Immer mehr Bewegtbild ist bei uns deutschen Zuschauenden angesagt. Dabei wenden wir uns stärker dem Unterhaltenden zu und akzeptieren mehr und mehr Werbung, wenn dadurch die Abokosten fürs Streaming sinken: Die aktuellen Marktanalysen von VAUNET und der Mediaagentur pilot geben tiefe Einblicke in unser geändertes Medienverhalten vor dem großen Bildschirm.
Fünf Stunden und 42 Minuten haben wir 2023 pro Tag im Schnitt Videos geschaut. Laut der aktualisierten Mediennutzungsanalyse des Privatfunkverbands VAUNET sind das fünf Minuten mehr als 2022. Und: Die Online-Video-Nutzung der 14- bis 69-Jährigen steigt demnach um 18 auf fast 100 Minuten. Auch wenn die Fernsehnutzung um 13 Minuten sinkt, gehört das TV mit 3:20 Stunden täglich immer noch zu unserer liebsten Bewegtbild-Quelle.
Weitere Zahlen der Mediennutzungsanalyse 2023 im Überblick:
Alles in allem nutzen die ab 14-Jährigen in Deutschland 2023 durchschnittlich neun Stunden und 46 Minuten Audio- und audiovisuelle Medien pro Tag. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sei die Nutzung damit um acht Minuten zurückgegangen (2022: 9 Stunden und 54 Minuten), liege jedoch weiterhin fast eine Stunde über der Nutzung in der Vor-Corona-Zeit (2019: 8 Stunden und 59 Minuten).
Wie oben erwähnt, geht das Video-Plus vor allem auf den Anstieg der Online-Video-Nutzung der 14- bis 69-Jährigen zurück. Mit einer Stunde und 37 Minuten liegt der Part dennoch deutlich hinter dem TV mit drei Stunden und 20 Minuten täglich; TV stehe „weiterhin für den absoluten Löwenanteil der täglichen Bewegtbildnutzung in Deutschland“, heißt es dazu vom Verband, der für die Analyse diverse Studien ausgewertet hat. Zum Vergleich: Vor 40 Jahren, als der private Rundfunk in Deutschland an den Start ging, lag die durchschnittliche tägliche TV-Sehdauer bei einer Stunde und 49 Minuten.
Noch hat die Gattung TV großes Gewicht im deutschen Zuschauendenmarkt, auch wenn die Zahlen kontinuierlich zugunsten von Online-Video nachgeben. Im Jahr 2023 sahen dem VAUNET zufolge 88,7 Prozent der Menschen ab 14 Jahren in Deutschland regelmäßig fern (Vorjahr: 89,9 Prozent). Die Tagesreichweite betrug im Fernsehen 64,8 Prozent (2022: 67,2 Prozent).
Laut VAUNET ist der Anteil der Audio- und audiovisuellen Mediennutzung am gesamten Medienzeitbudget leicht auf 87,6 Prozent (2022: 87,4 Prozent) gestiegen. 1984 lag die durchschnittliche tägliche Radio- und TV-Nutzung noch bei 4 Stunden und 25 Minuten.
Johannes Leibiger, Leiter Medienwirtschaft & Forschung des VAUNET, ordnet die Ergebnisse ein:
"Nach dem sprunghaften Anstieg während der Corona-Pandemie hat sich die tägliche Audio- und audiovisuelle Mediennutzung 2023 wieder auf einem hohen Niveau eingependelt und liegt damit immer noch fast eine Stunde über dem Vorkrisenniveau. Gegenüber dem Vorjahr war die Mediennutzung insgesamt nur leicht rückläufig und die Online-Video-Nutzung ist 2023 sogar nochmals deutlich gestiegen. Der absolute Löwenanteil der Audio- und audiovisuellen Nutzung stammt jedoch weiterhin von der täglichen, linearen Radio- und Fernsehnutzung."
