
Fake News als Waffe gegen die Demokratie? In diversen Konferenzen wird gerade deutlich, dass Expert:innen den Kampf gegen Desinformation aufnehmen und dabei neu denken. Klassische Ansätze greifen aus ihrer Sicht zu kurz. Eine Übersicht.
An dieser Diagnose ist nicht mehr zu rütteln: Desinformation zersetzt unsere Demokratie. Doch während Politik und Medien noch immer hauptsächlich über Faktenchecks und Plattform-Regulierung diskutieren, warnen Expert:innen vor einem möglichweise folgeschweren Denkfehler. "Wir sind in der Diskussion über Desinformation früh falsch abgebogen", sagt Jeanette Hofmann, Direktorin des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG).
Beim forum medienzukunft der Medienanstalt Hessen sind nicht nur die üblichen Verdächtigen thematisiert worden – die Algorithmen hinter Social Media, Filterblasen, mangelnde Medienkompetenz. Stattdessen rückte eine unbequeme Wahrheit in den Fokus: "Desinformation ist ein Akt politischer Handlung ", betont Hofmann mit Blick auf die wachsende Zahl an Populist:innen, die heute naturgemäß die immens reichweitenstarken digitalen Plattformen fürs Streuen ihrer "Lügengeschichten“ nutzen. Es gehe nicht um kognitive Defizite oder technische Pannen, sondern um eine bewusste Strategie, um Macht zu ergreifen.

Die Internetforscherin macht eine provokante Beobachtung: "Viele Leute wollen desinformiert werden, weil sie ein Schwert gegen die Demokratie nutzen wollen, weil sie nicht mehr an ein gemeinsames soziales Gestalten glauben." Desinformation werde damit zum Ausdruck einer fundamentalen Vertrauenskrise – und gleichzeitig zu deren Verstärker. Wobei das Phänomen aus ihrer Sicht kein neues ist, wenn auch nicht so global und reichweitenstark verstreut: "Wir waren mit den alten Medien auch nicht immer glücklich."
Heute läuft es so: Social-Media-Kanäle würden gute "Formate" für die Desinformation von politischen Akteuren bieten, so Hofmann. Diese würden dann häufig von klassischen Medien weiterverbreitet. Als Beispiele dafür nennt die Wissenschaftlerin die Angebote von Nius, Bild und Welt.
Wenn Meinungsmacht und Kapital verschmelzen
Murad Erdemir, Direktor der Medienanstalt Hessen, spricht von "verschobenen Macht-Koordinaten der Kommunikation" und einer "Verschmelzung von Kommunikationsmacht, Geld und Politik". Diese Entwicklung ist nicht abstrakt, sondern hat Namen: Donald Trump und Elon Musk führen vor, wie sich politische und ökonomische Macht mit publizistischer Plattform-Macht verknüpfen lassen, analysiert Christoph Neuberger vom Weizenbaum-Institut.
Der Kommunikationswissenschaftler identifiziert eine Affinität zwischen Plattformen und Populismus: Ein zuspitzender Kommunikationsstil passe am besten zur Algorithmen-Logik der digitalen Plattformen. Das Ergebnis? Populismus entwickelt sich als anti-elitäre Haltung zur Abgrenzung gegenüber der Demokratie. Und Journalismus wird dabei zum Feindbild.
Neue Strategien gegen alte Probleme
Die Expert:innen sind sich beim forum medienzukunft einig: Reine Defensivstrategien reichen nicht (mehr) aus. Statt nur Falschinformationen zu bekämpfen, müssten die Ursachen angegangen werden. Erdemir spricht von einer "WertOrdnungsvorsorge". Sie gelinge dann, wenn nicht nur eingegriffen und unter Druck gesetzt werde, sondern zur Prävention eine gemeinsamen Architektur aufgestellt würde.
