Die weltweite Streaming-Expansion ist weiter in vollem Gange. Weitere Anbieter wollen Plattformen starten. Mit dem wachsenden Angebot geht der Kampf der Streaming-Marken um die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen in eine neue Phase: mit der Differenzierung der Angebote, mit neuartigen Programmierungen oder mit anderen Wegen, dem Publikum das Bewegtbild-Gut schmackhaft zu machen. Ein Überblick.
Während die Wirtschaft weltweit unter den Folgen der Corona-Krise leidet, gehören Streaming-Dienste zu den großen Gewinnern. Dank des Lockdowns im Frühjahr, den viele Menschen zu Hause verbringen mussten, konnten Netflix und Co. Nutzerzuwächse von bis zu mehr als 100 Prozent verzeichnen. 2020 war auch das Jahr der Neustarts im Streaming. Mit Disney+ etwa hat die Branche im Frühjahr einen Senkrechtstart miterleben dürfen, der nur zum Teil der erhöhten Nachfrage im Corona-Lockdown zugesprochen werden sollte.
Generell haben die Anbieter den Nachfrageschub des ersten Halbjahrs genutzt und ihre Plattformen mit hochwertigen Bewegtbild-Inhalten angereichert oder vorzeitig überarbeitet. Der Zuwachs an Reichweite gibt ihnen Recht. So konnte etwa die RTL-Familie ihre Position als führender deutscher Anbieter mit bis zu 5,95 Millionen Unique Usern (März 2020) und 41 Millionen Visits (September 2020) ausbauen und für den November verkünden: "Mit 34,77 Mio. Visits und einer Steigerung von sehr guten 16 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat festigt TVNOW mit exklusiven Originals und starken TV-Marken seine Position als der führende deutsche Streamingdienst."
Sender-Mediatheken werden massiv ausgebaut
Dieser Investitionsschub setzt sich 2021 fort: So plant beispielweise die ARD eine "Super-Mediathek", wie WDR-Intendant Tom Buhrow, aktuell ARD-Vorsitzender, während der MEDIENTAGE MÜNCHEN angekündigt hat. Damit will das Team mit den Mainzer Kolleg*innen vom ZDF wieder gleichziehen – wenn schon nicht gemeinsame Sache machen. Buhrow. "Wir haben erkannt, dass wir für die Mediathek eine unabhängige Programmierung brauchen und haben deshalb einen Channel Manager installiert, der auch in der Programmdirektion sitzt."
Die Fernsehdirektor*innen hätten es sich zur Strategie gemacht, die Produktion für die Mediathek mitzudenken. Außerdem würden Budgets entsprechend umgeschichtet. Auch wenn die Konturen der beiden Systeme von ARD und ZDF weiterhin sichtbar bleiben müssten, "so müssen wir dies im Blick behalten, wenn wir international wettbewerbsfähig bleiben wollen gegen die internationalen Plattformen", betonte Buhrow.
"Es kann gar nicht zu viel Content geben"
Auch der Streaming-Dienst Starzplay, ein Tochterunternehmen des US-Filmstudios Lionsgate, der erst im Mai 2018 in Europa an den Start ging, profitierte vom steigenden Bedarf an Content und Unterhaltung. Das Starzplay-Angebot lief zunächst nur über Amazon Prime in Deutschland und Großbritannien. Inzwischen lassen sich die Inhalte auch über Apple TV oder per Apple- und Android-App buchen.
Im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN verkündete die Vizepräsidentin des US-Pay-TV-Anbieters Starz, Superna Kalle, weitere Expansionspläne. Sie sei sehr zufrieden mit der Nachfrage in Deutschland, erklärte Kalle, obwohl der Markt mit seinem breiten öffentlich-rechtlichen TV-Angebot ein besonders umkämpfter sei. Das Geheimnis. "Wir bieten keine Kochshows, Kinderprogramme oder Reality-Serien, sondern konsequent Programm für Erwachsene im Premiumbereich, und das kommt gerade in Deutschland gut an." Außerdem könne es gar nicht zu viel Content geben. "Es ist doch eine tolle Sache, wenn man die Wahl hat", zeigte sie sich überzeugt.
Während des ersten Lockdowns habe Starzplay begonnen, sein Programm noch stärker auf die jeweiligen Märkte auszurichten, berichtete Kalle. Sie kündigte für die Zukunft die weitere Expansion in noch nicht erschlossene Märkte und lokale Produktionen in den jeweiligen Ländern an. Streaming-TV sei nicht nur ein kurzer Modetrend, sondern werde sich langfristig durchsetzen. Die geschäftsführende Vizepräsidentin versprach außerdem, dass Starzplay weiterhin auf Werbung im Programm verzichten wolle, im Gegensatz zu manchen Mitbewerbern, die auch über Werbespots nachdenken. "Wir sind ein Premium-Sender und wollen das auch bleiben", lautete ihre Devise.
Wenn Streaming zum Kerngeschäft wird ...
Streaming befeuert die globalen Medienkonzerne in besonderem Maße. Für Ex-RTL-Chef Gerhard Zeiler, heute Head of International bei WarnerMedia, ragt aus den vielen Umbauten des internationalen Unternehmens heraus, dass mehr nationale Produktionen für die verschiedenen Märkte geplant werden, stets ausgerichtet auf das große Ziel "OTT". "Wir gehen global vor", so Zeiler übers Streaming-Business, das der Konzern hinter der Hochglanzmarke HBO als aktuell wichtigste Säule des Business identifiziert hat. Fiktionales wie Non-Fiktionales, versichert der Manager. Dabei hilfreich: "Daten sind wichtig, um den richtigen Content zur richtigen Zeit zu liefern."