Das „Wie“ des Bewegtbildkonsums und Veränderung bei den Programmvorlieben arbeitet indes die aktuelle Auswertung des pilot Radars heraus. Auch hier ragt (noch) das lineare TV als Mittel der Entspannung zuhause heraus: Fernsehen rangiert in der Auswertung der Mediaagentur an erster Stelle (40 Prozent), gefolgt von sozialen Medien (35 Prozent) und Radio (31 Prozent) – „alle mit leicht sinkender Tendenz im Vergleich zum Vorjahr“, wie es heißt.
„Signifikant angestiegen“ sei dagegen der Konsum von Serien oder längeren Filmen via Streaming-Dienst oder DVD/Blue-Ray von 23 Prozent Anfang 2023 auf aktuell 31 Prozent. Entsprechend ist der pilot-Analyse zufolge im Jahresvergleich auch ein leichter Zuwachs bei Streaming-Diensten und dem Premium-Zugang zu privaten TV-Sendern zu verzeichnen: „56 Prozent der Befragten gaben an, in den vergangenen drei Monaten ein Abo für Netflix, Disney+, etc. abgeschlossen zu haben – das sind drei Prozentpunkte mehr als im Vorjahreszeitraum“, teilt das Team mit.
Pilot beobachtet einen klaren Zusammenhang zwischen Alter und Medienauswahl: „Je jünger die Nutzer:innen, desto stärker werden private Streaming-Dienste genutzt – je älter, desto höher fällt die Nutzung der Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender aus.“
Wir Zuschauende wollen offensichtlich das Negative verstärkt ausblenden. Stichwort: Eskapismus vor dem Bildschirm. Bei pilot Radar heißt es: „An Relevanz verloren haben dagegen Nachrichten (Nutzung 2023: 44 Prozent vs. 2024: 36 Prozent) sowie Bildungs- und Wissensinhalte (Nutzung 2023: 20 Prozent vs. 2024: 16 Prozent).“
„Signifikant“ angestiegen sei dagegen der Konsum von Serien oder längeren Filmen via Streaming-Dienst oder DVD/Blue-Ray von 23 Prozent Anfang 2023 auf aktuell 31 Prozent. „Entsprechend ist im Jahresvergleich auch ein leichter Zuwachs bei Streaming-Diensten und dem Premium-Zugang zu privaten TV-Sendern zu verzeichnen: 56 Prozent der Befragten gaben an, in den vergangenen drei Monaten ein Abo für Netflix, Disney+, etc. abgeschlossen zu haben – das sind drei Prozentpunkte mehr als im Vorjahreszeitraum“, heißt es im aktuellen pilot Radar. Das Forschungsteam arbeitet zudem einen Zusammenhang zwischen Alter und Medienauswahl heraus: Je jünger die Nutzer:innen, desto stärker werden private Streaming-Dienste genutzt – je älter, desto höher fällt der Hang hin zu Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender aus.
Daniel Daimler, Leiter Marktforschung pilot, ordnet die Entwicklung ein: „Je mehr die multiplen Krisen unserer Zeit scheinbar eine narrative Dynamik aufweisen, die der Staffel-Struktur von fiktionalen Inhalten immer ähnlicher wird, desto eher bevorzugt offenbar ein zunehmender Teil des Publikums eine klare Trennung von Fiktion und Realität. Serien und längere Spielfilme gewinnen als strukturierter Ort der Zuflucht gegenüber dem Realismus der Nachrichten an Relevanz.“
Für eine Mediaagentur wie pilot hat der Drang der Menschen hin zu leichteren Inhalten zentrale Bedeutung für die Umfeldplanung von Werbung. Das entsprechende Umfeld im Stream wächst gerade massiv mit der Zunahme an werbefinanzierten Angeboten (AVoD, FAST). Da immer mehr Streaming-Dienste planen, künftig Werbung auszustrahlen, hat pilot in der aktuellen Welle die Bereitschaft der User zu unterschiedlichen Angebotsformen abgefragt. Das Ergebis:
Hier die Zahlen in der Übersicht:
pilot-Geschäftsführerin Martina Vollbehr erkennt im „Handel“ zwischen Zuschauenden und Streaming-Anbietern – mehr Werbung für weniger Grundgebühr – zwei Chancen für die Mediabranche: Einerseits werde dringend benötigte Werbereichweite für die Kund:innen bereitgestellt, gleichzeitig könnten alle Parteien „von einer höheren Werbeakzeptanz ausgehen“.
