dass dem immer besser ausgerüsteten User Inhalte von ProSieben oder Sat.1 über alle digitalen Abspielkanäle angeboten werden können.
Wo Handel und Dienstleistung unter Corona leiden, konnten die Medien auf andere Art ihre Werbungtreibenden unterstützen.
Das Projekt Kauft’s daheim und wie sich On Air Promotion und Online-Plattform gegenseitig ergänzen, das präsentierten Vasco Winkler, Leiter Digitale Unternehmensentwicklung (CDO) bei Antenne Bayern, und Stefanie Zormaier, Geschäftsführerin Operations, Marketing, IKT bei der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Über ihre gemeinsame Initiative, in deren Zentrum die digitale Plattform steht, seien inzwischen über 7200 Geschäfte und Dienstleister registriert, berichteten die Partner. Ihr Credo beim #MTMUpdate: „Digitalisierung schafft Zusammenhalt und Gemeinsamkeit.“ Kauft’s daheim habe bisher über 6 Millionen Menschen in Bayern erreicht, die trotz Corona-Beschränkungen über digitale Wege Kontakt zum Händler vor Ort aufnehmen könnten.
Weitere Punkte auf der Agenda der Video-Konferenz waren, wie sich Digitalisierung im Corona-Schnelldurchgang auf die Arbeitswelt auswirkt, wie sich gerade jetzt Anbieter diverser aufstellen und wie Medien junge und digital orientierte User besser ansprechen können.
Prime-Video-Manager Dr. Christoph Schneider zeigte sich beim #MTMUpdate aufgeschlossen gegenüber einer hybriden Arbeitswelt: „Ich glaube nicht, dass wir zu 100 Prozent ins Office zurückkommen werden“, betonte er. Sein Team wirkt seit Februar 2020 im Homeoffice, ergänzt um punktuelle physische Treffen für die „notwendige Interaktion“. Langfristig gingen neben Amazon und TVNOW auch SevenOne und Google bei der Veranstaltung von einem hybridem Arbeitsmodell aus. Katharina Frömsdorf ergänzte: „Das Vertrauen der Führung in die Homeoffice-Situation ist geschaffen.“ Remote Work sei nun geübt. Auf jeden Fall würde es künftig weniger Geschäftsreisen geben.
Deutlich wurde bei der Konferenz einmal mehr: In Zeiten von Corona sind die Prioritäten in Mediienunternehmen anders gesetzt. Nicht gerade ideale Bedingungen, um weiter daran zu arbeiten, ein flächendeckendes Verständnis einer inklusiven, interkulturellen, und vorurteilsbefreiten Arbeitskultur herzustellen. Dabei ist ein über alle Hierarchie-Ebenen greifendes Diversity-Management längst nicht Usus in der deutschen Medienlandschaft.
Dem will Discovery massiv entgegenwirken. Immerhin, so hob Susanne Aigner, Geschäftsführerin Discovery GSA & BNLX, beim #MTMUpdate hervor, zahle Diversity auch auf die Wirtschaftlichkeit der Medien ein. Buntere Teams würden mehr Zielgruppen ansprechen, seien vielfältiger. Das internationale Unternehmen hat gerade im Corona-Jahr Strukturen für mehr Diversität eingezogen: Seit rund einem halben Jahr greift das Programm Mosaic. Es handelt sich dabei um eine Art Baukasten mit verschiedenen Aspekten von Diversity-Management, aus dem sich die regionalen Standorte der globalen Marke passende Ansätze entnehmen.
Aigners Bilanz bisher: „Unser Mitarbeiter engagieren sich stark.“ Mosaic zahle auf die Zufriedenheit und die Zusammenarbeit im Team ein. Die Discovery-Managerin forderte: „Ein Programm wie Mosaic sollte Normalität werden. Das Unternehmen muss den Rahmen setzen, in dem die Mitarbeiter Diversität annehmen können.“
Die Digitalisierung hat vor allem das Medienverhalten der jüngsten Konsument:innen in neue Kanöle geleitet. Einer, der analoge wie digitale Kanäle bespielt, ist Mirko Drotschmann. Der Autor, Produzent und Moderator – bekannt auch als Mr Wissen2Go mit zwei YouTube-Channels – skizzierte beim Digital-Event eine überaus interessierte junge Zielgruppe. Sein Rezept: „Wichtig ist, die Lebenswelt der Zielgruppe zu kennen und sich daran mit Inhalten zu orientieren und so die User abzuholen.“
Weniger News, sondern vielmehr gut recherchierte Hintergrundgeschichten würden abgefragt. Drotschmann legte Wert auf Kommentare, „um zu wissen, wie die Jugend tickt“. Deutlich machte der Moderator, der inzwischen auch bei Funk und im ZDF präsent ist: „Alle erreichen, das funktioniert leider nicht.“
Inger Paus, Geschäftsführerin Vodafone Institut für Gesellschaft und Kommunikation und Vorsitzende der Geschäftsführung Vodafone Stiftung Deutschland, bekräftigte Drotschmanns Ansatz. Sie erklärte seinen Erfolg damit, dass Drotschmann durch viel Präsenz und Transparenz bei seiner Arbeit zu einer Art Influencer geworden sei, zu einer digitalen Person, der Vertrauen entgegengebracht werde.
Dass die jungen Nutzer:innen zwischen 14 und 24 Jahren in der Pandemie so viel mehr Zeit im Netz verbringen und auch ihre Peer Groups dorthin verlagern würden, sah Paus kritisch: „Das hat den Nachteil, dass sie dort auch verstärkt mit Fake News konfrontiert werden.“
In weiteren Masterclasses im Rahmen des Medientage Updates gingen Elke Walthelm, Executive Vice President Content Sky Deutschland & Managing Director NBC Universal Global Networks Deutschland, Daniel Wolbers, Leiter Bid & Solution Management bei Media Broadcast sowie Jonas Lochny, Media Account Technology Strategist und Julian Rudolph, Azure Data & AI Lead Media bei Microsoft auf folgenden Themen ein: “Content Creation - wie sieht die Entertainment-Welt von morgen aus?“, „5G Campusnetze: der Game Changer für die Medien-Produktion“ und „Talking with the audiences and not just to them: Neue Content Journeys durch AI und Speech“.
Die Aufzeichnung der Veranstaltung kannst du hier abrufen.
Die MEDIENTAGE MÜNCHEN finden dieses Jahr vom 25. bis 29. Oktober statt. Sie stehen unter dem Motto New Perspectives. Dabei blicken wir auf die Zeit nach der Corona-Pandemie und zeigen neue Perspektiven auf.
Du interessierst dich für Themen rund um die Medienbranche? Dann findest du hier im Blog der Medientage München noch mehr Lesenswertes. Zudem kannst du Medienthemen auch hören: im neuen Podcast der Medientage München.