Wer investigativ arbeitet, gerät schnell in brenzlige Situationen, vor allen Dingen, wenn die Recherchen in politisch extremes Milieu führen – wie beispielsweise beim Recherchenetzwerk CORRECTIV. Chefredakteur Justus von Daniels erzählt im Interview, welche Vorsichtsmaßnahmen er und sein Team ergreifen, um sich vor Attacken zu schützen. Wie sie mit Hass und Bedrohung im Netz umgehen. Und warum es für unsere Gesellschaft so wichtig ist, das gemeinsame Gespräch neu zu lernen.
Herr von Daniels, in den letzten Jahren hat Hassrede im Netz deutlich zugenommen. Wie erleben Sie diese Entwicklung als Chefredakteur einer Investigativ-Redaktion?
Wir erleben immer dann eine ganz extreme Form von Hass, wenn die Recherche ins rechtsextreme Milieu führt. Aber auch in der privaten Nutzung von Social Media sehen wir, dass die Hürde gesunken ist, in den Kommentaren auch Drohungen und Beleidigungen zu äußern.
Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit und die Ihrer Redaktion aus?
Wir lassen uns dadurch nicht unter Druck setzen und uns nicht von unserem Tun abhalten, auch wenn Menschen ihren Hass eimerweise über uns ausschütten.
Wie war die Situation für Sie und Ihr Team nach der Veröffentlichung zur Recherche "Geheimplan gegen Deutschland"?
Auf AfD-Accounts wurden Fotos von Kollegen gezeigt, versehen mit versteckten Drohungen. Wir mussten davon ausgehen, dass den gezeigten Personen etwas passieren könnte und haben deshalb Sicherheitsdienste eingeschaltet, die sich mit Internetanalysen beschäftigen.
Es zeigte sich, dass in internen Chats herumgefragt wurde, ob jemand die Personen kennt und weiß, wo sie wohnen.
Sie und Ihre Mitarbeitenden recherchieren in den dunkelsten Ecken der Republik. Welche Strategien haben Sie entwickelt, um sich zu schützen?
Zunächst einmal: Mein Name steht nicht im Melderegister, diese Sperrung empfehlen wir auch unseren Mitarbeitenden. Außerdem haben wir den Schutzkodex von Reporter ohne Grenzen unterschrieben.
Die Redaktion verpflichtet sich, Schutzmaßnahmen für ihr Team zu treffen. Ein sicheres Arbeitsumfeld zu schaffen, hat heute eine andere Relevanz als früher.
Allein am Bahnhof zu stehen und auf den Zug zu warten, kann zu einer brenzligen Situation werden.
Justus von Daniels
Vor allem auf Demos geht es manchmal etwas grob zu. Wie bereiten Sie Ihr Team vor?
Für die Besuche von Demos im Wahlkampf gibt es enge Sicherheitsabsprachen sowie Vorsichtsmaßnahmen. Denn man kann nie wissen, ob es bei verbalen Drohungen bleibt oder ob es zu körperlichen Attacken kommt.
Deshalb schicken viele Medien beispielsweise Kameraleute mit Sicherheitswesten los. Auch geht generell nie jemand alleine los, es werden Teams gebildet, die engen Kontakt zur Redaktion halten. Zudem wird im Vorfeld geklärt, wie die einzelnen Personen vom Ort der Demo nach Hause kommen.
Allein am Bahnhof zu stehen und auf den Zug zu warten, kann zu einer brenzligen Situation werden. Das ist inzwischen traurige Realität.
Viele Journalist:innen berichten, dass Hass im Netz auch bei ihnen persönlich Spuren hinterlässt. Wie sensibilisieren Sie Ihr Team für den Umgang mit belastenden Inhalten und welche Unterstützung bieten Sie an?
Wir bieten vor, während und nach Recherchen den Zugang zu psychologischer Beratung an. Wir empfehlen außerdem, nach gewissen Recherchen, die Kommentarfunktion auf Social Media auszuschalten, um erwartbaren Hass zu vermeiden.
