Immer mehr Streaming-Anbieter, neue Geschäftsmodelle und steigende Nutzungszahlen machen deutlich, dass der Siegeszug des digitalen Bewegtbilds nicht mehr aufzuhalten ist. Kritische Stimmen bleiben bei diesem Massenphänomen nicht aus – sei es, weil sie im Entstehen eines neuen, an Algorithmen ausgerichteten Leitmediums Gift für das gesellschaftliche Miteinander erkennen. Oder schlicht, weil sie den Energieverbrauch beim Streamen nicht nachhaltig finden.
Er tritt nicht als Freund des Streamens auf. Dr. Marcus Kleiner, Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft der SRH Berlin University of Applied Sciences, ein Mann aus der Generation Fernsehen. „Streamland - Wie Netflix, Amazon Prime und Co. unsere Demokratie bedrohen“ hat er sein Buch über die Folgen der weltweiten Binge-Lust betitelt.
Seine These: Der Siegeszug der Streaming-Dienste nimmt kein Ende – Netflix und Co. werden zu neuen Leitmedien. Dabei tauschen wir Zuschauer*innen abwechslungsreiche Inhalte gegen Angebote ein, die von Algorithmen gesteuert werden und uns in der Regel das vorschlagen, was in der Folge Klicks von unserer Seite verspricht. Prompt sehen wir nur noch, was wir sehen sollen. Und während Anbieter so ihre Profite steigern, versinken wir in unserer Filterblase - in der es nur noch um uns geht ...
Doch Kleiner stellt die Frage: Setzt Bildung nicht auch da ein, wo sich der Einzelne mit Fremdem auseinandersetzen muss? Welche Wirkung haben die Algorithmen der Streaming-Dienste? Kann unsere Gesellschaft das aushalten, wenn wir nur noch im Binge-Rausch einen Ausschnitt der Wirklichkeit wahrnehmen? Ist das gefährlich für unsere Demokratie, wenn wir zu passiven Konsumenten werden?
Die Streaming-Welt ist wenig demokratisch
„Streaming fördert die Selbstentmündigung“, rügt der Medienwissenschaftler im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN digital. Vor allem bei Teens und Twens, die sich inzwischen oftmals überwiegend im Netz sozialisieren. Kleiner stuft als Folge die von ihm als "Generation Judith" bezeichnete Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen – auch gebildete Studierende – als nicht mehr aufnahmefähig für komplexe Zusammenhänge ein.
Digitaler Narzissmus sei der Grund für diese Entwicklung – bei einer Generation, die im Netz omnipräsent ist und sich Umfelder sucht, die gefallen, die das eigene Ego pinseln. Die wenig demokratische Streaming-Welt verstärke diese Entwicklung noch und sorge für eine Art neue digitale Pubertät, so Kleiners These: "Ich will, ich will, ich will." Ein Stuttgarter Studie führt indes Einsamkeit als Grund fürs Einigeln vor Bewegtbildinhalten an.
Die Lösung?
Mehr Interaktivität, schlägt Dr. Marcus Kleiner vor. Auch fehlen dem Wissenschaftler beim digitalen Bewegtbild unter anderem Moderator*innen als einordnendes Element. Alles in allem setzt sich der Berliner Professor in seinem Buch für ein bewussteres Streaming ein.
Ein Angebot, das auf nachhaltige Themen im Streaming setzt, ist beispielsweise die Plattform Better Stream. Die Gründer Henning Krosigk und Donald Houwer wollen die größte Datenbank für nachhaltigen audiovisuellen Content aus öffentlichen und kostenlosen Quellen schaffen. Mit ihrer Streaming-App sprechen sie Menschen an, die sich gezielt über nachhaltige und grüne Themen informieren wollen.
Die nicht-ökologische Kehrseite des Streaming-Booms
Dass sich ein Projekt wie Better Stream nicht nur nachhaltigen Themen verschrieben hat, sondern auch selbst etwas für die Umwelt tun und CO2 kompensieren will, ist nur konsequent. Zumal Streaming vielen als Stromfresser gilt.
Bereits 2018 hat Energieversorger Eon Tipps fürs klimafreundlichere Binge Watching ausgegeben, nachdem die Energiebilanz lange vor dem enormen Zuwachs in den vergangenen Monaten des Corona-Jahres sehr schlecht ausgefallen ist. Allein der Stromverbrauch von Netflix hat sich 2019 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 80 Prozent erhöht!
Eon zufolge haben die Plattformen bereits im Jahr 2018 weltweit so viel Energie verbraucht wie sämtliche Privathaushalte in Deutschland, Italien und Polen zusammen. Vor allem müssen Streaming-Anbieter die wachsende Zahl ihrer Rechenzentren kühlen. Mehr Zuschauer*innen, mehr Zugriffe bedeuten noch mehr Service und noch mehr stromfressende Kühlsysteme. Im Unterschied zum Fernsehen, bei dem aus Sendezentren jeweils nur eine Übertragung erfolgt, zählt beim Streamen jeder Abruf als Übertragung. Millionen Zuschauer*innen für eine Serie bedeutet dann eben Millionen Übertragungen und damit einen deutlich höheren Energiebedarf.
Während die Anbieter an stromsparenden Konzepten arbeiten oder durch CO2-Zertifikate kompensieren, können wir Nutzer*innen unseren Teil zu weniger klimaschädlichem Abrufverhalten beitragen. Beispielsweise durch das Vermeiden von Nebenher-Streamen, den Einsatz kleinerer Bildschirme, den Verzicht auf klassische TV-Angebote übers Netz, durch Ausschalten des Bildes bei Musikvideos oder durch das Herunterladen von Bewegtbild-Inhalten, die wir mehrmals sehen möchten.
Vielleicht ein guter Vorsatz für 2021, bewusster zu streamen?
Mit diesem Beitrag setzt der Blog der Medientage München eine fünfteilige Reihe rund um das Thema Streaming fort. Bis in den Januar hinein werden die steigende Nachfrage nach Bewegtbild aus dem Netz thematisiert, neue Anbieter, die Bedeutung von KI fürs Streaming sowie die wichtigsten Neuerungen und Trends.
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