"Heute ist der langsamste Tag unserer Zukunft.“ Mit dieser Einordnung bringt Tobias Schiwek, CEO bei We Are Era und Speaker des #MTM SPECIALS Future Video 2024, die Veränderungen in der Branche auf den Punkt: Die Transformation von TV hin zu Total Video beschleunigt sich weiter massiv. Es gilt, das gute alte Fernsehen mit den neuen Streaming-Kräften und spannenden Entwicklungen in Social Video in Einklang zu bringen. Über das Wie haben Vertreter:innen aus TV, Streaming, Beratung, Mediaagenturen, Forschung oder auch aus großen Digitalunternehmen bei der Tageskonferenz in München diskutiert. Ein Überblick.
Auf der einen Seite TV und Streaming, auf der anderen Seite Social Video à la YouTube oder TikTok? Die Stars der klassischen Bewegtbildunterhaltung vs. Influencer und Creators, die ein junges Paralleluniversum prägen? Wie können diese beiden Welten zu einem „Total Video“ zusammengebracht und zukunftsfähig gemacht werden?
Mit dieser Fragestellung blickte Stefan Sutor, Geschäftsführer der Medien.Bayern GmbH, zum Abschluss auf die Diskussionen bei #FuVi24 zurück. Denn: mehr Wettbewerb war nie! Immer mehr Anbieter in TV, Stream sowie Social Media konkurrieren um Publikum und/oder Werbebudgets bei schwächelnder Konjunktur ... Wie wird sich der Bewegtbildmarkt vor diesem Hintergrund künftig entwickeln?
Das sind die #FuVi24-Learnings
- Die Userzahlen sind konstant hoch – nun müssen sie monetarisiert werden.
In den kommenden Jahren geht es ums Geld verdienen. „Netflix gibt so viel Geld für Content aus, dass es bis 2022 keinen positiven Cashflow erzielt. Es geht nur um Wachstum“, fasste Fabian Tobias, Managing Director beim Produktionshaus EndemolShine Germany, die Lage im Streaming-Markt zusammen.
Doch wie können in einem übervollen Markt, der bei Abo-Umsätzen und Werbeerlösen an seine Grenzen stößt, höhere Erlöse erzielt werden?
Es gilt für Inhalteanbieter umzudenken und neues Terrain zu erobern. So lautete Marion Ranchets Vorschlag in ihrer Keynote bei Future Video. Ähnlich wie Evan Shapiro im Rahmen der #MTM23 empfahl auch die europäische Video-Spezialistin den Anbietern, verschiedene und vor allem neue Lebenswelten des Publikums hinzuzunehmen - Gamification etwa oder die Hinzunahme beliebter Creators.
Als Beispiel für ein gutes Zusammenspiel aus Engagement, Userzahlen und Umsatz nannte Ranchet die New York Times mit ihrem All-Access-Abo, das neben Inhalten aus der Printwelt auch Zugang zu Games oder Rezepten bietet und so neue Erlösquellen erschließt oder bei Abonnent:innen die Qual der Abwahl verschärft. - Die Super-Apps von Apple TV+, Prime, Netflix oder YouTube dominieren den Big Screen.
Dirk Wittenborg, Gründer und Präsident von Foxxum und rlaxx TV und Vorsitzender des Aufsichtsrats von Mission 1 Joint Venture Alliance, machte bei #FuVi24 deutlich, welche Rolle Apps und Betriebssysteme inzwischen beim Engagement des Publikums spielen: TV-Geräte ohne YouTube, Amazon oder auch Netflix seien heutzutage nicht mehr verkäuflich, meinte Wittenborg.
Diese "Super Apps" wirken sich auf die Betriebssysteme aus: Der User möchte Netflix, also müssen Gerät und Oberfläche den Zugang erlauben. Daneben haben diese Marken das Sagen bei den Werbespendings und kontrollierten heute die Viewing Time des Publikums. Das wiederum bedeutet, dass Netflix oder YouTube im Prinzip die neue Konkurrenz der Betriebssysteme darstellen. - Inhalte aus deutscher Produktion müssen sich auch refinanzieren.
„Wenn wir als Deutschland auf dem Markt der Kulturindustrie weltweit noch eine Rolle spielen wollen und nicht von den USA oder China abgehängt werden wollen, dann müssen wir jetzt handeln“, mahnte Björn Böhning, CEO und Sprecher des Gesamtvorstandes der Produktionsallianz. Filmförderpaket, Steueranreizpaket plus Investitionsverpflichtungen der Plattformen und Anbieter: Die Produktionsallianz pocht auf alle Säulen der Finanzierung und kämpft um „eine große industriepolitische Entscheidung“.
Bayerns Staatsminister Dr. Florian Herrmann, der an den Beratungen zur Novelle des Filmförderungsgesetzes FFG Anteil hat, das zum 1. Januar 2025 in Kraft treten soll, pflichtete diesen Forderungen der Produzenten bei #MTM SPECIAL Future Video zu. Es sei wichtig, „damit eine Planbarkeit in den Abfluss der Investitionen zu bekommen“ und den deutschen Produktionsstandort zu stärken. - Der hohe Wert der Werbung für Streaming.
"Werbefinanzierte Modelle sind eine Bereicherung für Streaming-Anbieter – weil sie helfen, unterschiedliche Zahlungsbereitschaften und Präferenzen im Markt abzuschöpfen“: So fasst Lisa Jäger, Partnerin bei der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partner, die wichtigsten Ergebnisse aus einer groß angelegten Streaming-Studie aus dem Vorjahr bei #FuVi24 zusammen.
