Warum Vielfalt die Qualität von Medien fördern kann, welche Initiativen Medienhäuser im Bereich Diversity bereits verfolgen und welche Rolle Sprache und Themensetzung dabei spielen, diskutierten Expert:innen bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN 2021.
„Ich möchte, dass in fünf Jahren Transgender im Fernsehen kein Thema mehr ist“, so Georgine Kellermann. Nicht, weil das Thema totgeschwiegen wird – sondern „weil es einfach da ist, Alltag ist“. Das Wort „normal“ möchte Kellermann nicht verwenden – denn was sei schon Norm.
Blickt die Leiterin des WDR Landesstudio Essen, die ihr Outing als Trans*frau zwei Jahre zuvor hatte, zurück, findet sie, dass sich seit den 1980er-Jahren einiges bewegt hat. So seien mit Nyke Slawik und Tessa Ganserer mittlerweile sogar zwei Frauen im Bundestag. Gleichzeitig gebe es noch einiges zu tun. Die Repräsentation queerer Menschen und Transgender-Menschen spiegle in deutschen Medienangeboten nicht die gesellschaftliche Realität wider.
Ich möchte, dass eine Transperson einen Kommentar in den Tagesthemen spricht.
Georgine Kellermann
Kellermann selbst spürt hauptsächlich Offenheit und Zuspruch, sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext. „Ich glaube, das Publikum ist schon viel weiter als wir voraussetzen.“ Natürlich gebe es auch Witze hinter ihrem Rücken, oder Anfeindungen. „Damit muss ich leben. Mein Selbstbewusstsein ist ziemlich ausgeprägt.“
Moderatorin Boussa Thiam und Georgine Kellermann
Sie möchte inspirieren und Mut machen, zu dem zu stehen, was man ist. „Ich möchte, dass eine Transperson einen Kommentar in den Tagesthemen spricht. Der Kommentar darf nicht „trans“ zum Thema haben, sondern zum Beispiel ein Thema wie Klimaschutz. Transpersonen sind genauso politisch kompetent wie andere!“
Diversität in den deutschen Medien besser abbilden
Eine Studie zur „audiovisuellen Diversität“ von Wissenschaftlerinnen der Universität Rostock zeigte, dass im deutschen Fernsehen nach wie vor Männer in tragenden Rollen zu sehen seien. Frauen deutlich weniger; behinderte Menschen seien kaum präsent. Für Kellermann sind die Streamingplattformen da schon deutlich weiter. Ein Transkommissar oder ein Kommissar im Rollstuhl beim Tatort – die Leiterin des WDR Landesstudios plädiert dafür, dass Diversität in den deutschen Medien deutlich besser abgebildet wird.
Dafür müsse sich auch das Mindset der Medienberichterstattung über die queere Society ändern: „Bei CSD-Berichten gibt es fast ausschließlich Berichterstattung über Dragqueens, Kunstfiguren und Paradiesvögel. Aber so ist die Szene gar nicht.“
Das bestätigten Jonas Karpa, Redakteur bei den SOZIALHELDEN und Dr. Emilia Roig, Autorin von Why We Matter und Gründerin des Center for Intersectional Justice (CIJ). Denn: Die Art der Berichterstattung oder auch der Gebrauch einer bestimmten Sprache erzeugen Bilder und prägen die Wahrnehmung stark.
Boussa Thiam, Jonas Karpa und Dr. Emilia Roig
Die Bedeutung von Sprache
„Als Raul Krauthausen den Verein SOZIALHELDEN gegründet hat, haben wir gemerkt, dass in der Berichterstattung unglaublich viele Klischees bemüht wurden“, berichtete Karpa. Er ‚sei an den Rollstuhl gefesselt‘ etwa, oder ‚er leide an einer Behinderung‘. Was folgte, war die Gründung der Leidmedien: Ein Projekt von Redakteur:innen mit und ohne Behinderung, die Redaktionen bei der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung beraten.
TV-Formate wie Besonders verliebt des Senders Vox kritisierte Karpa stark. „Diese Sendung besteht nur daraus, dass behinderte Personen bei dem Portal Handicap Love angemeldet werden und wiederum Menschen mit Behinderung daten.“ Eine bestimmte Gruppe bleibe also unter sich, was einem Dialog auf Augenhöhe nicht förderlich sei.
Die Institutionen müssen sich ändern, die Art und Weise, wie Politik gemacht wird.
