Journalist:innen als Personenmarken, Medien, die TikTok-Formate nachahmen, und Creators, die sechsstellige Beträge über Crowdfunding einnehmen – die Medienlandschaft erlebt einen fundamentalen Wandel. Beim Journalism Summit der #MTM25 diskutierten Journalisvertreter:innen mit Creator-Stimmen über die Zukunft des Journalismus. Die zentrale Frage: Konkurrenz oder Ergänzung? Ein Einblick in eine Branche im Umbruch.
„Ja, die Grenzen zwischen Creators und Journalist:innen verschwimmen“, hält Prof. Dr. Marc-Christian Ollrog von der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften fest. Vor allem seit den 2020er-Jahren, während sich im Jahrzehnt zuvor nach und nach in Internet und Social Media eine neue Ära von Online Content neben klassischen Medien etabliert hat.
Durch eine aktuelle Studie der Hochschule wird deutlich, wie sehr sich die Inhalte der etablierten Anbieter verändert haben, sei es durch Hinzunahme der Creators, die in TV oder Podcast inzwischen eine große Rolle spielen, sei es durch die Medien selbst, die erfolgreiche Content-Formate aus Web und Social Web nachahmen, um vor allem junge Zielgruppen weiter bespielen zu können.
Die Ollrog-Ergebnisse zur Veränderung der Medien (Medien.Bayern GmbH)
Auch wenn sich das Handeln, das Umfeld und die Art der Arbeit stark wandelt: "Es verändert sich aber nicht, was Journalismus sein muss – das Rollenselbstverständnis“, trotz der Multikrisen, die die Arbeit in Redaktionen herausfordernder machen. Am Punkt, den journalistischen Beruf aus Idealismus zu ergreifen, ändere sich nichts. Ollrog will die Veränderungen weiter wissenschaftlich begleiten angesichts der nächsten „Häutungswelle“ durch KI und Rezession.
Der Journalist als Marke
Mit Paul Ronzheimer betritt ein Journalist die #MTM25-Bühne, der sich als Reporter-Marke einen Namen gemacht hat, vor allem in der Zeit seit Beginn des Ukraine-Kriegs. „Wenn du deine Haltung mit in die Recherche nimmst, dann wird es schwierig und kannst keine Distanz waren“, beantwortet der Springer-Reporter die Frage von ZEIT-Journalistin und Summit-Moderatorin Yasmine M’Barek, wie die Grenze zwischen persönlicher Meinung und journalistischer Berichterstattung eingehalten werden könne.
Mut zu starken Themen hat die Marke Ronzheimer, die für viele Geschichten den Podcast als bestes Medium einstuft für intensive Stories. „Wir müssen aufhören, die Menschen zu unterschätzen“, sagt Paul Ronzheimer, der glaubt, dass sich die Zuhörenden gar nicht so sehr für sein Privatleben interessieren würden. Wichtiger seien Authentizität und Glaubwürdigkeit, mit denen Vertrauen zu den Menschen aufgebaut würde.