Denn: „Rezession und Abo-Hopping sind im Markt angekommen.“ Die Zahlungsbereitschaft für Streaming-Abos sei deutlich gesunken – auf 10 Euro pro Abo und Monat laut Simon-Kucher. Ein Drittel der User sei sogar bereit zur Kündigung; unterdessen sei die Werbefreiheit im Stream nicht mehr so wichtig fürs Publikum, berichtete Jäger. Die Chancen für Werbefinanziertes im Streaming-Umfeld sind ergo gut und AVoD vermag die Kosten fürs Publikum zu senken. Die Prognosen für das Werbemedium sind zudem vielversprechend; ebenso für Connected TV, das lineares Fernsehen dank Smart-TV-Geräten an die Online-Welt anzubinden vermag. Daher verströmten die Expert:innen aus der Mediabranche viel Optimismus beim #MTM SPECIAL Future Video.
Daneben wurde im Rahmen einer Diskussion zur Zukunft von Streaming deutlich, dass die Dienste künftig mehr von Partnerschaften profitieren können und wollen. Etwa, um mit Bundles andere Zielgruppen zu erreichen. - Lineares TV und Streaming gehen Hand-in-Hand und bekannte Format-Marken sind ausschlaggebend im Entertainment-Markt.
TV-Strategien im Streaming-Zeitalter beinhalten beide Abspielkanäle. Mit den ganzen Beibooten werden Sender zum „Must-See-Content-Haus“, wie es RTL Deutschland formuliert. Dank immer mehr Daten aus dem Digitalen und der neuen AGF-Währung X-Reach kann die Windowing-Strategie bedient werden: Dabei wird entschieden, ob TV oder die Mediathek Vorrang haben sollen. Im Jahr 2024 sei es einfach wichtig, „wie wir Content am besten ausspielen“, betonte RTL-Datenchefin Karin Immenroth bei #FuVI24.
Aktuell zeigt sich den Diskutant:innen zufolge, dass vieles erfolgreich in den Stream verlagert werden kann und gerade TV-Inhalte sehr gute Ergebnisse auf Abruf erzielen.
Fürs ZDF hatte Dr. Florian Kumb, Leiter der Hauptabteilung Programmplanung beim ZDF, mehrere Learnings im Gepäck:
- Starke Marken funktionieren auf beiden Plattformen, TV wie Mediathek/Stream.
- Serien können linear flau starten, doch im Stream richtig abheben.
- Großereignisse wie Sport-Highlights sorgen für Peaks im klassischen TV-Programm.
- Nachrichten bleiben die lineare Verabredung des Tages.
Mindestens fünf Jahre dürfte es laut RTL und ZDF dauern, bis das deutsche Publikum mehr streamt als lineares TV zu nutzen.
Fabian Tobias von EndemolShine Germany verdeutlichte die Chancen für TV und deren Mediatheken mit der Konsolidierung im Streaming-Markt. Es gelinge gerade, bekannte TV-Marken online mit großem Erfolg zu verlängern. Dabei gelte nach wie vor: „Wirklich innovativ sein heißt auch wirklich neu denken.“ - Social Video lebt vom Content – aber vor allem vom Community Management.
Klar wurde bei der Konferenz im House of Communication, dass es beim Einsatz von Social Video in erster Linie darum geht, Communities zu bilden und an sich zu binden. Für die ARD etwa sind die Sozialen Netzwerke wichtig, „um mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, die man im linearen TV nicht erreicht“, so Ann-Kathrin Metzler, CvD ARD MixTalk bei Twitch und Multimediale Chefredaktion beim SWR.
Für die schnelle Aktivierung der TV-Fans empfiehlt sich TikTok, vor allem, wenn es um Junge geht. Da waren sich Tobias Schiwek, CEO bei We Are Era, und Karsten Samland, Head of Publisher Management DACH bei TikTok, einig. Gut gemachtes Social TV wiederum wirkt aufs TV zurück. Beispiel - der TikTok-Channel What to watch?.
Creator wie Gil Grobe, Managing Director bei Ice Cream Rolls / Roll it Media, sind durchaus TV-tauglich: Es gelte in Social Media ebenso ein Inhalteversprechen wie im TV, bestätigte Schiwek. Wer das berücksichtige, könne auch Kanalgrenzen sprengen und als Creator bei Netflix oder in TV-Shows überzeugen.
- Die Verknüpfung von Entertainment und Sport wird weiter voranschreiten.
Communities – sie sind für Sportsender und Plattformen unerlässlich geworden, um neue Erlebnisse und damit auch tragende Geschäftsmodelle zu entwickeln. Abseits des klassischen deutschen Bundesliga-Hypes. „Wir wollen die Sportarten auf eine Ebene heben – wie es vorher nur der Fußball hatte“, versichert Moritz Mücke, Head of Product & Technology beim Sport-Streaming-Neustart Dyn Media. Es gilt, Erlebniswelten für Fans zu schaffen. Dabei spielt Unterhaltendes eine große Rolle.
Exklusive Rechte bleiben für Jochen Gundel, Director Sport GSA bei Warner Bros. Discovery, „extrem wichtig“. Bei der Inszenierung etwa auf der Streaming-Plattform discovery+ gibt es indes große Veränderungen: „Es ist unsere Mission, über den Streamer neue Formen der Ansprache zu etablieren“, so Gundel – der mitten in den Vorbereitungen für den Olympischen Sommer steckt. So plant das Warner-Team für Paris 2024 eine tägliche Streaming-Show – live aus dem Stade Jean Bouin, dem „Home of Team Deutschland“.
Gundels Prognose bei #FuVi24: „Die Verknüpfung von Entertainment und Sport wird weiter voranschreiten!“
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
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