Emilia Roig
Diversität – der Begriff umfasst weit mehr Gruppen als Menschen mit Behinderung, die queere Society, oder die Frauenquote. Dazu gehören auch Merkmale wie Alter, ethnische Herkunft oder Nationalität, Religion oder Weltanschauung und soziale Herkunft. Emilia Roig setzt sich mit dem CIJ dafür ein, die Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik inklusiver zu gestalten. „Die Institutionen müssen sich ändern, die Gesetze, die Art und Weise, wie Politik gemacht wird“, forderte Roig. Denn: Wenn es um Inklusion geht, werde in Unternehmen aktuell vieles nur auf individueller Ebene thematisiert.
Eine Diversity-Quote als Lösung?
Beide waren sich einig, dass es in Redaktionen noch viel zu homogen zugeht. Karpa setzt deshalb auf die Einführung einer „Diversity-Quote“: 30 Prozent des Personals sollen Personen mit unterschiedlichen Diversity-Merkmalen sein. Diese müssen noch festgelegt werden, um tatsächlich Vielfalt zu erreichen. Oft herrsche die Sorge vor, der Zwang hin zu diverseren Redaktionen gehe zulasten der Qualität, glaubt Karpa. „Das stimmt nicht. Die Vielfalt fördert die Qualität, ist die Kirsche auf der Sahnetorte.“
Für Roig ist diese Sorge vor allem im Widerstand gegen das Verändern bestehender Hierarchien begründet. „Der Kampf gegen Diskriminierung ist eine WinWin Situation. Es ist keine Umkehrung der Diskriminierung, sondern eine Verbesserung der Situation für uns alle.“
So fördern Medienunternehmen Diversity
Im Panel „Diversity desired – How media makers can implement diversity in their companies“ gaben Susanne Aigner, Geschäftsführerin Discovery GSA & BNLX, Chiponda Chimbelu, Mitglied der Chefredaktion Deutsche Welle und Miranda Holt, External Partners Lead des BBC 50:50 Project Einblicke, wie es um die Diversität in Medienunternehmen bestellt ist und was ihre eigenen Häuser bereits tun, um die Diversität in den Teams zu steigern.
Chiponda Chimbelu, Susanne Aigner und Miranda Holt
Mit dem 50:50 Project zum Beispiel begann die BBC 2017 im Newsroom und möchte damit Gleichstellung zwischen Frauen und Männern stärken. Dazu werden Daten gesammelt und erfasst, wer was zu den veröffentlichten Inhalten beiträgt. Zahlreiche BBC-Abteilungen folgen dem Beispiel mittlerweile, viele davon nähern sich einem 50:50-Verhältnis. Das Ziel: Die Ausgewogenheit soll sich im Content widerspiegeln.
Die Deutsche Welle setzt auf eine erweiterte Chefredaktion. Ein fünfköpfiges Team mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, zu dem Chiponda Chimbelu gehört, soll dabei helfen, Themenauswahl, Fragestellungen und Diskussionen so vielfältig wie möglich zu machen und dadurch Menschen jeder Herkunft zu erreichen.
Susanne Aigner stellte die Initiative Mosaic vor, mit der Discovery sowohl intern Vielfalt fördern, als auch in der Außendarstellung für das Thema sensibilisieren will. Gerade im Wettbewerb um Talents sei es wichtig, die eigenen Werte nach außen zu tragen. Discovery überdenkt deshalb unter anderem die Sprache in Stellenanzeigen und Weiterbildungsmöglichkeiten.
Diversity leben um Talents zu gewinnen
Was den Begriff „Talents“ angeht, habe sich die Bedeutung mittlerweile klar gewandelt, so Holt: Fingen noch vor einer Generation vor allem weiße Männer mit Oxford- oder Cambridge-Abschluss bei der BBC an, lege das Unternehmen nun großen Wert auf mehrere Einstiegsmöglichkeiten, um eine größere Bandbreite an Menschen anzusprechen und im Unternehmen zu halten.
Aigner sieht eine Herausforderung für die Unternehmen in der Vielzahl an Möglichkeiten für Berufseinsteiger:innen: „Wir müssen als Unternehmen strahlen und glaubwürdig sein. Mitarbeiter: innen sollen den Raum und die Angebote haben, um an den Themen Equality, Diversity und Inklusion zu arbeiten und ihre Passionen auszuleben."
Die hybriden MEDIENTAGE MÜNCHEN 2021 stehen unter dem Motto "New Perspectives". Dabei blicken wir auf die Zeit nach der Corona-Pandemie und zeigen neue Perspektiven und Geschäftsmodelle auf.
Tickets für vor Ort und für den Stream sind hier erhältlich! Im Nachgang ist das Programm der #MTM21 vier Wochen on demand abrufbar.
Interessiert an Themen rund um die Medienbranche? Dann ist hier im Blog der Medientage München noch mehr Lesenswertes zu finden.
Zudem können Medienthemen auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.
Kommentare