Politische Videos auf TikTok schauen oder ChatGPT für Referate nutzen: Im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz und Algorithmen ist die Informationskompetenz wichtiger denn je. Gerade junge Menschen sollten früh für den Umgang mit Desinformation sensibilisiert werden. Diese Erfahrung hat auch Theresa Lehmann gemacht. Sie leitet bei der Amadeu Antonio-Stiftung das Präventionsprojekt pre:bunk, das mit TikTok-Videos bewusst auf emotionale Ansprache setzt.
Sie haben auf der 28. Fachtagung des Forums Medienpädagogik „Youngsters zwischen Prompting und Faktencheck“ gerade das Projekt pre:bunk vorgestellt. Der Begriff „debunking“ fällt im Zusammenhang mit Fake News häufig. Was bedeutet prebunking?
Das Projekt pre:bunk verfolgt einen präventiven Ansatz. Im Gegensatz zu debunking, dem nachträglichen Entlarven von Desinformation, soll prebunking junge Menschen für Desinformations-Strategien sensibilisieren.
Es mag zwar immer neue aktuelle Aufhänger geben, aber die Mechanismen der Desinformation funktionieren ähnlich. Darüber klären wir Teenager sehr niedrigschwellig in kurzen TikTok-Videos auf. Wir haben bewusst den „Digital Streetwork“-Ansatz gewählt, um nicht nur auf der Faktenebene anzusetzen, sondern auch die Emotionen mit zu adressieren, die beim audiovisuellen Medienkonsum eine große Rolle spielen.
Können Sie uns ein Thema nennen, bei dem Emotionen derzeit besonders hoch kochen?
Wir erleben seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 eine stark emotionalisierte digitale Videolandschaft. Da gibt es Wut, Angst, Ohnmachtsgefühle und Unsicherheit, was jetzt stimmt. Wir klären beispielweise über Themen wie parasoziale Beziehung, Geschichtsklitterung und auch über die Verantwortung auf, die jemand übernimmt, der Videos ins Netz stellt.
Welche Erfahrungen hat die Stiftung bisher mit dem pre:bunk Projekt gesammelt?
Wir sind ja erst 2023 gestartet. In diesem Jahr mussten wir erstmal Vertrauen schaffen und eine Community aufbauen. TikTok verspricht große Reichweiten. Aber das gilt vor allem für Inhalte, die sehr „clickbaity“ sind.
Unsere Videos sind nicht ganz so emotionalisierend. Wir halten uns an die Parameter aus der politischen Bildung und der Pädagogik. Letztlich geht es im analogen wie im digitalen Streetworking vor allem um das Gespräch und die Einzelkontakte, die durch die Videos entstehen.
Was erleben Sie in diesen Gesprächen?
Wir bekommen durchaus positives Feedback, erleben aber auch sehr viel Skepsis und Misstrauen gegenüber den traditionellen Medienhäusern. Wir versuchen dann, diese Skepsis zu kanalisieren und konstruktive Zugänge zu schaffen.
Erkennt die Zielgruppe denn Fake News und manipulative Desinformation?
Das kommt darauf an. Dieses Bewusstsein hat ganz viel mit Emotionen und dem Weltbild zu tun, das gerade bei jungen Menschen noch im Entstehen ist. Wir sind alle dazu geneigt zu glauben, was in unser Weltbild passt. Wenn wir mit anderen Perspektiven konfrontiert werden, hinterfragen wir das eher.
Ein Beispiel dafür ist der aktuelle Krieg im Nahen Osten. Wenn ich selbst Videos in diesem Kontext konsumiere, habe ich manchmal den Eindruck, etwa bei britischen Quellen, der 7. Oktober 2023 sei nie passiert und die Auseinandersetzung beginnt mit der Bodenoffensive im Gaza-Streifen. Hier braucht es mehr Kontext und Vermittlungsarbeit.
Hat sich das Bewusstsein der User durch die Aufklärung über Desinformation in den Sozialen Medien schon geändert?
Es gibt mittlerweile eine Menge an politischer Bildung, Aufklärungs-Initiativen, pädagogischen Ansätzen und auch die klassischen Medienhäuser, die auf TikTok vertreten sind. Aber alle zusammen kommen kaum gegen die Unmengen an dezentral gesteuerten, aktivistischen Videos auf TikTok an, die ideologisch aufgeladen sind. Darauf zu reagieren, ist eine große Herausforderung.
Theresa Lehmann bei der Fachtagung „Youngsters zwischen Prompting und Faktencheck“ (Foto: BLM).
Könnte der Einfluss auf die Meinungsbildung der Teenager denn durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz noch verstärkt werden, z.B. durch Fälschungen?
Das ist meiner Ansicht nach nicht das größte Problem. Es gibt zwar schon synthetische Video- und Bildinhalte, die im Umlauf sind. Das eigentliche Problem ist, dass Nutzerinnen und Nutzer scheitern, Inhalte einzuordnen, die sie auf TikTok sehen, und so unbewusst selbst „misinformation“ verbreiten.
Großereignisse im Weltgeschehen werden nicht nur nach individuellen Vorlieben verteilt, gehen also über die typischen Informationsblasen hinaus. Da werden junge Menschen mit Inhalten konfrontiert, die schwer verstörend bis hin zu potenziell traumatisierend sein können. Bei stark emotionalisierten Inhalten raten wir, immer mal wieder einen Schritt zurückzutreten und zu hinterfragen, was dieses Video gerade mit einem macht, welche Intention der Absender hat oder das Video mal ohne Ton anzuschauen, ob es dann anders auf einen wirkt.
Genau so ein schwieriges Thema ist in diesem Zusammenhang vermutlich „Hass im Netz“...
Desinformation und Hass im Netz gehören zusammen. Das ist nicht nur ein Problem der Plattformen, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Desinformationen arbeiten ganz oft mit einer „Sündenbockfunktion“. Die kann beispielsweise rassistisch oder antisemitisch aufgeladen sein. Auf Videoplattformen kann ich meinen Hass sehr gut „verpacken“, etwa mit Filtern und Emojis arbeiten oder mich selbst zum Meme machen.
Als User muss man die multimodalen Kommunikationsebenen erstmal erkennen können, und das ist sehr anspruchsvoll. Wir versuchen zu vermitteln, wo der Unterschied zwischen kurz und verkürzt liegt.
Mehr Informationen zur Fachtagung „Youngsters zwischen Prompting und Faktencheck“ sind hier zu finden.
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