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Medien und Corona: Der Schnelligkeit muss Sorgfalt folgen

14. Mai 2020

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Wissenschaftsjournalisten können keine bequemen Wahrheiten verbreiten, auch wenn die Menschen danach suchen. Diese Einschätzung von Volker Stollorz, Leiter des Science Media Centers, fasst das Dilemma der Berichterstattung rund um die Corona-Pandemie ganz gut zusammen. Aber wie kann Unbequemes richtig und konstruktiv vermittelt werden? Was ist guter Journalismus in Corona-Zeiten? Expert*innen aus Medien und Wissenschaft haben bei der 2. Ausgabe der MTMdigitalks, der neuen Online-Reihe der Medientage München, nach Lösungsansätzen gesucht.

Die Lage der Berichterstatter*innen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland mit massivsten Auswirkungen auf die Bürger*innen kann so beschrieben werden: "Es entsteht ein Spagat zwischen Schnelligkeit und Sorgfalt. Es muss gesagt werden, ohne dass man es selbst ganz genau weiß", berichtete Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, bei der Online-Konferenz MTMdigitalk. "Seriöser Journalismus ist es, gerade jetzt auf verantwortungsvolle Weise mit elementarer Unsicherheit umzugehen."

Doch zugleich sieht Pörksen die Qualitätsmedien in Gefahr, ihre Werbefinanzierung am Wegbrechen, das Fehlen neuer Finanzierungsmöglichkeiten wichtiger Inhalte. Es brauche gerade jetzt einen Pakt zwischen Gesellschaft und Journalismus. Denn, so Pörksen: "Seriöser Journalismus benötigt Geld und ist in einer Demokratie vergleichbar mit sauberem Wasser." Der Medienwissenschaftler pochte auf ein Hinterfragen der journalistischen Arbeit:

Dass Journalismus systemrelevant ist und dies in der aktuellen Krise besonders unter Beweis stellt, konnte die Analyse "Navigating the Infodemic: How People in Six Countries Access and Rate News and Information about Coronavirus" des Reuters Institute for the Study of Journalism belegen. Aus Oxford war Rasmus Kleis Nielsen, Director of Research, zugeschaltet. Für alle untersuchten Regionen - Argentinien, Deutschland, Südkorea, Spanien, UK und USA – gilt demnach, dass sich die Menschen in erster Linie in klassischen Nachrichtenmedien über Corona informieren. Daneben werden aber auch immer mehr andere Plattformen und soziale Medien genutzt. Nielsen hob hervor: "In fast allen Ländern wird Nachrichten relativ viel Vertrauen entgegengebracht, oft mehr als der Regierung - und viel mehr als einzelnen Politikern."

Volker Stollorz, der als Leiter des Science Media Centers an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Journalismus wirkt, ging bei den MTMdigitalks auf das Spannungsfeld ein, das naturgemäß bei seiner Arbeit entsteht. "Es ist die Stärke der Wissenschaft, ihre Meinung aufgrund neuer Erkenntnisse zu ändern. Der Öffentlichkeit ist das nur sehr schwer zu vermitteln, der Mensch tickt anders", betonte Stollorz mit Blick auf die breite Kritik aus der Bevölkerung an den sich wandelnden Aussagen zu Covid-19, zu Symptomen, Schutzmaßnahmen, zu Reproduktionsraten oder zur Sterblichkeit. "Wissenschaft ist für unbequeme Erkenntnisse da" – mit der Folge:

 
Was tun, um besser mit dem Dilemma umzugehen?

Die Tonlage der Berichterstattung müsse sich nach den ersten Phasen der Berichterstattung nun ändern, schlug Bernhard Pörksen vor. Dem pflichtete Klaus Meier bei. Der Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt teilte zuvor das bisher Berichtete in vier Phasen ein.

Von den "Hinterzimmerentscheidungen", die zwischen wenigen Virologen und Regierungsvertretern gefällt wurden, und Bildern von Särgen aus Bergamo im März, als die Schlagzeilen der Regierung dabei halfen, die Menschen auf unbequeme und nötige Maßnahmen einzustimmen. Diese Einseitigkeit der Information habe sich auch durch Phase 2 bis Mitte April gezogen, erklärte Meier – eine Zeit, in der selbst von Journalisten öffentlich-rechtlicher Sender wenig Gegenfragen gestellt wurden, wie der Medienwissenschaftler beklagte. Erst seit der Osterzeit, als die Bürger*innen begannen, nach dem Weg aus den Beschränkungen zu fragen, bis hin zur aktuellen Phase 4, in der massive Kritik an Maßnahmen, an Politik und Wissenschaft laut wird, sah Klaus Meier den aus seiner Sicht notwendigen Diskurs in die Berichterstattung  einfließen.

Die "unglaubliche Nähe zu Virologen und Epidemiologen" ohne Rückfragen von Wissenschaftsjournalisten und weitgehend ohne andere wissenschaftliche Perspektiven führte der Eichstätter Professor als einen der Gründe an, warum eine solche Skepsis gegenüber den offiziellen Aussagen entstehen und Platz für Verschwörungstheorien oder Fake News rund um Corona geschaffen werden konnte.

Und nun?

Meier schlug mehr Diskurs vor: "Die Fragen der Bürger müssen ernst genommen werden. Sie wollen als Partner gesehen werden und nicht nur als Befehlsempfänger.“ Für den Journalistik-Professor ist es an der Zeit für Faktenchecks. Der Schnelligkeit sollte nun Sorgfalt folgen. Zudem forderte er: "Auch Zweifler müssen in der Berichterstattung zu Wort kommen dürfen!“

 

Was sagen die Journalist*innen?

