Multikrisen und Desinformation: Medien müssen sich Tag für Tag und auch immer mehr kritischen Fragen oder Kommentaren stellen. Das Vertrauen vieler Menschen in Zeitungen, TV, Radio und Online schwindet zusehends. Es gibt dafür viele Gründe, aber auch viele Lösungen, wie diverse Diskussionen und Impulse im Rahmen der #MTM24 zeigten.
Die Leitplanken für die Herausforderungen im Journalismus im Jahr 2024 setzte Dr. Bernhard Pörksen bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN 2024: Der Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen versuchte, die Gemengelage aus Desinformationskampagnen, schmutzigem US-Wahlkampf, der Wiederkehr antisemitischer Gewalt und Verschwörungstheorien einzuordnen und aufzuzeigen, wie man in Zeiten der Multikrisen und polarisierter Kommunikationsräume respektvoll miteinander reden kann.
Es seien Prinzipien ratsam, um klare Diskurse zu führen, ohne sich gegenseitig abzuwerten, so Pörksen. Dazu zählt die „wertschätzenden Kommunikation“, in dem der Andere nicht grundsätzlich abgewertet werde. Der Medienwissenschaftler riet, die Türen nicht zu früh zuzuschlagen und nicht aufzugeben, nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Dies werde immer wichtiger, je mehr wir in ein „Jahrhundert der Kommunikationskonflikte“ drifteten.
Auch Monika Bielskyte nahm die Medienschaffenden bei den #MTM24 in die Verantwortung. Bei ihnen liege es, bei Themen wie der Klimakatastrophe positive Zukunftsvisionen zu schaffen. Die Futuristin und Gründerin der Zukunftsplattform @protopiafutures warnte: Angesichts globaler Krisen müssten Medien und Journalismus aufpassen, welche Narrative sie vermitteln würden.
Berichterstattung in Extremfällen
So viel zur Theorie. Wie sich die tägliche Arbeit für Journalist:innen zwischen allen Stühlen gestaltet, schilderte ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann (Foto oben: Medien.Bayern GmbH) während der MEDIENTAGE MÜNCHEN. Die Berichterstattung aus Nahost ist schon immer eine besondere Herausforderung für deutsche Medienvertreter:innen gewesen.
Seit dem Hamas-Überfall auf Israel und den darauf folgenden israelischen Zerstörungen im Gaza-Streifen ist die Situation für Journalist:innen noch schwieriger geworden: Man denke in Freund- und Feind-Kategorien, erzählte Sophie von der Tann. Die besondere Herausforderung in ihrer Arbeit bestehe zurzeit darin, professionelle Distanz zu wahren und trotzdem empathisch auf alle Menschen in der Krisen- und Kriegsregion zu schauen.
Doch auch in friedlichen Gefilden lauern Fallstricke. Die Journalistin, Podcasterin und Extremismus-Expertin Annika Brockschmidt schilderte bei den MEDIENTAGEN am Beispiel Donald Trump, wie sich „alternative Fakten“ allen Richtigstellungen zum Trotz festsetzen und bei den Menschen bzw. Wähler:innen wirken können. Brockschmidt, Autorin zweier Bücher über die extreme Rechte in den USA, beschrieb dabei eine faschistische Logik, ganz nach der Devise: „Das, was ich erzähle, ist eine Lüge. Und ich weiß, dass es gelogen ist. Aber damit enthülle ich eine intrinsische Wahrheit über eine angebliche Bedrohung des wahren amerikanischen Volkes.“
Annika Brockschmidt (Foto: Medien.Bayern GmbH)
"Mehr Wissen über die sozialen Konflikte"
Desinformation macht politische Meinungsbildung schwer. Sie bedroht die Demokratie. Gleichzeitig fühlen sich viele Menschen in der klassischen Medienlandschaft nicht repräsentiert und misstrauen ihr. Das war das zentrale Thema des diesjährigen Journalism Summit. im Rahmen der MEDIENTGE MÜNCHEN. Deutschland befinde sich in einer Medienvertrauenskrise der zweiten Ordnung, sagte Dr. Nils Kumkar, Soziologe am Socium – Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. Demnach vertrauen die meisten Menschen den Medien, denken jedoch, dass die anderen es nicht tun. Und das sei beunruhigend. Sein Wunsch an die Wissenschaft und den Journalismus: „Wir brauchen viel mehr Wissen über die sozialen Konflikte.“
Die österreichische Politikwissenschaftlerin und Autorin Natascha Strobl pflichtete dem bei und ergänzte, dass es für die Menschen gerade zu viel sei, was alles passiere. Viele kämen mit den Multikrisen nicht mehr klar. Es gebe deshalb ein gewisses Unbehagen. „Wer dieses Unbehagen auffängt, hat diese Leute“, erklärte die Rechtsextremismus-Expertin den Erfolg von Bewegungen am rechten Rand der Gesellschaft.
