Zu den Herausforderungen des Marketings zählt heute die Rolle des CO2-Abdrucks bei Mediaentscheidungen. Wirtschaftliche Krisen werden überragt von der Frage, wie Unternehmen und Menschen im Spannungsfeld zwischen Sparen und dem Wunsch nach ökologischen, ökonomischen und sozialen Fortschritten ihre Zukunft gestalten wollen. Guter Rat kommt da gerade recht: BVDW und IAB Europe liefern einen Leitfaden für nachhaltiges Wirken in der digitalen Werbewirtschaft.
Wer im Marketing denkt, der Schwenk von Printkampagnen hin zu Onlinewerbung wäre bereits der notwendige Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit im eigenen Reklame-Portfolio, der sieht sich auf Basis von Studien, Berechnungen und Initiativen der vergangenen Jahre schwer getäuscht. Neben dem hohen Stromverbrauch durch Streaming in Privathaushalten oder das Abspeichern großer Daten in Clouds wird zunehmend auch die Onlinewerbung als „Stromfresser“ ins Visier genommen.
Bei Webwerbung können User – anders als beim Streamen – kaum durch ihr Verhalten zu einer Energiewende beitragen. Vivian Frick vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, sagt gegenüber dem ZDF: "Wie viel Energie das Internet verbraucht, entscheiden digitale Unternehmen und letztlich muss diesen Unternehmen mit Regulierung – wie etwa der Datenschutz-Grundverordnung – Einhalt geboten werden. Ob das Internet der Umwelt schadet, darüber haben Nutzer also nur wenig Entscheidungsgewalt.“
Berechnungen zu DOOH
Seit 2021 wird auch zunehmend kritisch auf den Stromverbrauch der Digitalen Out-of-Home-Werbung (DOOH) geblickt, teils angetrieben durch neue Dienstleistende im Segment.
Auf Datenbasis des Fachverbands Außenwerbung und der Düsseldorfer Agentur Crossmedia, mit Aussagen über den Stromverbrauch wichtiger Displaygrößen und der Anzahl der digitalen Displays in Deutschland, hat das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung RWI im vergangenen Jahr für den WDR den geschätzten Energieverbrauch der digitalen Werbung hochgerechnet: „Das Institut geht davon aus, dass digitale Werbedisplays in Deutschland rund 113.000 Megawattstunden verbrauchen. Das entspricht dem Verbrauch von fast 40.000 Zwei-Personen-Haushalten, wofür 28 Windkraftanlagen betrieben werden müssen“, berichtete der ARD-Sender.
Hier könnten die ersten Guidelines des Interactive Advertising Bureau (IAB) Europe für eine nachhaltige Digitale Werbewirtschaft ebenso ansetzen wie bei der klassischen Onlinewerbung. Der Leitfaden namens "Verbesserung nachhaltiger Geschäftsentscheidungen in der Digital Advertising Industry" gibt unter anderem praktische Tipps, wie das Marketing der werbungtreibenden Unternehmen schon im Ansatz neue Werbewellen umweltschonender gestalten kann.
Wie muss der Mediaplan künftig aussehen?
So könnte die Optimierung von Angebot und Nachfrage helfen, meinen die Briten, die die Richtlinien unter maßgeblicher Beteiligung des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) erarbeitet haben. Ein Vorschlag aus den Guidelines lautet: „Berücksichtigen Sie nicht nur die Phrase, ‚die richtige Zielgruppe zur richtigen Zeit erreichen zur richtigen Zeit‘, sondern auch ‚das richtige Kreativmaterial zur richtigen Zeit auf dem richtigen Gerät‘.
Das IAB Europe beruft sich dabei auf Partner wie die Alliance Digitale mit dem kürzlich veröffentlichten Eco-Friendly Programmatic Media Buying Guide und verweist auch auf das hauseigene Sustainability Playbook des IAB Tech Lab.
Der Leitfaden soll Unternehmen aus der digitalen Werbewirtschaft konkret unterstützen, „damit sie im Umfeld der Nachhaltigkeitsdiskussion erfolgreich agieren können“, teilt der BVDW bei Vorlage des Werks mit. Der Begriff „Sustainability“ wird dabei nach internationalem Vorbild weit gefasst trägt viele Gesichter. Es gilt, Nachhaltigkeit in ihrer Gesamtheit zu erfassen und die Grundsätze nachhaltigen Managements in ihrer ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimension im unternehmerischen Handeln zu verankern.
Werbepartner "äußerst sorgfältig" auswählen
Die digitale Werbewirtschaft müsse einen „realen Beitrag zur nachhaltigen Transformation der Geschäftsprozesse leisten“, heißt es vom BVDW. Begriffe wie "nachhaltig", "grün", "Netto-Null" und "kohlenstoffneutral" dürften dabei keine leeren Worthülsen bleiben, die häufig Teil der Beschreibungen von Technologien, Dienstleistungen und Produkten Verwendung sind – auch in der digitalen Werbebranche. Es sei für alle Beteiligten wichtig, solche Thesen zu verstehen und „mit konkreten Maßnahmen zu hinterlegen“, appelliert der Verband.
Der BVDW empfiehlt den Unternehmen, „bei der Auswahl von Partnern äußerst sorgfältig vorzugehen“. Angesichts der wachsenden Herausforderungen durch Greenwashing-Praktiken, bei denen irreführende oder unwahre Aussagen über Umweltbemühungen gemacht würden, werde es für Unternehmen entscheidend, Nachhaltigkeitsaussagen zu prüfen, heißt es. „Gleichfalls intensivieren die regulatorischen Behörden ihre Bemühungen, solche Praktiken zu unterbinden“, macht der Verband deutlich.
Muss es immer gleich die Gesetzeskeule sein? Viel kann im Mediaplan bereits im Vorfeld getan und errechnet werden; so bietet eine Initiative um die Mediaagentur Mediaplus den GreenGRP-Rechner an, um den CO2-Ausstoß von denkbaren Kampagnen zu vergleichen. Mediakenner wie Thomas Koch empfehlen zudem, sich generell darüber klar zu werden, ob und wie Onlinewerbung zielführend eingesetzt werden kann. Er verweist auf das Problem des Ad Frauds, wenn Werbung an Bots ausgeliefert wird, und darauf, „dass bei Onlinewerbung, dem Hauptverursacher des werblichen Kohlendioxid, mehr als 70 Prozent der Gelder im Nebel der ‚Wertschöpfungskette‘ verloren gehen und nie einen Endverbraucher erreichen“.
Es winken "wirtschaftliche Vorteile"
Der kostenfreie Leitfaden aus dem IAB Europe Sustainability Standards Committee unter Mitwirkung des BVDW liefert Richtlinien, Empfehlungen und Erklärungen zu Umweltaspekten von digitalen Werbeaktivitäten, zur europäischen Gesetzgebung und zu regulatorischen Rahmenbedingungen, zu Anti-Greenwashing-Prinzipien und zu sozialen Erwägungen für Geschäftsentscheidungen. Auch dieser Leitfaden kommt zu dem Schluss: Am Ende führt demnach eine nachhaltige Entscheidungsfindung "zu wirtschaftlichen Vorteilen".
Um nochmals auf die eingangs erwähnte Printwerbung zurückzukommen: Aufgrund des hohen Recyclinganteils von Papier in Deutschland und vielen Bemühungen der Branchenverbände geht die schlichte Rechnung, dass Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften klimaschädlicher sind als andere Werbemittel, nicht auf.
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