Sie gehen durchaus selbstkritisch mit dem um, was in den vergangenen zwei Monaten in der Berichterstattung passiert ist.

"In Krisen zeigt sich, dass Glaubwürdigkeit das höchste Gut des Journalismus ist", betonte Ines Pohl, designierte Studioleiterin Washington bei der Deutschen Welle. Es bleibe enorm wichtig, dass Medien als Mittler von Wissenschaft erhalten blieben, zumal sich Menschen gern die Informationsquellen aussuchten, die ihren Meinungen entsprechen. Stichwort: unbequeme Wahrheit. Die Lehre für Pohl: "Wir Journalisten müssen mit dem Anspruch auf Wahrheit anders umgehen. Wir sagen Euch, was wir recherchiert haben – und behaupten nicht mehr, dass wir die Wahrheit kennen.“

Zentrale Aufgabe der Medien sei laut Ines Pohl auch das Abwägen und Darstellen unterschiedlicher Positionen – und das für unbestimmte Zeit!

Journalisten müssten vielmehr eine kuratierende Rolle einnehmen und noch sauberer trennen zwischen Information und Meinung, schlug Ines Pohl vor. Sie plädierte für die "Rückkehr zur Formattreue", die im "Erregungsjournalismus" der vergangenen Jahre verloren gegangen sei.

 

Moderator Michael Praetorius (r.) im Gespräch mit Ines Pohl (oben), Klaus Meier und Martina Franzen.Moderator Michael Praetorius (r.) im Gespräch mit Ines Pohl (oben), Klaus Meier und Martina Franzen (Foto: Medien.Bayern).

 

Journalist*innen sollten mehr Plattformen bespielen

Belegte die Reuters-Studie, dass sich Menschen neben klassischen Medien über immer mehr Plattformen und soziale Medien informieren, so forderte Martina Franzen vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI): "Medien sind gefragt, ihre Medialität stärker zu entfalten und auch diese Kanäle zu bespielen, wo sich die Ernüchterten aufhalten." Gemeint sind Facebook, Messenger - und vor allem YouTube.

Die Google-Videoplattform steht genau aus diesem Grund bei der Redaktion maiLab des öffentlich-rechtlichen Jugendangebots funk im Zentrum. Melanie Gath, Redakteurin des SWR-Teams, bestätigte beim MTMdigitalk, dass die Nutzer*innen ein Bedürfnis nach Wissenschaft und gutem Content auch in der YouTube-Welt an die Mannschaft herantragen. Gath: "Es ist gerade auf dieser Plattform wichtig, auf der sich so viele Aluhüte herumtreiben, unsere Wissenschaft zu verbreiten. Auch wenn es anstrengend ist."

 
Was kann man dem Publikum zumuten?

Mehr als gedacht, meinte Korinna Hennig, Redakteurin bei NDR info. Sie produziert den Podcast “Coronavirus-Update mit Christian Drosten". Hennig zeigte sich bei der Medientage-Online-Konferenz verblüfft vom Erfolg des Hörstücks des Virologen - mit inzwischen 35 Millionen Abrufen über alle Folgen hinweg. Korinna Hennig: "Wir haben gelernt, dass wir Menschen nicht unterschätzen sollten." Die Zuhörer mögen es nach ihrer Aussage ausführlich und "kompliziert, um den großen Zusammenhang zu verstehen".

Ein Podcast sei für die komplexen Dinge, die der Virologe Christian Drosten zu berichten habe, ein optimales Format. Eine Print-Kolumne wäre keine Alternative gewesen, betonte die NDR-Journalistin. Im Podcast könnten mehr Emotionen mitgegeben werden, die gerade bei diesem Thema essenziell seien.

Über den Drosten-Podcast und maiLab-Berichte sprachen Korinna Hennig (l) und Melanie Gath mit Michael Praetorius (Foto: Medien.Bayern). Über den Drosten-Podcast und maiLab-Berichte sprachen Korinna Hennig (l) und Melanie Gath mit Michael Praetorius (Foto: Medien.Bayern).

Ein Ende von Drosten fürs Ohr ist derzeit übrigens nicht in Sicht. Hennig: "Ich schließe nicht aus, dass wir weitermachen bis der Impfstoff da ist und wir durchatmen können."

 

Kann der Datenjournalismus für klare Sicht sorgen?

"Es ist wichtig in der Krise, dass wir als Datenjournalisten auch über die Unzulänglichkeiten von Daten und Statistiken berichten können", erklärte Vanessa Wormer, Teamleiterin Daten und digitale Investigation bei der Süddeutschen Zeitung. Mit sieben programmierenden Datenjournalisten habe das Münchner Medienhaus einen "guten Standortvorteil zu Beginn der Pandemie" gehabt.

Bereits Anfang März konnte Wormer mit dem Online-Stück "Die Wucht der großen Zahl" den Lesern visualisieren, welcher mathematische Effekt hinter dem exponentiellen Wachstum der Corona-Infektionen steckt. Es wurde laut der SZ-Journalistin das meistgelesene Stück rund um die Pandemie. Dass solche Erklärstücke in einer Zeit großer Unwissenheit und Verunsicherung enorm wichtig sind für Leser*innen, hat sich bei der SZ in der Folge bis hinein in die Chefredaktion verankert.

Die "bestmögliche Annäherung an die Realität" nannte Vanessa Wormer das Datenwerk. Ein visueller Journalismus, der viel Arbeit bedeute und der stets bemüht sei, offen und transparent Quellen darzulegen. Ihr Fazit lautete: "Corona zeigt, was Datenjournalismus kann."


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