Vollbehr appelliert in diesem Zusammenhang an eine kluge Umsetzung der Werbung im Stream und fordert, „die ausgespielte Werbung relevant individualisiert zu produzieren“. Dann könnte eine Win-Win-Win-Situation erreicht werden, „von der die Konsument:innen, die Werbetreibenden und der Streaming-Anbieter gleichermaßen profitieren“.
Was die Kreativität der Werbeformen und der Kommunikation an die Abonnent:innen angeht, könnte die Lernkurve bei den Streaming-Anbietern ruhig höher werden. Dass Amazon Prime Video nicht mehr nur beim werbefinanzierten Angebot (AVoD) FreeVee Reklame platziert und seit Anfang Februar auch beim etablierten Prime-Paket nur noch gegen einen monatliche Zusatzgebühr in Höhe von 2,99 Euro Werbefreiheit garantiert, hat sogar die Verbraucherschützer in Deutschland auf den Plan gebracht.
Immer wieder haben die Streaming-Anbieter in den vergangenen Jahren und Monaten die Abonnent:innen vor vollendete Tatsachen gestellt, Basisabos gestrichen, das Teilen von Accounts unterbunden. Scheinbar hat Amazon gerade ein Grenze beim Publikum überschritten mit der recht kurzfristigen Änderung. Branchenkenner gehen davon aus, dass die Frequenz des Abo-Wechsels massiv zunehmen wird. Die meisten Streaming-Marken arbeiten inzwischen mit monatlichen Kündigungsfristen.
Die Notwendigkeit, die Zuschauenden bei der stark wachsenden Konkurrenz mit exklusiven Inhalten bei Laune zu halten, erfordert höhere Umsätze. Die die Streamer offensichtlich verstärkt durch Werbung erzielen wollen. Ein Trend, der wohl nicht aufzuhalten ist. „Im Jahr 2028 wird Disney+ mit rund 8,7 Milliarden US-Dollar den höchsten Umsatz mit werbefinanzierten Angeboten unter allen Streaming-Plattformen erwirtschaften“, heißt es etwa in einem Statista-Ausblick.
Für Netflix etwa zahlt sich die Entscheidung für Werbung inzwischen aus. Die Umsätze steigen, und dafür tut der Anbieter einiges: Das werbefinanzierte Angebot wird technisch für die User aufgewertet. Mit den Werbepartnern werden besondere und regionalisierte Konzepte umgesetzt, wie aktuell beim ersten globalen Klienten Expedia. Hier ein Clip, der von einem bekannten Regisseur für den japanischen Markt umgesetzt wurde:
Hosentaschenfernsehen vs Big Screen: Wie gucken und streamen wir künftig? Welche Trends setzen sich durch? Welche Media- und Business-Modelle sichern zukunftsfähige Content-Strategien fürs (vernetzte)TV, für den Stream, Video on Demand oder auch für Social Video? Welche Player haben mit ihren Technologien und Anwendungen das Sagen? Und wer sind die Gatekeeper von morgen?
Antworten auf diese Fragen gibt das #MTM SPECIAL FUTURE VIDEO 2024. Die Konferenz findet am 24. April 2024 im House of Communication in München statt und widmet sich der Zukunft von Video: ein Tag mit Insights von namhaften Branchenexpert:innen und wegweisenden Konzepten von Unternehmen aus der Bewegtbildwelt.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.