Konkret bedeutet das:
- Nachrichtenkompetenz stärken:
"Nachrichtenkompetenz ist eine zentrale Voraussetzung für eine starke und wehrhafte Demokratie", betont Vanessa Bitter von UseTheNews, die Neuberger in Frankfurt interviewt. Bürger:innen brauchen ihr zufolge heute mehr denn je die Fähigkeit, Informationen kritisch einzuordnen und faktenbasiert zu urteilen. - Journalistische Alternativen fördern:
Neuberger fordert, dass "über die Regulierung von Plattformen hinaus Alternativen gefördert werden müssen, die sich am Gemeinwohl orientieren". Eine Art "Spotify für Journalismus" könnte verschiedene Medienmarken auf einer Plattform bündeln, so der Professor für Kommunikations- und Publizistikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. - Plattformen in die Verantwortung nehmen: Der Digital Services Act der EU bietet laut Christoph Neuberger Spielräume, um digitalen Plattformen mehr Verantwortung zuzuweisen, besonders wenn "systemische Risiken" drohen. Doch dafür brauche es ein "Zusammenspiel zwischen Regulierung und Forschung".
Der transatlantische Graben
Während Europa auf eine "wehrhafte Demokratie" setzt, die präventive Maßnahmen gegen Desinformation erlaubt, kennt das amerikanische Konzept von "Freedom of Speech" solche Instrumente nicht.
Mathias Hong, Professor für öffentliches Recht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, warnt bei der Frankfurter Konferenz vor den Folgen: Trumps Vorgehen sei der "heftigste Angriff auf die Demokratie seit dem Zweiten Weltkrieg", basierend auf "propagandistischem Populismus" und "Selbstbereicherung durch Manipulation", so der Autor bei Verfassungsblog.de.
Mut zur Gegenwehr
Die Botschaft der Expert:innen beim forum medienzukunft ist klar: Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie braucht aktive Verteidigung – und zwar nicht nur gegen illegale Inhalte, sondern auch gegen legale Äußerungen, die sukzessive unsere Demokratie zersetzen können. Wie Erdemir warnt: "Würde man die Abgründe von Hass, Hetze und Desinformation rigoros zuschütten, wäre die Redefreiheit gleich mitbeerdigt."
Mit Blick auf die digitalen Resonanzräume der Jugend appelliert der Direktor der gastgebenden Medienanstalt Hessen an demokratische Parteien: "Meiden Sie TikTok nicht. Gehen Sie da rein. Seien Sie dort sichtbar. Seien Sie dort ansprechbar. Wer die politische Meinungsbildung der Zukunft mitgestalten will, der darf TikTok nicht ignorieren."
Tenor der Konferenz: Der Balanceakt in der Kommunikation ist schwierig, aber notwendig. Denn wenn Ideen und Gedanken nicht mehr zum Ausdruck gebracht werden aus Angst vor Shitstorms und Hass-Attacken, mache Selbstzensur jedwede Zensur von außen überflüssig.
Medienaufsicht hat die Plattformen im Visier
Auch das Media Tasting in Stuttgart mit Expert:innen aus Medien, Politik, Hochschulen und Kreativwirtschaft setzt unter anderem den wachsenden Einfluss der Medien auf öffentliche Meinung und Demokratie auf die Agenda. Bei der von Apfel Programm Marketing organisierten Veranstaltung, unterstützt von der Landesanstalt für Medien Baden-Württemberg (LFK) und der Medien- und Filmgesellschaft (MFG), betont LFK-Präsident Wolfgang Kreißig die zunehmende Bedeutung von Medienregulierung und Medienkompetenz in allen Altersgruppen als Schutz vor Desinformation. Er fordert, den derzeitigen Haftungsschutz für Online-Plattformen neu zu bewerten.
Meta, TikTok und Co. will der Stuttgarter Medienwächter stärker in die Verantwortung nehmen, wenn es darum geht, das Verbreiten irreführender Inhalte einzudämmen. Dabei haben unter anderem die Meta-Plattformen Facebook, Instagram und Threads mit Start der zweiten Trump-Regierung zum Jahresstart ihre Faktencheck-Programme zurückgenommen und Prüfer:innen entlassen.
Sonja Schwetje (RTL Nord, l.)), Kai Gniffke (SWR), Rudi Hoogvliet (Staatssekretär BaWü), Carl Bergengrün (MFG BaWü), Wolfgang Kreißig(LFK BW) im Gespräch mit Stephanie Haiber (SWR).
Die MEDIENTAGE MÜNCHEN 2025 finden vom 22. bis 24. Oktober bei der Serviceplan Group im House of Communication in München statt.
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