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Meinungsbildung: Warum Fakten allein nicht mehr greifen

20. Mai 2025

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Wie entsteht eigentlich Meinung? Welche Meinungsbildungstypen gibt es? Und warum ziehen sich Menschen aus dem politischen Diskurs zurück? Diese Fragen haben das rheingold Institut und die Universität Mainz in der Studie „Angebunden oder abgekoppelt?“ für die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) untersucht. Ein Gespräch mit Sebastian Buggert, rheingold Institut, über Wut, Ohnmacht und Hoffnung in der politischen Meinungsbildung

 

BLM_Thema_LogoDemokratien brauchen (Meinungs)Vielfalt – so weit, so unbestritten. Doch wie diese Vielfalt entsteht, wie sie wahrgenommen wird und was sie auslöst, ist keineswegs trivial. Lange war der "Marktplatz der Ideen' das zentrale Bild: freier Wettbewerb, fakten­basierter Diskurs, rationale Entscheidungsfindung.

Doch diese liberale Idealvorstellung gerät ins Wanken – nicht nur durch algorithmisch gesteuerte Informationsflüsse, sondern auch durch emotionale Überforderung und gesellschaftliche Fragmentierung.

Die permanente Präsenz von Krisen – Krieg, Klima, Pandemie, soziale Unsicherheit – verändert nicht nur die Inhalte, über die gesprochen wird, sondern auch die Bedingungen für die Meinungsbildung. Die gesellschaftliche Öffentlichkeit ist längst keine neutrale Arena mehr, sondern ein emotional aufgeladenes Spannungsfeld.

 

„Meinung entsteht nicht einfach, sondern muss gebildet werden.“

Das erklärt Sebastian Buggert, Meinungsforscher am rheingold Institut. Buggert: „Zum einen ist Meinung eine gesellschaftliche Anforderung – wie, du hast keine Meinung?! Zum anderen stiftet sie emotionalen Halt, Identität, sie lindert das Gefühl der Unsicherheit, schafft Gemeinsamkeit.“

Doch Meinungsbildung ist nicht einfach: Sie erfordert kognitive und emotionale Ressourcen – und sie kann auch verletzlich machen.

Meinung zu haben bedeutet Aufwand. Man muss sich informieren, Positionen reflektieren und diese gegebenenfalls verteidigen. Das ist in Krisenzeiten eine immense psychologische Leistung.
Sebastian Buggert, rheingold Institut

 

Meinung als seelisches Konstrukt

Was also tun, wenn Meinungen sich nicht mehr frei entfalten, sondern verhärten, polarisieren oder sich radikalisieren? Wenn Fakten nicht mehr überzeugen oder sogar abgelehnt werden?

Hier setzt der morphologische Ansatz an, mit dem das rheingold Institut arbeitet und in seiner aktuellen Studie auf die Meinungsbildung angewandt hat. Anders als rationale Modelle, die auf Argumentation und Diskurs zielen, betrachtet dieser Ansatz Meinungen als Ausdruck innerer Spannungen. Sie werden verstanden als psychologische Gebilde, die durch Erfahrungen, Affekte und Bedürfnisse geformt werden. Nicht der Inhalt steht im Vordergrund, sondern die Funktion.

„Wir verstehen Informations- und Meinungsbildungsverhalten als psychologische Selbstbehandlung“, erläutert Buggert. „Ich informiere mich so, wie ich es in meiner Lebensrealität brauche – zur Beruhigung, zur Selbstpositionierung bzw. -vergewisserung oder auch zur Abgrenzung.“

Meinungen „behandeln“ also etwas Inneres, sie geben Halt, lindern das Gefühl der Unsicherheit, kanalisieren emotionale Spannungen. Eine Wut über „die da oben“ ist nicht selten Ausdruck eines tiefer liegenden Ohnmachtsgefühls.

Die aktuelle gesellschaftliche Stimmung ist emotional enorm aufgeladen.

Sebastian Buggert, rheingold Institut

 

Buggert: „Corona war ein Bruchpunkt. Gleichzeitig erleben wir eine Ermächtigung durch digitale Medien. Jeder hat vollen Zugriff, kann alles äußern, jederzeit. Aber spätestens seit Corona fühlen sich viele auch ohnmächtig und fremdbestimmt. Das kränkt und wird häufig in Wut übersetzt: Die richtet sich nach außen, findet einen Gegner, ein Ventil und möglicherweise Halt in der Gemeinschaft Gleichgesinnter.“

 

Sechs Typen, sechs Welten, ein Drittel mit Abkopplungstendenzen

Diese tiefenpsychologischen Annahmen wurden methodisch fundiert überprüft. Die Studie kombiniert eine qualitative Phase mit 36 ausführlichen Tiefeninterviews, die das Informationsverhalten anhand konkreter Nutzungssituationen untersucht, mit einer quantitativen Repräsentativerhebung.