Dr. Gregor Peter Schmitz (l.), Sonja Schwetje und Natascha Strobl (Foto: Medien.Bayern GmbH)
Um für polarisierte Teile der Gesellschaft Brücken zu bauen und den konstruktiven Dialog zu fördern, nutze das Recherchenetzwerk Correctiv den analogen Raum, erklärte Justus von Daniels, Chefredakteur des investigativen Recherchenetzwerkes. Man suche den Dialog und gehe selbst auf die Straße, erklärte von Daniels: „Journalismus hat die Aufgabe, ein Verständigungsort zu sein.“ Unterschiedlichen Personengruppen verschiedenster Altersklassen zuzuhören und sich gegenseitig ernst zu nehmen – das sei die Basis für konstruktive Gespräche.
Stern-Chefredakteur Dr. Gregor Peter Schmitz beschäftigt nach eigenen Angaben „die Herausforderung, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen“. „Wir müssen Transparenz schaffen und zeigen, wie wir arbeiten“, schlug Sonja Schwetje, Programmgeschäftsführerin von ntv und Chefredakteurin Wirtschaft und Netzwerke bei RTL, als Lösungsansatz vor. Das Team stellt sich sogar seinen größten Kritiker:innen aus dem Netz; sie würden in die Redaktion eingeladen. „Sie sind dann überrascht zu erfahren, dass das Bundeskanzleramt nicht bei uns anruft und die Themen vorgibt“, sagte Schwetje.
Helge Fuhst, Zweiter Chefredakteur der Gemeinschaftsredaktion ARD aktuell, hatte das aktuelle Beispiel „Tagesthemen Mittendrin“ als journalistisches Format aus den Regionen im Gepäck. Fuhst: „Durch die Gespräche lernen wir voneinander und erfahren, was die Herausforderungen und die Lösungen sind.“ Sein Appell lautete: „Wir müssen mutig entscheiden, auch über andere Themen zu berichten.“
Wo kommt das Geld her für Demokratiestiftendes?
Im Ringen um Wahrheiten und Lösungen muss Journalismus aber auch refinanziert werden. Über die Voraussetzungen im digitalen Publishing und die zentrale Frage, ob Inhalte frei zugänglich oder als Paid Content angeboten werden sollen – darüber haben Medienanbieterschaffende bei den #MTM24 durchaus kontrovers diskutiert. Auch hier kam Stern-Chefredakteur Schmitz zu Wort. Er zeigte sich überzeugt davon, dass es einen Markt für kostenpflichtige Abonnements hochwertiger Inhalte gebe. Das Haus setzt nach dem Relaunch des Bezahlangebots Stern plus auf einen Mehrwert aus sorgfältig recherchierten und exklusiven Inhalten.
Steffen Klusmann, Editorial Advisor von Web.de/GMX, erklärte, dass ehemals reine Mail-Plattformen wie web.de oder GMX heute ihre Reichweite verstärkt dazu nutzen, um eine solide Grundversorgung der Bürger:innen mit Nachrichten anzubieten. Es gehe dabei vor allem darum, möglichst viele Menschen zu erreichen. In der Regel verzichte man aus diesem Grund auch auf eine Paywall, sondern monetarisiere das Angebot aus dem Anzeigengeschäft. Klusmann: „Wenn unsere User jeden Tag wieder auf die Plattform gehen, um die wichtigsten Schlagzeilen zu lesen, und hin und wieder ein gutes Interview bekommen, sind sie zufrieden und fühlen sich gut informiert.“
Klusmann und auch Schmitz sprachen sich dafür aus, dass sich Journalismus grundsätzlich selbst finanzieren müsse. Insofern seien Abos, Werbeeinnahmen oder bezahlte Einzelartikel alternativlos. Ergänzend könne man natürlich über Stiftungsmodelle für Nischenmärkte nachdenken.
Eine neue Form von Finanzierung lokaler und demokratiestiftender Inhalte kommt aus der Schweiz. Der Rückzug der großen Verlage aus der Fläche schafft die Basis für die Arbeit von Nina Graf, Co-Geschäftsführerin der Schweizer We.Publish Foundation. Ihre Stiftung arbeitet als Open-Space-Plattform daran, eine gemeinsame Infrastruktur für unabhängige, redaktionell und unternehmerisch eigenständige Medien zu schaffen als eine Art Ersatz für lokalen Journalismus.
Nina Graf (Foto: Medien.Bayern GmbH)
We.Publish trete dabei als Toolbox und Plattform auf, auf der redaktionelle Inhalte aus den ländlichen Regionen ausgetauscht und weiterverbreitet werden, erklärte Graf bei den MEDIENTAGEN. „Wir wollen ein Medien-Öko-System schaffen, das ein Gegengewicht zu den großen Verlagshäusern schafft. Wir sind dabei aufgeschlossen für Kontakte nach Deutschland, denn auch dort finden wir eine starke Medienkonzentration, unter der insbesondere der Lokaljournalismus leidet“, so Graf.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 38. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und im MTM-Blog bereit. Dort kann auch der wöchentliche Blog-Newsletter abonniert werden.
Die Medienthemen können passenderweise auch gehört werden: im Podcast der MEDIENTAGE MÜNCHEN.
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