TikTok, Instagram, Snap – für viele Jugendliche gehört der Swipe-Daumen zum Medienalltag. Gleichzeitig wird der Ruf nach Altersgrenzen für die Social-Media-Nutzung lauter. Doch wo verläuft die Grenze zwischen Schutz und Freiheit? Und wie sinnvoll und durchsetzbar ist ein Verbot?
Dazu gab es bei den 21. Augsburger Mediengesprächen eine kontroverse Debatte, zu der die Bayerische Landeszentrale für neue Medien und die Augsburger Sender eingeladen hatten.
Handeln, bevor schädliche Auswirkungen auf Heranwachsende wie die Konfrontation mit verstörenden Inhalten im Netz oder suchtartiges Verhalten weiter zunehmen: Das ist die Position von Digitaltrainer Daniel Wolff, Unterstützer der Initiative Smart ab 14. Er setzte sich für klare Altersvorgaben zur Social-Media-Nutzung ein. Der Staat müsse unsere Kinder und Jugendlichen endlich besser schützen.
So sieht das auch Prof. Dr. Julia Brailovskaia vom Deutschen Zentrum für psychische Gesundheit, die zum Auftakt über die Konsequenzen von Social Media für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sprach.
Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
Außer dem suchtartigen Verhalten, das in Deutschland mittlerweile knapp fünf Prozent der 10- bis 17-Jährigen zeigten, gehören dazu Depressions- und Stresssymptome, ein gestörtes Körperbild, suizidale Gedanken, Essstörungen und Schlafprobleme sowie eine mangelnde Impulskontrolle.
Studien zeigten, dass 30 Minuten weniger Social Media am Tag, kombiniert mit mehr Bewegung, messbar zu mehr Lebenszufriedenheit und Glücksempfinden führten, so die Forscherin. Am wirksamsten sei also nicht der totale Cut, sondern ein bewusster, begrenzter Umgang.
Die von ihr mitverfassten Handlungsempfehlungen der Leopoldina lauten:
- Unter 13 Jahren: keine Social-Media-Nutzung
- 13 bis 15 Jahre: idealerweise mit enger elterlicher Begleitung
- 13bis 17 Jahre: altersgerechte, sichere Gestaltung der Plattformen
Medienaufsicht: Verbote sind nur die „Ultima ratio“
BLM-Präsident Dr. Thorsten Schmiege hatte zum Auftakt sehr klar formuliert, warum so ein Verbot zu kurz greift. Es setze zwar ein starkes politisches Signal und schaffe Rechtsklarheit. Letztlich könne es aber immer nur die „Ultima Ratio sein“, wenn alle anderen Maßnahmen versagt hätten. Er ist überzeugt: „Digitale Resilienz wächst nicht hinter Verboten.“
Dr. Thorsten Schmiege (Foto: BLM, Fred Schöllhorn)
Handlungsbedarf sieht er vor allem in drei Punkten:
- Plattformregulierung: Damit die Verbreitung schädlicher Inhalte gestoppt und funktionierende Altersverifikationssysteme eingesetzt werden könnten, müsste das Haftungsprivileg der Plattformen fallen.
- Bildungspolitik: Einheitliche Regeln zur Handynutzung an Schulen und pädagogische Unterstützungsangebote könnten Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften helfen
- Medienkompetenz-Vermittlung: muss praxisnah sein und die Lebens- und Nutzungsrealitäten junger Menschen ernst nehmen.
Politik: Kein Kokon, aber klare Leitplanken
Der bayerische Digitalminister Dr. Fabian Mehring warnte davor in einer Zeit, in der Social Media und KI längst zum Leben gehörten, gerade für junge Menschen einen „digitalen Verbotsstaat“ zu errichten. Stattdessen setze Bayern auf Medienkompetenz als Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts. Der Staat dürfe keinen vermeintlich schützenden Kokon über die „Digital Natives“ legen, sondern müsse sie befähigen, sich selbstbestimmt durch die digitale Welt zu bewegen.