Die Studienergebnisse machen deutlich: Die deutsche Bevölkerung lässt sich – je nachdem, wie intensiv Informationen verarbeitet werden und wie überzeugt man selbst von den eigenen Meinungen ist – in sechs Meinungsbildungstypen gliedern. Das Spektrum reicht vom diskursoffenen „Anspruchsvollen Meinungsoptimierer“ bis zum „Empörten Meinungsanhänger“ (siehe Grafik; Quelle: Angebunden oder abgekoppelt?“ ).

BLM-Studie-Nutzungstypen-1„Die Anspruchsvollen kann man als Typus ‚alter Schule‘ bezeichnen,“ meint der Meinungsforscher. „Sie sind weniger digital ermächtigt, eher durch Haltung motiviert und offen für Pluralität. Auf der anderen Seite stehen die „Empörten“, bei denen äußere Anforderungen oder Krisenerfahrungen kränkende Gefühle auslösen, die dann in Meinungen umschlagen, die nicht zuletzt Ausdruck von Enttäuschung oder Wut und Schutzmechanismus sind.“

Mit Blick auf die Anbindung an den öffentlichen Diskurs bedenklich: Drei der sechs Typen – fast ein Drittel der Bevölkerung – zeigen Tendenzen zur Abkopplung vom demokratischen Diskurs. Manche, wie die „Ängstlichen Selbststabilisierer“, meiden politische Information aus Überforderung. Andere, wie „Eskapistische Meinungsmitläufer“, ziehen sich in Unterhaltungswelten zurück. Und dann gibt es die „Empörten“, die sich gezielt dort informieren, wo ihre Wut bestätigt wird.

„Aber wir konnten mit allen Typen zwei Stunden lang sprechen,“ betont Sebastian Buggert. „Und das macht mir Hoffnung. Denn selbst die ‚Abgekoppelten‘ sind ansprechbar. Man muss ihnen allerdings auch zuhören und ihre Anliegen ernst nehmen.“

 

Was tun? Weniger Expertentalk – mehr lebensnahe Kommunikation!

Die Studie kommt zu einem klaren Schluss: Es reicht nicht, noch mehr Fakten zu liefern oder Debattenformate zu multiplizieren. Wer die vulnerablen Gruppen erreichen will, muss Verbindungen schaffen – über Sprache, Formate, emotionale Zugänge.

Gerade in Krisenzeiten ist es entscheidend, nicht nur zu fragen, was Menschen denken, sondern wie ihre Meinung überhaupt entsteht. Denn wir sehen eine zunehmende Spaltung, ein Erstarren in Positionen, ein Abschneiden vom diskursiven Miteinander.

Sebastian Buggert, rheingold Institut

 

Das heißt konkret: weniger Experten-Talk, mehr lebensnahe Kommunikation. Weniger Appelle an die Vernunft, mehr Angebote zur emotionalen Orientierung. Vertrauen, Identifikation und Alltagstauglichkeit sind die Schlüssel zur Teilhabe.

 

Fazit: Meinung braucht Verbindung, nicht nur Information

In einer Gesellschaft, die sich im Krisenmodus eingerichtet hat, reicht es nicht mehr, auf die Kraft des besseren Arguments zu hoffen. Wer die Demokratie stärken will, muss verstehen, wie tief Meinung in inneren Bildern, Emotionen, Bedürfnissen verwurzelt ist.

„Wir brauchen eine politische Kommunikation, die nicht nur informiert, sondern auch erreicht“, sagt Sebastian Buggert. „Menschen wenden sich nur dann politischen Inhalten zu, wenn diese zu ihren Lebenswelten passen – emotional, sprachlich, lebensnah.“

Das ist keine Einladung zum Populismus – sondern zum Perspektivwechsel. Wenn wir Demokratie gestalten wollen, müssen wir dort ansetzen, wo Meinung wirklich entsteht: im Inneren der Menschen.

Hier der Mitschnitt der Studienpräsentation: 

 



Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu fachspezifischen Themen im Blog der MEDIENTAGE MÜNCHEN. Die MEDIENTAGE MÜNCHEN sind eine Initiative der Medien.Bayern GmbH – einer Tochtergesellschaft der BLM.


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