Parallel dazu ist laut Zeilers Schilderung im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN die Bereitschaft, für Inhalte zu bezahlen, massiv angestiegen. Und auch wenn der frühere Chef von RTL den deutschen Markt aus Gründen eines starken TV-Angebots kritisch beäugt, gibt es nun doch Pläne für einen separaten Start von HBO Max hierzulande. Aktuell sorgt eine Partnerschaft mit Sky dafür, dass HBO-Inhalte wie die Kultserie "Game of Thrones" dem deutschen Publikum zugutekommen. Nach 2021 könnte HBO Max den hiesigen Markt erobern. Details bleibt WarnerMedia noch schuldig. Indes erntet der Weltkonzern Kritik von Kreativen für das Vorhaben, Filme in diesem Jahr in den USA zeitgleich im Kino und beim Streaming-Dienst herauszubringen.
Gerhard Zeiler, Head of Intetnational @WarnerMedia auf den #MTM20 „Wir brauchen den lokalen #Content und der europäische Content ist sehr wohl wettbewerbsfähig" Zudem hebt er Produktionen wie die Mini-Serie Tschernobyl als Best-Practice hervor pic.twitter.com/Cbr4Qjv4Ax
— VAUNET (@VAUNET_Presse) October 27, 2020
Beflügelt vom Streaming-Boom zeigen sich übrigens auch Produzenten und Inhalte-Lieferanten: Gary Davey, Chief Executive Officer Sky Studios, verweist auf die wachsende Nachfrage nach modernen und nachhaltigen Produktionen. Davey beschwor darüber hinaus bei den #MTM20 die zunehmende Bereitschaft des US-Publikums, auch einmal hochwertige europäische Produktionen anzusehen. Ein Novum und eine Chance für Europas Produktionssektor! Alles hilfreich, um die Streaming-Angebote inhaltlich zu differenzieren und voneinander abzugrenzen sowie neuartige Programmierungen auszutesten.
Angesichts der rasant wachsenden Konkurrenz im Streaming dürften sich auch neue Partnerschaften ergeben, um sich über eine Vielfalt von Inhalten im Markt abzuheben. Eine solche Kooperation sind beispielweise Sky und Amazon noch vor Weihnachten eingegangen. Seit Mitte Dezember können Kunden*innen Amazons Dienst Prime Video auf Sky Q, Sky Ticket und NOW-TV-Geräten in ganz Europa sehen; die NOW-TV- und Sky Ticket Apps sind im Gegenzug auch auf kompatiblen Amazon-Fire-TV-Geräten zu haben. Damit greifen Zuschauer*innen in Großbritannien, Irland, Deutschland, Österreich und Italien auf Inhalte von Sky und Prime Video an einem Ort zu.
Doch wie finden Nutzer*innen passenden Inhalte?
Speziell auf Streaming ausgerichtete Suchmaschinen wie JustWatch.com erfreuen sich vieler Zugriffe. Daneben kuratieren die Plattformen selbst ihre Inhalte und senden mit Hilfe von Algorithmen Empfehlungen an Abonnent*innen aus.
Doch Studien belegen, dass hier noch viel zu tun ist: Die Marktforscher von Nielsen (sie wollen ab 2024 übrigens konvergente Reichweiten von TV und Streaming liefern ) haben eruiert, dass ein Fünftel der Streaming-Nutzer*innen (21 Prozent) den Abruf sein lassen, wenn sie keine passenden Inhalte beim Durchstöbern der Menüs finden. Fast die Hälfte (46 Prozent) der Nutzer*innen von Streaming-Diensten bekommt demnach selten bis nie passende Streaming-Empfehlungen. Und: Je älter, desto unzufriedener sind die User*innen mit der Auswahl durch Algorithmen.
Unterschiedliche Lösungen werden aktuell getestet. So experimentiert Netflix etwa seit Sommer 2020 in ausgewählten Märkten mit einer Shuffle-Funktion. Auch deutsche Abonnent*innen kommen in den Genuss. Wen die Auswahl bei Netflix überfordert, der kann in den Genuss eine TV-Imitats kommen – zumindest in Frankreich. Bei Netflix Direct läuft 24 Stunden am Tag ein Programm, dass aus Inhalten der Streaming-Bibliothek besteht.
Der Streamingdienst #netflix bietet mit "Direct" eine Funktion, bei der alle Nutzer dasselbe Programm sehen. Kommt Ihnen das bekannt vor? https://t.co/QIZlKLrMqD
— SZ Top-News (@SZ_TopNews) November 10, 2020
Mitte des vergangenen Jahres startete zudem im US-Markt mit Bingie eine "Social Recommendation App" mit der Möglichkeit, Freund*innen Streaming-Content von unterschiedlichen Diensten zu empfehlen. Die Anwendung soll dabei helfen, von den Algorithmen der großen Streaming-Marken unabhängig zu werden. Bingie basiert auf dem Community-Gedanken.
Neue Werbeformen in Sicht!
Werbefinanzierten Streaming-Seiten könnte das Jahr 2021 auch so manche Neuerung bringen. Getestet wird bei Spots beispielsweise die Interaktion mit Zuschauer*innen. So hat die Comcast-Tochter NBCUniversal beim Streaming-Dienst Peacock "Voice Activated Streaming Ads" eingeführt, um Werbung per Sprachbefehl individuell zu steuern. Unter anderem Konsumgüterriese Unilever ist schon mit von der Partie und erlaubt User*innen, mehr über die beworbenen Produkte zu erfragen oder sich Coupons zu sichern.
Mit diesem Beitrag endet eine fünfteilige Reihe rund um das Thema Streaming im Blog der Medientage München. In den vergangenen Wochen wurden die steigende Nachfrage nach Bewegtbild aus dem Netz thematisiert, neue Anbieter, die Bedeutung von KI fürs Streaming sowie die Kehrseiten des Trends.
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