Mehring verwies auf altersangepasste Nutzungseinschränkungen, schulische Angebote und auf das geplante EU-Wallet mit Altersnachweis, das künftig die technische Altersverifikation erleichtern soll.
Dr. Thorsten Schmiege, Fabian Mehring, Dr. Susanne Eggert (Foto: BLM, Fred Schöllhorn)
Regulierungskritik: „Der Staat hat 20 Jahre lang versagt“
Deutlich kritischer blickte Daniel Wolff, Digitaltrainer und Autor des SPIEGEL-Bestsellers „Allein mit dem Handy“, auf die bisherige Regulierung. Für ihn reicht es nicht, auf Einsicht und Medienkompetenz zu setzen, solange die Geschäftsmodelle der Big Tech auf maximaler Aufmerksamkeit beruhten.
Wolff berichtete von seinen Erfahrungen in den Schulen: In der Praxis seien 10-Jährige nachts stundenlang auf TikTok unterwegs – weit weg von den Altersangaben in den AGB (ab 13 Jahren). Deshalb wären nur festgelegte Altersgrenzen, kombiniert mit Medienbildung, wirksam.
Daniel Wolff (Foto: BLM, Fred Schöllhorn)
Medienpädagogik: Ohne Kompetenz geht es nicht
Für einen Mittelweg, der auf eine altersdifferenzierte Regulierung und Medienkompetenz setzt, plädierte Dr. Susanne Eggert vom Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF). Kinder müssten an den Umgang mit digitalen Medien herangeführt werden wie an Stift und Schere – Schritt für Schritt und begleitet. Verbote könnten Einzelfälle lösen, aber nicht die strukturellen Herausforderungen. Da 13-Jährige und 17-Jährige unterschiedliche Bedürfnisse und Kompetenzen hätten, sei eine Altersdifferenzierung im Zugang zu sozialen Medien sehr sinnvoll.
Als „must have“ statt „nice to have” bezeichnete sie die Förderung von Medienkompetenz für Kinder, Eltern und Fachkräfte. Außerdem müssten die „Täter“ – die Plattformen mit Blick auf kindgerechte Angebote stärker in die Verantwortung genommen werden, statt den „Opfern“ die digitale Teilhabe zu verweigern.
Jugendperspektive: Medienbildung auf Augenhöhe
Irgendwo zwischen den Welten bewegt sich Niklas Reinfelder, Leiter der TikTok-Redaktion RISKANTIK. Der TikTok-Kanal aus dem gemeinsamen Projekt von BLM und JFF, jung.dynamisch. online, soll Jugendlichen Kompetenzen im Umgang mit Social Media vermitteln. Ein pauschales Verbot hält Reinfelder weder für sinnvoll, noch für umsetzbar. Er bestätigte Wolffs Erfahrungen, dass Kinder und Jugendliche die Altersangaben alle fälschen würden. Er selbst hätte zum Beispiel mit elf Jahren bereits einen Instagram-Account gehabt.
Niklas Reinfelder (Foto: BLM, Fred Schöllhorn)
Deshalb brauche es eine realistische Medienbildung, die dort ansetzt, wo Jugendliche tatsächlich sind: auf TikTok, Instagram, YouTube. Gleichzeitig machte er klar, dass die Kompetenz der Eltern und Lehrkräfte häufig hinter der Realität der jungen Social-Media-User hinterherhinkt.
Reinfelders Wunsch: Medienkompetenz müsse ein eigenes Unterrichtsfach werden und nicht nur Thema der Projektwoche.
Wie sieht es in zehn Jahren aus?
Am Ende der Diskussion, souverän moderiert von Yasmine M’Barek, zeigte sich, dass die Spannungsfelder Freiheit vs. Schutz, Teilhabe vs. Prävention und Eigenverantwortung vs. Regulierung so schnell nicht aufzulösen sind. Ohne Technik geht es nicht, aber die Technik allein und ein pauschales Verbot sind auch nicht die „Ultima ratio“.
Mehr Informationen und Materialien sind hier zu finden.
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