Die Rede ist inzwischen vom Werbe-Duopol - von Facebook und Google. Drei Viertel - 74,5 Prozent - des digitalen Anzeigenmarkts hierzulande werden bereits von den US-Giganten beherrscht, heißt es in aktuellen Einschätzungen des Marktforschers eMarketer. Das zu Springer gehörende Unternehmen gibt ein Marktvolumen von insgesamt 7,79 Milliarden Euro im Jahr 2019 aus. Mit einem weiter wachsenden Werbemarktanteil der "GAFA" genannten digitalen Dickschiffe, zu denen auch noch Amazon und Apple zählen.
Wie halten deutsche Unternehmen dagegen? Das beschäftigt Diskussionsteilnehmer des Workshops "Mit Allianzen gegen GAFA - Comeback der Local Heroes?" im Rahmen der Medientage München 2019 vom 23. bis 25. Oktober 2019. Einer, der dabei für hiesige Digitalmarken und Initiativen spricht, ist Jan Oetjen. Der Geschäftsführer WEB.DE und GMX sowie Stiftungsratsvorsitzender der European netID Foundation skizziert im Interview mit dem Blog der Medientage die deutsche Sicht der Dinge.
Stand Oktober 2019: Haben die "Walled Gardens" der großen US-Digitalkonzerne die Macht, Handel, Medien oder auch Werbung unter Druck zu setzen?
Die großen Digitalkonzerne besetzen alle Schaltstellen der digitalen Wertschöpfungskette. Angefangen von den Betriebssystemen, App-Stores über die Browser bis hin zu den Handels-, Social- und Ad-Tech-Plattformen. Gepaart mit hoher Reichweite und Log-In-Quote ergibt das eine gigantische Marktmacht.
Zu dieser Macht kommt noch der Zugzwang, denn das digitale Wachstum im Kerngeschäft bietet keinem der US-Giganten genug Potenzial, um die Wachstumserwartungen der Börse zu erfüllen. Ihnen wird nichts anderes übrig bleiben, als in fremde Geschäftsfelder einzudringen.
Dabei kommen sie sich immer häufiger untereinander ins Gehege: Amazon baut seinen Shop zur Such- und Werbe-Plattform aus, Google seine Suche zur Shopping-Plattform. Apple startet Streaming-Dienste - und alle bauen Zahlungsdienste und ID-Management-Services auf. Insbesondere letztere werden sie konsequent nutzen, um bei der Digitalisierung von Industrien einen möglichst großen Teil aus der Wertschöpfung an sich zu reißen – Handel, Medien und Werbung sind hier erst der Anfang.
Gibt es bereits Kooperationen, Allianzen und Sharing-Modelle für Vermarktung, Daten oder Content, die gegen die digitale Übermacht ankommen?
Die Erkenntnis hat sich mittlerweile durchgesetzt, dass die Digitalindustrie zusammenarbeiten muss, wenn sie eine Chance haben will. Europas Digitalindustrie muss sich emanzipieren, um selbst Standards zu setzen und im Markt auszubauen. Wir dürfen uns nicht die nächsten zehn Jahre wieder Systemen der US-Player anpassen und die Regeln diktieren lassen und hinterher wundern, dass nichts vom Kuchen übrig bleibt. Basis für alle Kooperationen und Allianzen sind immer eigene Standards. Der wichtigste jetzt zu etablierende Standard ist dabei der für digitale Identitäten und Einwilligungen.
Eine Option bietet hier netID, die in einer Branchen-Kooperation entstanden ist und die einen übergreifenden und offenen Login-Standard für das ID-Management schafft. Mit 38 Millionen aktiven Accounts und rund 70 angebundenen Internet-Angeboten, gibt es bereits eine offene, übergreifende und europäische Alternative zu den US-Systemen.
Gelingen solche Standards, lassen sich verschiedene Modelle auch branchenübergreifender Zusammenarbeit realisieren.
Wie ist die aktuelle politische Diskussion mit der Forderung nach mehr Kontrolle der Plattformen aus Sicht eines deutschen Digitalunternehmens zu bewerten?