Falls sich das Abschalten nicht vermeiden lässt, bieten wir an, dass eine andere Person die Kommentare liest um zu checken, ob Inhalte justiziabel sind, damit man sich das nicht selbst antun muss.
Das Mindeste wäre wohl, dass der Schmutz im Netz genauso verfolgt wird wie im realen Leben.
Justus von Daniels
Die rechtlichen Maßnahmen gegen Hassrede im Netz empfinden viele für unzureichend. Was erwarten Sie von der Politik, um Medienschaffende und die Pressefreiheit besser zu schützen?
Eines möchte ich vorwegschicken: Der Hass im Netz richtet sich ja nicht nur gegen Medienschaffende, sondern betrifft viele, gerade wenn sie sich in der Öffentlichkeit äußern. Rechtsschutz müsste deshalb für alle gewährleistet werden.
Das Mindeste wäre wohl, dass der Schmutz im Netz genauso verfolgt wird wie im realen Leben – man geht zur Polizei, erstattet Anzeige, es werden Zeugen gehört, Beschuldigte verhört und dann kommt es zur Verurteilung. Aber das ist sehr aufwändig und oft verlaufen solche Anzeigen im Sand.
CORRECTIV prüft für Facebook Fakten. Trotzdem sind die großen Social-Media-Plattformen größter Umschlagplatz für Hass und Hetze. Was wünschen Sie sich von diesen Plattformen in Zukunft?
Der Faktencheck ist wichtig, aber er hat Grenzen, weil er ja immer nur als Reaktion erfolgt auf eine Desinformation.
Wichtig wäre es, die Ursache anzugehen. Dafür braucht es eine echte Durchsetzung der neuen EU-Regeln, die die Plattformen zwingen, Desinformation aktiv zu löschen und die Verbreitung zu verhindern. Deutschland stellt bisher viel zu wenig Mitarbeitende bereit, um das neue EU-Recht effektiv anzuwenden.
Abschließende Frage: Nach den Geheimtreffen-Recherchen hat CORRECTIV das Gespräch mit den Menschen auf der Straße gesucht. Müssen wir einfach wieder mehr miteinander sprechen?
Unbedingt! Das ist meiner Meinung nach das zentrale Thema für die Zukunft. Wir brauchen mehr Formate, die es ermöglichen, persönlich ins Gespräch zu kommen. Wir arbeiten etwa mit Pop-up-Redaktionen vor Ort. Außerdem beteiligen wir Menschen an unseren Recherchen und bitten sie, Informationen, über die nur sie verfügen, in die gemeinsame Recherche einzubringen.
Der schöne Nebeneffekt: Es bilden sich dadurch Initiativen. Menschen, die sich aufgrund der gemeinsamen Arbeit zu einer Geschichte begegnet sind, halten weiterhin Kontakt zueinander und tauschen sich aus. Wir müssen als Gesellschaft das gemeinsame Gespräch neu lernen, um uns wieder besser zu verstehen. Das ist der Boden für Demokratie.
Zur Person:
Justus von Daniels ist Chefredakteur der investigativen Redaktion des Medienhauses CORRECTIV. 2015 begann er dort als Investigativ-Reporter und entwickelte die Idee der Bürgerrecherche weiter. 2018 baute er das Netzwerk CORRECTIV.Lokal auf, in dem mittlerweile mehr als 2000 lokale Medienschaffende verbunden sind. 2019 wechselte er in die Chefredaktion.
Justus ist promovierter Volljurist und hat von 2010 bis 2012 in den USA unter anderem in Princeton als Postdoc gearbeitet. Vor seiner Zeit bei CORRECTIV war er freier Journalist unter anderem bei der ZEIT und dem Tagesspiegel. Justus wurde mehrfach für journalistische Recherchen ausgezeichnet, 2021 als "Chefredaktion des Jahres".
Justus von Daniels zählte zu den Expert:innen der #MTM24. Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 38. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und im MTM-Blog bereit. Dort kann auch der wöchentliche Blog-Newsletter abonniert werden.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der MEDIENTAGE MÜNCHEN.
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