
Beta-Test oder „modernes Raubrittertum"? Es herrscht Streit, wo eigentlich zielführend verhandelt werden sollte: ARD und ZDF reagieren mit Klagen auf den offenbar nicht abgesprochenen Vorstoß von ProSiebenSat.1, die Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen in der Streaming-Plattform Joyn einzubetten. Der neue Medienstaatsvertrag wird diese Form der Kooperation im Frühjahr grundsätzlich freigeben. Vielleicht wird bei einer Diskussion der beiden Parteien im Rahmen des #MTM SPECIALS Future Video am 1. April deutlich, wo die Reise hingehen könnte.
Seit gut zwei Jahren wirbt ProSiebenSat.1 für die Pläne des „Super-Streamers“. Angeschoben hat die Idee ProSiebenSat.1-CEO Bert Habets, dessen Konzern in Österreich über die eigene Streaming-Plattform Joyn ein solches Angebot aufbauen konnte. Alle relevanten Sender der Alpenrepublik steuern ihren Teil fürs gemeinsame BVoD bei, inklusive ORF, der anders als die öffentlich-rechtlichen deutschen Verwandten ARD und ZDF auch im Netz werben darf. Die Münchner AG beruft sich bei einem derartigen „Embedding“ auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Die Institution stuft das Ganze als rechtlich zulässig ein; der Code dafür sei ähnlich wie ein Link frei verfügbar.
In Österreich machte ProSiebenSat.1 diesen Schritt bereits vor über einem Jahr; ohne Verträge oder Vereinbarungen. Auch wenn der ORF und andere österreichische Sender erst einmal nicht begeistert waren: Die Zahlen geben dem Aggregations-willigen Team von ProSiebenSat.1 Recht. Rund 20 Prozent der digitalen ORF-Reichweite soll inzwischen über das Embedding bei Joyn zustande kommen. Unterdessen haben auch Schweizer Streaming-Anbieter Ambitionen, Ähnliches für die Eidgenoss:innen zu bauen.
ARD und ZDF vs. Joyn: Worum es bei dem Streit geht
Hierzulande könnte ein derartiges Verschränken der Mediatheken noch vor konkreten Zusagen ausgeknockt werden. Und das, obwohl die Embedding-Pläne im neuen Reformstaatsvertrag verankert sein sollen. Denn ProSiebenSat.1 hat aus Sicht der öffentlichen-rechtlichen Anbieter vorschnell und ohne ihr Go ihre Inhalte in den Unterföhringer Familien-Streamer Joyn eingebettet – ähnlich, wie bei der österreichischen Plattform-Schwester mit ORF-Angeboten verfahren wird. Nur: Die deutschen Sender ARD und ZDF wehren sich rechtlich gegen das Vorgehen unter der Führung von Markus Breitenecker; sie klagen gegen die „unzulässige Übernahme".
Der COO von ProSiebenSat.1 beschwichtigte mit einem „Beta-Test" und dem Argument, die öffentlich-rechtlichen Vertreter:innen hätten seit Jahresanfang von den Embedding-Plänen in die kommerzielle Streaming-Plattform Joyn gewusst. Ein klares „Nein" gegen das Vorhaben habe er nie gehört, sagt der gebürtige Österreicher, der zuvor als ProSiebenSat.1-Vertreter für die Alpenrepublik das „Partnern“ im Stream arrangiert hatte. Demnach sei bei über 30 Terminen unter anderem darüber gesprochen worden, welche Voraussetzungen fürs Embedding gelten sollten.
Breiteneckers Erklärung war ein Widerspruch des ARD-Vorsitzenden Florian Hager vorausgegangen. Ihm zufolge war das Vorgehen der Unterföhringer nicht abgesegnet worden, der öffentlich-rechtliche Manager sprach von einem „Anschlag auf das komplette System“. Man verhandle nicht über eine Mediatheken-Einbindung. Bekannt wurde der Vorgang durch einen Artikel des Medienjournalisten Dr. Jörn Krieger bei Broadband TV News.
ProSiebenSat.1-COO Breitenecker sieht sich nach österreichischem Vorbild allerdings auch in Deutschland rechtlich auf der sicheren Seite: Die Inhalte einzubetten, sei eine „besondere Form der Verlinkung". Zudem würde die zusätzlichen Streams nicht Joyn, sondern ARD und ZDF zugerechnet. Die AG habe gehofft, dass die Öffentlich-Rechtlichen die Einbettung ihrer Inhalte dulden würden, ähnlich wie der ORF im Nachbarland.
Bereits im vergangenen Frühjahr konnte Joyn Austria die Sendervielfalt auf der eigenen Streaming-Plattform verkünden. Vorbild für Deutschland? (Motiv: Joyn Austria)
Joyn-Inhalte-Kooperation mit Töchtern von ARD und ZDF
Die Querelen kommen zur Unzeit. Dabei hatten die deutschen Verhandlungspartner gerade einen guten Lauf: Joyn hat Ende Januar ein umfangreiches Rechtepaket von ARD und ZDF erworben. Durch eine Inhalte-Kooperation mit ARD Plus, der WDR Mediagroup und High View sind ab sofort Titel wie „Lindenstraße“, „Dittsche“, und zahlreiche Episoden von Krimi-Serien, darunter „Watzmann ermittelt“, „Das Großstadtrevier“ und „Heiter bis tödlich“ auf der Streaming-Plattform Joyn abrufbar.