Die Hilfe vonseiten der Politik ist begrüßenswert. Allein darauf darf sich die Digitalindustrie nicht verlassen. Wettbewerbsverfahren dauern extrem lang, bis sie durch sind. Sind die Märkte erst verteilt, wirken Strafzahlungen dann eher wie eine nachträgliche Monopol-Gebühr. Und die dann erlassenen Auflagen versuchen verzweifelt, die Uhr zurückzudrehen, was nur selten gelingt.
Als alternative Lösung bleibt nur, von vornherein gesetzlich einzugreifen. Ein Gesetzgebungsprozess dauert allerdings ebenfalls Jahre und trifft am Ende häufig genau die Falschen. Der Industrie bleibt also wenig übrig, außer sich selbst zu helfen.
Der letzte politische Eingriff kam von der EU in Form der DSGVO vor gut eineinhalb Jahren. Wie bewerten Sie die Entwicklung seither?
Die Digitalindustrie hat sich von der Datenschutzgrundverordnung vor allem eine einheitliche und klare Regelung für alle in Europa tätigen Unternehmen erwartet. Davon sind wir – das muss man in aller Deutlichkeit sagen – leider weit entfernt.
Das gesamte Segment ist auch eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten der DSGVO in einem dichten Nebel unterwegs, der von rechtlichen Unsicherheiten und stark divergierenden Interpretationen der Regelungen geprägt ist, bei dem noch nicht einmal in den Bundesländern, geschweige denn in den Mitgliedstaaten eine auch nur annähernd einheitliche Auffassung besteht. Unsicherheiten schaden aber dem Markt, insbesondere den lokalen Unternehmen; sie haben die Dominanz der US-Unternehmen eher beschleunigt.
Bei der geplanten ePrivacy-Verordnung muss daher mehr Klarheit und Einheitlichkeit geschaffen werden. Darüber hinaus muss man aufpassen, nicht wieder grundlegende strukturelle Fehler zu begehen. Besonders kritisch ist hier die Überlegung, die Opt-in-Verwaltung per Gesetz auf die Browser-Hersteller zu übertragen. Das wäre dann der gesetzlich verordnete Gatekeeper und würde die Macht über die Opt-In-Verteilung in die Hand der US-Riesen legen.
Wer den Fuchs zum Aufpasser für den Hühnerstall bestellt, darf sich nicht wundern, wenn von der lokalen Industrie wenig übrig bleibt und man zur Regulierung vergeblich den US-Playern hinterherläuft. Die Opt-in-Verwaltung gehört auf eine neutrale Plattform.
Die European netID Foundation und ähnliche Login-Kooperationen sind ein Anfang. Was wird folgen?
netID ist jetzt seit einem Jahr online und hat damit seine Praxistauglichkeit unter Beweis gestellt. Mit 38 Millionen Nutzern auf der einen Seite und bereits über 70 Partnerunternehmen aus nahezu allen Industriesegmenten auf der anderen Seite, haben wir eine erste Basis geschaffen. Diese ermöglicht es den Nutzern, sich mit einer zentralen ID durchs Netz zu bewegen und an diese ID ihre Einwilligungen zu speichern, die unabhängig von Browsern oder anderen Gatekeepern funktionieren.
Hierzu wird es ab Anfang nächsten Jahres auch eine Lösung geben, die Konsumenten die Nutzung vereinfacht. Hat der Nutzer auf einem Gerät bereits einmal netID genutzt, kann er diese leicht auch auf weiteren Seiten nutzen, um somit seine Einwilligungen seitenübergreifend und persistent zu erteilen oder zu entziehen. Diese Funktion ist für Firmen sehr einfach zu integrieren, da keine volle Systemanbindung an den netID- Login erforderlich ist.
Erleben Sie Jan Oetjen live bei den Medientagen München 2019. Der Digitalmanager ist am 24. Oktober 2019 Teil der Diskussionsrunde "Mit Allianzen gegen GAFA - Comeback der Local Heroes?".
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