In Redaktionen lokaler und regionaler Zeitungen entscheiden zu 90 Prozent männliche Führungskräfte darüber, was wichtig ist und was die Leserschaft vorgesetzt bekommt. Damit hat sich laut einer erstmals qualitativen Erhebung des Vereins ProQuote Medien in den vergangenen zwei bis drei Jahren kaum etwas verändert. Der „Frauenmachtanteil“ ist laut der aktuellen Studie „Männerdomäne Regionalpresse: Wo bleiben die Führungsfrauen?“ im Vergleich zu anderen Mediengattungen weiterhin in der Lokalpresse am niedrigsten.
Diese Statistik hat sich nahezu zementiert:
Schlusslicht Lokalpresse: Die von ProQuote Medien seit Gründung im Jahr 2012 quantitativ erhobenen Zahlen und Machtverhältnisse haben die Macherinnen wachgerüttelt und eine vertiefte Analyse zur Folge gehabt. 16 Interviews mit Regional- und Lokalzeitungsjournalistinnen aus ganz Deutschland sind geführt und in einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet worden. Die Ergebnisse unter dem Titel „Männerdomäne Regionalpresse: Wo bleiben die Führungsfrauen?" sind nach Angaben von ProQuote Medien nach wie vor trist. Demnach liegt der Frauenmachtanteil in den Chefredaktionen der Lokal- und Regionalzeitungen immer noch bei rund zehn Prozent, wie es zuletzt die Zählungen von 2018 und 2019 deutlich gemacht haben. Sie sind Anlass gewesen für die jetzt durchgeführte qualitative Erhebung. Zentrale Frage dabei: Warum schaffen es gerade in der Lokal- und Regionalpresse nur so wenige Frauen an die Spitze?
#ProQuoteMedienStudie- schon einen Blick reingeworfen? Um den Ursachen der im Regionaljournalismus besonders ausgeprägten Systemträgheit auf die Spur zu kommen, haben wir uns für unsere aktuellste Studie für leitfadengestützte Interviews entschieden. Mehr: https://t.co/YKjRJTUoTv pic.twitter.com/LGTcx5ciZU
— Pro Quote (@quote_pro) March 1, 2021
Anna von Garmissen, Studienleiterin bei ProQuote Medien und frühere Journalist-Chefredakteurin, hat verschiedene Gründe für den Stillstand vorgefunden. Sie berichtet von regelrechten „Männerzirkeln" in Redaktionen und Verlagshäusern, die noch dazu oft in männlicher Familienhand seien. Gerade im Lokalen sei in sehr kleinen Redaktionen noch oft die Unvereinbarkeit von Karriere und Familie vorzufinden.
Weitere Punkte sind der Einfluss der Führungskultur oder des Sexismus In Form herablassender Sprüche und verbaler Übergriffigkeiten, die das Selbstwertgefühl und das Ansehen von Redakteurinnen massiv beeinflussen würden. Defizite in der Personalentwicklung gerade in kleineren Zeitungshäusern, die fehlende Agenda zu diesen Themen oder auch Folgen des Sparzwangs schaden weiblichen Führungskräften aus Sicht des Vereins.
Es gibt erste positive Veränderungen
Für Nina Könemann, stellvertretende Chefredakteurin des Mindener Tageblattes, spiegeln viele Redaktionen „ländlich tradierte Strukturen“ wider. Der Bürgermeister, der Landrat, der Verleger, der Chefredakteur. Sie selbst arbeitet auf einem 80-Prozent-Job, die Führungsaufgaben teilt sie sich. Überhaupt ist beim Mindener Tageblatt in den vergangenen Jahren viel passiert aus Könemanns Sicht. Verschiedene Jobmodelle ermöglichen demnach Männern wie Frauen in Führungspositionen, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen.
Michael Garthe, Chefredakteur der Rheinpfalz, sieht bei Präsentation der Studie sehr wohl in den vergangenen Jahren mehr Frauen in der Führungsrolle, bezieht aber stärker als ProQuote Medien die Ressortleiter:innen-Ebene mit ein. Sein Argument: Es gebe kaum noch Chefredakteure in Deutschland, die allein bestimmen würden, was in ein Blatt komme. Damit haben aus seiner Sicht inzwischen deutlich mehr Ressortleiterinnen wichtigen Einfluss auf die Inhalte der Zeitung.
Garthes Einwand, dass sich auf ausgeschriebene Chefredaktionsposten keine Frauen bewerben würden, mag die ProQuote-Medien-Vorsitzende Edith Heitkämper nicht gelten lassen. Sie drängt vielmehr darauf, Stellenausschreibungen so zu verändern, dass Führungsposten diverser und mit mehr Frauen besetzt werden können.
Mehr Lebenswirklichkeit ist indes nach Angaben von Swantje Dake bei der Stuttgarter Zeitung zu finden. Die Chefredakteurin Digitales berichtet, dass dort die Arbeitsplätze auf die Bedürfnisse der Bewerber:innen angepasst würden. Der Chefredakteur der Rheinischen Post, Moritz Döbler geht so weit, sich beim kritischen Verein zu bedanken für den Druck In der Sache. Mehr Frauen in journalistischen Führungspositionen würde bedeuten, dass auch die Produkte stärker der Lebenswirklichkeit der Leserschaft entsprechen würden. Döbler: „Es beginnt sich in Redaktionen die Veränderung der Gesellschaft zu spiegeln.“
Auf Grundlage der gesammelten Erkenntnisse hat ProQuote Medien sieben Verbesserungsvorschlägen für weiblichere Redaktionensspitzen entwickelt:
- Moderne Strukturen mit einer lebendigen Feedbackkultur,
- Frauenförderung mit Mentorenprogrammen,
- eine neue Form der Redaktionskultur mit flachen Hierarchien,
- Anlaufstellen für Betroffene von Sexismus,
- flexibles Arbeiten,
- das Herausbilden neuer Arbeitsmodelle
- sowie eine bessere Kinderbetreuung könnten aus Sicht des Vereins Abhilfe schaffen.
Die gesamte Studie gibt es hier nachzulesen.
Diversere Redaktionen erwünscht!
Die Welt abbilden, wie sie ist: Diese allgemeine Forderung an Medien ist auch im Rahmen des ersten Diversity-Gipfels im Rahmen der Medientage München 2020 laut geworden. In verschiedenen Ausprägungen. Die Politikwissenschaftlerin Sham Jaff etwa betreibt seit 2014 den Newsletter „What happened last week“. In ihrer englischsprachigen Publikation will sie ein globales Publikum mit unterrepräsentierten Nachrichten erreichen.
Für Marcus Bornheim, Erster Chefredakteur von ARD Aktuell, gibt es Nachholbedarf bei der Zusammensetzung der Redaktionen rund um das Nachrichtenflaggschiff „Tagesschau".. Dort habe vielfach ein deutsches weißes Bildungsbürgertum das Sagen, man wolle aber mehr diverse kulturelle Hintergründe im Team haben. Das betreffe übrigens auch ostdeutsche Kollegen, die kaum in Hamburg beschäftigt seien ...
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