Diese Inhalte stehen Zuschauer:innen kostenlos über FAST-Channels und im On-Demand-Bereich sowie werbefrei im Abo-Bereich von Joyn Plus zur Verfügung. Vermarktet wird das neue Umfeld vom ProSiebenSat.1-Unternehmen Seven.One Media.
Daneben hat Joyn auch einen Lizenzvertrag mit den ZDF Studios geschlossen, der Produktions- und Distributionstochter der Mainzer Rundfunkanstalt. Die Vereinbarung umfasst 2730 Programmstunden, zu denen fiktionale Serien wie „Küstenwache“, „Derrick“, „Ein Fall für Zwei“ und „Herzflimmern“ sowie Doku-Programme aus den Bereichen Natur und Geschichte gehören. Auch hier übernimmt Seven.One Media die Werbevermarktung.
Joyn-Taktik: Pro und Contra aus der Medienpolitik
Indes hat sich die Medienpolitik zu Breiteneckers Embedding-Vorstoß positioniert. Heike Raab (SPD) als Koordinatorin der Rundfunkpolitik der Länder nannte den Joyn-Vorstoß im Gespräch mit der FAZ „nicht vertretbar"; dabei seien einseitig Fakten geschaffen wurden. Ihr Parteikollege aus Hamburg, Mediensenator Carsten Brosda, teilte diese Ansicht.
Ganz anders der Kieler Medienminister Dirk Schrödter, CDU: „Es muss unser Interesse sein, dass die beitragsfinanzierten Inhalte der öffentlich-rechtlichen Anstalten im Sinne 'public money – public content' auch Nutzergruppen erreichen, die wir sonst nicht erreichen." Er gegrüßte in einem Statement die „Embedding-Initiativen der Privaten", zumal sie „einen besonderen Beitrag zur Vielfaltssicherung in unserem Land leisten" würden. Damit werde auch der „Geist" des Reformstaatsvertrages umgesetzt, „der auf Kooperation – auch mit den Privaten – und nicht auf Verhindern ausgelegt" sei, so Schrödter.
Grundsätzlich wird das geschilderte Embedding nach Ratifizierung des neuen Medienstaatsvertrags im Frühjahr möglich sein. Das medienrechtliche Go in Deutschland ist laut Mark D. Cole, Professor für Medien- und Telekommunikationsrecht an der Universität Luxemburg, unproblematisch. Nur: Die Details sollten eben genau fixiert sein. Es besteht die Chance, dass per Stream eine Struktur aufgebaut werden könnte, die im Prinzip die über lange Jahre bekannte Vielfalt über Kabel, Satellit und Antenne auch im Netz darstellen würde.
Warum eine Einigung sinnvoll wäre ...
Branchenbeoachter:innen hoffen auf eine Einigung zwischen ProSiebenSat.1 und den Öffentlich-Rechtlichen – im Sinne des Publikums und einer zukunftsweisenden Zusammenarbeit im heimischen Markt.
Das vom ARD-Vorsitzenden Hager ins Spiel gebrachte „moderne Raubrittertum“, das der Manager dem Team Joyn vorwirft, sieht Horizont-Redakteurin Katrin Ansorge längst auf Seiten der digitalen Plattformen. Würden sich die deutschen Partner nicht einigen und längst nicht mehr vorhandene Grenzen weiter schützen, würden einmal mehr nur die globalen Giganten profitieren, warnt die Fachjournalistin.
Beide Seiten und der Medienrechtler Cole werden im Rahmen des #MTM SPECIALS Future Video am 1. April 2025 in München aufeinandertreffen. Moderiert wird die Runde von Dr. Jörn Krieger.
#BigScreenVideo!
Alles wächst auf dem großen Bildschirm zusammen: Fernsehen und Streaming sind schon da, Social TV und Gaming ziehen nach, Zukunftsmodelle richten sich danach aus. Der Big Screen wird zur zentralen und vernetzten Anlaufstelle für Publikum, Publisher und Promotion. Mit Folgen für Menschen, Medien und Marken, für Media- und Business-Modelle, für die Infrastruktur oder auch die Technologiehersteller.
Darüber wollen wir beim #MTM SPECIAL FUTURE VIDEO 2025 sprechen! Die Konferenz findet am 01. April 2025 im House of Communication in München statt und widmet sich der Zukunft von Video: Trends im TV und Streaming oder auch die Frage nach dem neuen Miteinander stehen auf dem Programm von #FuVi25.
Mehr Lesenswertes rund um die Themen der MEDIENTAGE MÜNCHEN steht im Blog der Medientage bereit. Inspirierendes kann auch gehört werden: im Podcast der MEDIENTAGE MÜNCHEN.
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