Über den bewussten Umgang mit der Vielfalt der Gesellschaft wird unter dem Schlagwort „Diversity“ viel diskutiert. Doch wie steht es um die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung, queeren Personen oder Bürger:innen mit Migrationshintergrund in den Medien? Eine Bestandsaufnahme lieferten die MEDIENTAGE MÜNCHEN 2022.
Dass Marken und Medien ihre Logos während des Pride-Monats in Regenbogenfarben tauchen, wird wahrgenommen und gutgeheißen. Doch LGBTQ+-Personen wünschen sich, dass die Kommunikation danach noch tiefer geht: Im Rahmen der internationalen Studie „Beyond the Rainbow“ des Agenturnetzwerks WPP gaben 52 Prozent der Befragten das zu Protokoll.
Das Werk lag in Händen eines queeren Teams. Es sollte durchleuchten, wie das Selbstverständnis der LGBTQ+-Community in Großbritannien, Kanada und USA aussieht und welche Rolle Unternehmen und Marken für diese Zielgruppe spielen können.
Um die authentische Darstellung von LGBTQ+-Identitäten in der Werbung herauszuarbeiten, hat WPP 7500 Menschen im Angelsächsischen befragt - Menschen, die sich der queeren Community zugehörig fühlen oder auch nicht.
„Unter jungen Menschen sind queere Medien zum Mainstream geworden: 93 Prozent der 18- bis 24-Jährigen LGBTQ+ und 85 Prozent der gleichaltrigen Nicht-LGBTQ+ suchen aktiv nach queeren Medien. Dies belege deren universelle Attraktivität“, fasst das Branchenblatt Horizont ein wichtiges Ergebnis zusammen.
Qualität und Quantität der queeren Medien seien indes verbesserungswürdig. Nur 38 Prozent derjenigen, die queere Inhalte suchen, seien mit der Art und Weise zufrieden, wie LGBTQ+ Menschen dort dargestellt werden. Zwei von drei wünschen sich mehr queere Darstellungen, weiß das WPP-Werk.
Werden deutsche Medien diesen Wünschen gerecht?
Nicht wirklich. Konstantina Vassiliou-Enz, Journalistin und Gründerin des Beratungsunternehmens Diversity Kartell, lieferte bei einer Diskussion im Rahmen der #MTM22 eine ernüchternde Bilanz bezogen auf das Leitmedium Fernsehen: „Wir haben erst einen halben Schritt getan und sind längst noch nicht am Ziel.“
Die Zahlen sprächen für sich. Ein düsteres Bild zeichnete Vassiliou-Enz für die queere Community: Einem Bevölkerungsanteil von elf Prozent stünden zwei Prozent TV-Präsenz gegenüber. Bei den Menschen mit Migrationshintergrund liege das Verhältnis bei 27 zu 10 Prozent. Bevölkerungsanteil von Menschen mit Behinderung liege bei rund zehn Prozent, in den Sendungen tauchten sie aber nur zu 0,6 Prozent auf.
Auch seien in den TV-Programmen doppelt so viele Männer zu sehen wie Frauen. „Die Veränderung schreitet nur langsam voran. Wir sprechen hier von Zielgruppen, die sich im Programm nicht wiederfinden und das können sich die Medien eigentlich nicht leisten“, kritisierte die Journalistin.
Carlos Zamorano, Chief Marketing and Communications Officer beim Münchner Privatsender RTLZwei, räumte ein, „dass die Realität noch nicht adäquat abgebildet wird – im Programm wie auch im Unternehmen selbst“. Die Zahlen müsste der Sender ernst nehmen, denn es gehe hier um Menschen, die sich nicht gesehen fühlen. Die Abbildung von Klischees reiche auch nicht.
Felix Wesseler ist Pressesprecher und Chief Operating Officer bei Filmpool Entertainment, die 1974 von Gisela Marx gegründet wurde – also in einer Zeit, als auch in der Filmbranche homosexuelle Frauen noch auf große Ressentiments stießen. Er zeigte sich davon überzeugt, „dass Vielfalt uns als Branche besser macht und Diversität hinter und vor der Kamera stattfinden muss“.
Für RTLZwei produziert Filmpool seit 2011 die Vorabendserie „Berlin – Tag & Nacht“. Im ersten Cast seien sechs Schauspieler mit Migrationshintergrund und eine bisexuelle Frau vertreten. Für Wesseler sei das schon damals nicht ungewöhnlich gewesen, denn „wir wollen Berlin authentisch erzählen und Berlin ist so“.
An den Strukturen arbeiten
Auch hinter den Kulissen müsse für mehr Diversität gesorgt werden, waren sich die Diskussionsteilnehmer:innen der Medientage-Veranstaltung einig. In der RTL-Familie wird beispielsweise an den Strukturen aktiv gearbeitet, an der Stabsstelle in der Konzernspitze setzt Mirijam Trunk Impulse. Und um im eigenen Unternehmen in Grünwald bei München Vielfalt zu fördern, hat RTLZwei vor einem halben Jahr eine Diversity-Gruppe eingerichtet.
„Unsere Arbeitsgruppe arbeitet interdisziplinär. Für die interne Bestandserhebung haben wir einen detaillierten Fragebogen aufgesetzt – auch, um die unterschiedlichen Begriffe zu definieren und darüber aufzuklären“, erklärte Jessica Kreidel (Foto oben), Leiterin Konzeption und Design bei El Cartel Media, dem Vermarkter von RTLZwei. Sie räumte ein, dass das Thema Quote auch die Diversity-Gruppe spalte und heftig darüber diskutiert werde. Sie sei eine Befürworterin, denn es brauche einen „Push“, einen Anschub: „Wir haben eine besondere Verantwortung, denn wir beeinflussen auch die Gesellschaft.“
Ein Appell, der an anderer Stelle der #MTM22 ähnlich formuliert wurde. „Wer große Reichweite hat, muss verantwortungsvoll damit umgehen“, betonte Dr. Catharina Retzke-Heinzelmann von ProSiebenSat.1 im Rahmen einer mission-female-Session. Die Rechtsanwältin ist seit über 20 Jahren in der TV- und Entertainment-Branche; sie hat noch miterlebt, wie reine Männerrunden bei Medienevents als Normalfall abgetan wurden.
Konstantina Vassiliou-Enz gab zu bedenken: „Der Veränderungsdruck wird größer werden. Die Menschen, die sich nicht wiederfinden, haben eine Stimme und machen sich bemerkbar.“
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 36. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.
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