Paul Ronzheimer mit ZEIT-Journalistin und Summit-Moderatorin Yasmine M’Barek (Foto: Medien.Bayern GmbH)
Auch könne man im Podcast-Markt am besten sehen, dass sich die Menschen zwischen neuen Personen-Marken und klassischen Medien gar nicht so sehr entscheiden müssten, so der Bild-Reporter. Es gebe ein Nebenher. Medien müssten sich allerdings anpassen, wenn es um die Finanzierung geht: Sie müssten beispielsweise Host Reads als Werbeform für ihre Inhalte akzeptieren, mit denen große Podcast-Stimmen ihre Inhalte finanzieren. „Am Ende entscheiden die Leute, was sie hören wollen.“
Wie sich Journalismus durch Creators verschieben könnte
Da passiert etwas …
Steady- und Krautreporter-Gründer Sebastian Esser spricht beim Journalism Summit von einem Gefühl des „Schneepflugs, der gerade alle Krümel aufsammelt, die Medien hinterlassen“. Das kann für Personenmarken lukrativ sein: Durchaus möglich sei es, durch Crowdfounding à la Steady schon mal 100.000 Euro im Monat zu erlösen. Das Entstehen einer parallelen Informations-Welt, „wo Creator mit ihrer Glaubwürdigkeit als Mensch bestehen können“, würde weniger die Medien an sich bedrängen, sondern vielmehr die gewachsenen Institutionen und Strukturen. Sie dürften nicht mehr lange Bestand haben, schätzt Esser. Es gerate etwas ins Rutschen, was der Journalist unter anderem auch am sichtbaren Werbeschwund bei Print, TV und Co festmacht. Er sagt: „Paul Ronzheimer braucht die Bild nicht.“
Auf Medienseite sei das Spiel in den letzten sechs Jahren auch durch den Erfolg der Creator-Szene anspruchsvoller geworden, betont Juliane Leopold aus dem „Tagesschau“-Team von ARD-aktuell. „Es wird keinen Paul Ronzheimer der Tagesschau geben. Die Tagesschau ist der Ronzheimer der Tagesschau“, sagt Leopold über das Markenverständnis, das etwa hinter dem Podcast der Nachrichten-Ikone des Ersten steht. „Trocken, trocken, trocken – das ist der Affekt der Tagesschau“, sagt Leopold. Die Marke könne sich in Social Media nicht von dem affektgeladenen Mechanismen treiben lassen.
Das Miteinander mit der Community, wie es Creators kennen, zahlt sich auch bei klassischen Medien aus. Das berichtet Sophie Ströbitzer vom ORF, wo sie die Nachrichtenmarke ZIB im Netz hostet. Die Wiener sind seit mehreren Jahren beispielsweise auf TikTok präsent. „Man muss sich ein Stück weit beugen, denn Creator haben die Plattformen mitgeprägt. Aber wir müssen nicht überall mitgehen und ich glaube, dass es sehr wohl ein Nebeneinander von Journalismus und Creator Economy geben kann“, so Ströbitzer. Sowohl der Autor und YouTuber Maurice Höfgen als auch Juliane Leopold pflichten dem bei, die „Tagesschau“-Journalistin spricht von einer „gewachsenen Ergänzung“.
Was ist anders?
„Wenn ich einen Fehler mache, dann weist mich die Community sofort darauf hin. Sie spiegelt das“, betont Höfgen. Instagram funktioniere dabei wie YouTube. Eine Erfahrung, die aber nicht nur Creators machen: „Auf TikTok kommt die Reaktion sofort“, erklärt ZIB-Journalistin Sophie Ströbitzer. Der klassische Gegencheck, wie ihn Creators untereinander pflegen, sei – zumindest früher – auch unter unterschiedlichen Medien Usus gewesen.
„Desinformation kommt nicht von einzelnen Leuten die Quatsch erzählen. Das sind eher Leute aus Russland, Trump-Plattformen oder chinesische Plattformen. Wir reden hier über strategische Kommunikation, die reguliert gehört“, wehrt sich Steady-Manager Esser gegen den Eindruck auf der Bühne, dass die Creator-Szene mit Fake News um sich werfen könnte. Vielmehr wird deutlich, dass sie auch als Regulativ für klassische Medien dient, wenn etwa die Aussagen aus TV-Talkshows den Faktencheck durch Youtuber wie Rezo erfahren.
Übrigens: Der Journalist:innen-Nachwuchs hat den MEDIENTAGE-Freitag aus seinem Blickwinkel begleitet, in Texten, in Bildern, in Videos. Zum lesenswerten Liveblog der Volonträr:innen der Günter Holland Journalistenschule geht es hier lang.
Auch wenn die MTM als Konferenz nun bis zum 21. Oktober 2026 pausieren: Wir bleiben präsent!
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