Die Gewalt gegen Journalisten in Europa hat zugenommen. Ein Beispiel ist der tödliche Angriff auf den Investigativjournalist Peter de Vries in den Niederlanden aus dem Bereich der organisierten Kriminalität. Während der Pandemie kam es zu etlichen Angriffen auf Medienschaffende. Und die sozialen Medien als Orte der Radikalisierung befeuern diese Problematik. Wie gehen Medien richtig mit der Thematisierung von Meinungen von Minoritäten oder mit „schwierigen“ Meinungen in ihren Communities um? Antworten liefert der Journalism Summit im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN 2021.
„Das Virus infiziert die Pressefreiheit“, betont Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Er verweist auf eine Studie vom Frühjahr, wonach Länder mit freier Presse die Corona-Pandemie besser in den Griff bekommen hätten. Er bedauert, dass seit eineinhalb Jahren ziemlich viele Journalisten weltweit verhaftet worden seien, weil sie kritisch über die Corona-Politik ihrer Regierungen berichtet haben.
Nur in 27 Prozent der Länder ist es Mihr zufolge um die Pressefreiheit derzeit gut bestellt. Doch: Sogar in Deutschland ist es mit der Pressefreiheit seit Corona nicht mehr weit her. Christian Mihr berichtet von Übergriffen auf Kolleg:innen, allerdings überwiegend von privater Seite, von Quer- und Andersdenkenden. Hinzu kommen ihm zufolge immer mehr Anfeindungen aus Sozialen Medien. Auch Missbrauch von Recht und Gerichtsverfahren gegen journalistische Arbeit nehme zu.
Für Reporter ohne Grenzen ist das nächste große Thema: Pressefreiheit im digitalen Raum zu sichern, ein Raum, der über deutsche Grenzen weit hinausreicht. „Zugleich schaffen diese Plattformen Öffentlichkeit und geben ein gewisses Freiheitsgefühl“, betont Mihr und hebt die Wichtigkeit von klaren Regeln in diesem Raum hervor, in dem die Presse leider auch zunehmend bespitzelt werde.
Die Bedrohung der Pressefreiheit von innen
Für Olaf Sundermeier, ARD-Investigativjournalist beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), ist unterdessen die größte Bedrohung des Journalismus‘ die „innere Bedrohung“, wenn Redaktionen glauben, dass ihre Medien nicht mehr gebraucht würden. Der Gegenwind, die Ablehnung durch einen „kleinen Teil der Bevölkerung“, dürfe Journalist:innen in ihrer Arbeit und bei ihrem wichtigen Auftrag nicht entmutigen und hindern.
Man dürfe sich nicht dem Glauben hingeben, dass die Mehrheit der Menschen die Presse ablehne. Er ermutigt alle Redaktionen:
Macht einfach weiter Euere Arbeit!
Olaf Sundermeier, rbb
Seit 2014 sei der Journalismus ein anderer Beruf, strukturelle Medienfeindlichkeit sei seither deutlich spürbar und organisiert. Sundermeier: „Im Wesentlichen sind das immer wieder dieselben Leute, von denen wir uns nicht von unserer Arbeit abbringen lassen dürfen.“ Doch jene, die die freie Presse angreifen, „haben jede Hemmung verloren“.
Ausgenommen davon sieht er die Interessen ausländischer Gruppen, die versuchten, Medien zu beeinflussen. „Das ist eine ernsthafte Bedrohung!“ Den Hass im Netz und auf der Straße stuft Monika Pilath, Nachrichtenchefin & Mitglied der Chefredaktion ZEIT ONLINE, als große Bedrohung ein.
Was hat sich in den vergangenen Jahren verändert?
„Viel“ - aus Sicht von Bastian Obermayer, Leiter Investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung, der mit seinem Team die Enthüllung der Panama Papers verantwortete. Die letzten Jahre würden zeigen, dass freier Journalismus in Europa nicht mehr gesichert sei. Dass Kolleg:innen bedroht oder sogar ermordet würden, dass die Sprache gegen Medien von Seiten der Politik verrohe. Mit Blick auf Mordfälle in Malta und in der Slowakei, auf Übergriffe im digitalen Raum, müsse die Straffreiheit für solche Taten ein Ende nehmen. Und: Ersten „Fake News“-Ansätzen deutscher Politiker müsse dringend etwas entgegensetzt werden.
Olaf Sundermeyer zufolge lernt die ARD gerade, dass sich die Situation verändert hat. Der Investigativjournalist berichtet, dass die Entscheider im Haus gerade umlernen würden. Für ntv ist es laut Chefredakteurin Sonja Schwetje von großem Vorteil, Teil eines großen Verbunds zu sein. Mihr sieht ein Defizit auch auf Staatsseite; die Polizei etwa müsse sensibilisiert werden für die Gewalt gegen die Presse.
Fest steht: Das Vertrauen in bestimmte journalistische Medienmarken ist immer noch da, ist sich die Runde sicher. Es gilt, dieses hohe Gut weiter mit Leben zu füllen – allen Widrigkeiten und der wachsenden Zahl von Anfeindungen zum Trotz.
Das sieht auch Markus Knall so, Chefredakteur von Ippen Digital und damit Teil des Wirbelsturms, bei dem die investigative Leistung seines Teams bei der Enthüllung toxischer Zustände in der BILD-Redaktion um dem geschassten Chefredakteur Julian Reichelt vom Altverleger Dirk Ippen ausgebremst wurde. Natürlich müssten Redaktionen unabhängig bleiben, hebt Knall schlägt vor. Er gibt zu bedenken, den Journalismus im digitalen Raum auf den Prüfstand zu stellen und über neue Strukturen im Gefüge aus Anbieter und Redaktion zu sprechen . „Die Disruption ist so tief, wir müssen lernen, auch an die Distribution der Inhalte zu denken.“
Knall: „Die Hoheit über Themen wandert im digitalen Raum zu ganz neuen Playern“, während sich die Grundprinzipien der Arbeit erhalten. Neue Player wie Google und Facebook hätten sich zwischen Medien und User geschoben.
„Der wichtigste Schutz für Journalisten ist, wenn die Arbeit, die sie tun, in der Gesellschaft anerkannt wird." Mit dieser Aussage von @markk78 endet der Journalism Summit auf den #MTM21.
— MEDIENTAGE MÜNCHEN (@medientage_mtm) October 29, 2021
Die hybriden MEDIENTAGE MÜNCHEN 2021 stehen unter dem Motto "New Perspectives". Die Tickets für vor Ort und für den Stream ermöglichen im Nachgang, das Programm der #MTM21 vier Wochen on demand abzurufen.
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