Angela Merkel hat gerade die Bedeutung der freien Presse gewürdigt. Anlass ist das Erscheinen der ersten freien Zeitungen nach dem 2. Weltkrieg vor 75 Jahren. Dabei verurteilt die Bundeskanzlerin in ihrer Videobotschaft jüngste Angriffe auf die Presse und betont die Rolle der Medien in der Corona-Krise. Und das aus gutem Grund: Journalist*innen sehen sich einer aktuellen Studie zufolge zunehmend Anfeindungen und Angriffen aus rechtsextremen Kreisen ausgesetzt.
Sechs von zehn befragten Journalist*innen haben nach eigenen Angaben in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal hasserfüllte Reaktionen erhalten. Das geht aus der Studie "Hass und Angriffe auf Medienschaffende" von Michael Papendick, Yann Rees, Franziska Wäschle und Andreas Zick vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld hervor. Ein Fazit: Laut Gewaltforscher Zick haben diese Attacken zugenommen, Journalismus wird damit auch in Deutschland gefährlicher.
Mehr als 300 Journalist*innen hat das Forschungsteam der Uni Bielefeld und des Mediendienstes Integration in einer nicht repräsentativen Studie befragt. Ein Vergleich ist dabei möglich: 2017 haben die Wissenschaftler dieselbe Befragung schon einmal durchgeführt.
Die zentralen Ergebnisse der aktuellen Befragung
- Fast zwei Drittel der befragten Journalist*innen - rund 60 Prozent - wurden im vergangenen Jahr angegriffen. Sie wurden beleidigt und Opfer von Shitstorms. Fast jeder Sechste musste körperliche Angriffe hinnehmen oder bekam sogar Morddrohungen.
- Die Gewalt hat damit zugenommen. 2017 hatten deutlich weniger Medienschaffende Hate Speech oder Gewalt erfahren: Nur etwa 40 Prozent der Befragten waren damals betroffen.
- Als "Hot Topics" führen die Befragten vor allem die Themen "Migration", "AfD" und "Flüchtlinge" an.
- Der überwiegende Teil der von Hass Betroffenen ordnet die Anfeindungen gegen Journalist*innen einem rechten politischen Spektrum zu (82,4 Prozent). Knapp zwei Drittel aller Befragten (63,9 Prozent) sind laut Studie der Ansicht, dass Angriffe auf Medienschaffende durch politische Akteure in Deutschland insgesamt zunehmen. "Sie benennen dabei als Aggressor explizit die AfD", heißt es in dem Werk.
- Die Hasstiraden erreichen Redakteur*innen überwiegend über soziale Netzwerke und per Mail, aber auch von Angesicht zu Angesicht, wie 30 Prozent der Befragten angeben.
- Es gibt konkrete Beispiele: Befragte Journalisten berichteten demnach von Steinwürfen gegen ein Kamerateam bei Ausschreitungen vor einer Unterkunft für Geflüchtete. Eine Journalistin hält fest, Anfeindungen in Form von Beleidigungen und anzüglichen Kommentaren via Twitter seien für sie Alltag. Auch anonyme Briefe mit Morddrohungen werden in der Bielefelder Analyse als Beispiel angeführt.
- Nur bei jedem vierten der polizeilich ermittelten Fälle kam es zu einer Verurteilung.
Andreas Zick von der Universität Bielefeld war an der Studie beteiligt. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk machte der Konfliktforscher deutlich, dass es meist gar nicht um journalistische Inhalte geht: "Wir haben Hinweise aus der Studie, dass sich Hate Speech in gewisser Weise gegen Journalismus radikalisiert hat." Die Journalist*innen würden gar nicht angegriffen aufgrund von bestimmten Berichten, sondern es gehe um politische, ideologische Kämpfe.
Hassrede ist organisiert, wir wissen das aus unseren Netzwerkanalysen.
Andreas Zick, Universität Bielefeld
Was kann getan werden?
Soziale Medien als bevorzugter Ort für Hate Speech sind schon länger im Visier de Medienmacher*innen und der Medienpolitik. Vergangene Woche, bei der zweiten Ausgabe der neuen Medientage-Online-Reihe #MTMdigitalks unter der Headline "Was ist guter Journalismus in Corona-Zeiten?" forderte etwa die Soziologin Martina Franzen vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) die Journalist*innen auf, stärker dort mit qualitativ hochwertigen Inhalten zu wirken, wo die Zweifler sitzen. Franzen: "Medien sind gefragt, ihre Medialität stärker zu entfalten und auch diese Kanäle zu bespielen, wo sich die Ernüchterten aufhalten.“ Gemeint sind Facebook, Messenger oder auch YouTube.
Das Land Bayern verlässt sich übrigens nicht allein auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, mit dem Plattformbetreiber seit 2018 gegen Hate Speech, Fake News und strafbare Posts vorgehen sollen. Die Initiative "Justiz und Medien – konsequent gegen Hass" von Justizministerium und Bayerischer Landeszentrale für neue Medien (BLM) bietet seit einiger Zeit ein eigenes Verfahren. Unter konsequent-gegen-hass.de können sich Interessierte informieren, Kontakt zur Initiative aufnehmen oder sich dem Projekt anschließen.
Das Thema bewegte auch die Teilnehmer der Medientage München 2019:
Sie interessieren sich für Themen rund um die Medienbranche? Dann finden Sie hier im Blog der Medientage München noch mehr Lesenswertes.
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