Vor Ort und Online haben die 35. MEDIENTAGE MÜNCHEN mit ihrem Motto "New Perspectives" die Aufbruchstimmung widergespiegelt, die in der Medienbranche nach den Phasen langer Lockdowns während der Pandemie vorherrscht. Die Folgen von Corona, mehr Nachhaltigkeit und der digitale Strukturwandel von Medien und Öffentlichkeit prägten die meisten der Vorträge und Diskussionen, Talk- und Gesprächsrunden.
Gleich zum Auftakt, beim diesjährigen Mediengipfel, hat Bayerns Ministerpräsident Dr. Markus Söder (Foto) auf eine negative Entwicklung der vergangenen eineinhalb Jahre reagiert: die Zunahme von Hassbotschaften im Netz.
Söder forderte von Facebook und Co. eine Veränderung ihrer Algorithmen, um solchen Hassbotschaften entgegenzuwirken. Das Löschen von Kommentaren durch die Plattformen reiche nicht aus. Vielmehr müsse durch neue Einstellungen verhindert werden, dass User aufgrund von Algorithmen "einem schieren Bombardement mit Unsinn" ausgesetzt seien.
Die ebenfalls anwesende Wissenschaftlerin und Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim, die soeben ihre neue ZDF-Show "Maithink X" startete, geht mit Hassbotschaften auf ihre Art um: "Ich lese keine Kommentare." Einen gefilterten Überblick liefere ihr Team.
Mai Thi Nguyen-Kim im Gespräch mit Ingo Zamperoni (Foto: MTM)
Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Medien.Bayern GmbH, zeigt sich „überrascht“, wie klar die Verantwortung von Facebook, YouTube und Co. thematisiert wurde – „bis hin zu der Forderung, den Algorithmus neu zu strukturieren, um gesellschaftsspaltenden Blasen und Hass gegenzusteuern“.
Er sieht die Medienanstalten hier in der Pflicht; die neue Regulierung von Intermediären und Medienplattformen beeinflusse die Diskussion in Europa. Nun gehe es darum zu prüfen, wie sich die Vielfalt in der digitalen Welt sichern lasse. „Das bleibt unsere wichtigste Aufgabe“, so Schmiege. Die Anbieter baten prompt um Unterstützung:
Als bestes Inhalte-Portfolio der Welt bezeichnet Gunnar Wiedenfels die Zusammenführung der Marken von @WarnerMedia und @Discovery bei den #MTM21. Er fordert Regulierung auf europäischer Ebene und fairen Wettbewerb zwischen Plattformen und TV- und Streaminganbietern. pic.twitter.com/VHe6GAMVp2
— BLM (@BLM_Bayern) October 25, 2021
Die Arbeitswelt ist eine andere ...
Bei der Frage von Mediengipfel-Moderator Ingo Zamperoni, welche Veränderung beibehalten würden, stand fix das Thema Work im Mittelpunkt. Für Sky-Chef Devesh Raj bewährte sich die Möglichkeit, den Arbeitsplatz flexibel wählen zu können, auch wenn "nichts“ die persönliche Interaktion ersetze. Für RTL ist das hybride Arbeiten genau zur richtigen Zeit gekommen, so Stephan Schäfer, CO-CEO RTL Deutschland und CEO Gruner + Jahr. Bei dem Konzern in seinem Transformationsprozess hin zum Multichannelunternehmen nebst Anbindung von G+J habe es das Remote-Arbeiten ermöglicht, die Aktivitäten trotz mehrerer verschiedener Standorte voranzubringen.
In seiner Keynote berichtete Vodafone-CEO Hannes Ametsreiter, dass der Infrastrukturkonzern noch einen Schritt weitergeht: Seit 1. Oktober gilt das "Full Flex Office" und damit für die Mitarbeiter:innen, 20 Tage pro Jahr von "irgendwo in Europa" aus zu arbeiten. Ametsreiter belegte eine weitere große Veränderung durch die Pandemie mit harten Zahlen: "Der Datentraffic stieg zu Beginn um 225 Prozent." Eine Herausforderung fürs Netzwerk, erinnert sich der Vodafone-CEO. Zu dieser Zeit habe die Content-Nutzung um 20 Prozent zugenommen. Überhaupt sei der Wandel groß:
#Pandemie-Learnings: „Wir haben Dinge gemacht, die wir uns vorher nie getraut hätten". Und: „Wir entwickeln uns von Informations- zu Daten-und Wissensgesellschaft", betont Hannes Ametsreiter @vodafone_de. #mtm21 pic.twitter.com/KvEE2jwVS8
— BLM (@BLM_Bayern) October 25, 2021
Inhalte toppen den Kanal
Apropos Content: Der Wandel hin von TV-Unternehmen zu Bewegtbildhäusern mit Streaming-Offerte, weg vom klassischen Radiosender hin zur Audio-Marke oder auch vom Printhaus hin zum Digital Publisher prägte weite Teile der diesjährigen Medientage München.
Die Gipfel-Runde von deutschen TV-Verantwortlichen etwa sah im Nebeneinander von Live-Ausstrahlung und Streaming-Angeboten kein Problem, zumal alle Teilnehmenden längst sowohl mit linearen als auch non-linearen Ausstrahlungswegen vertraut seien.
Im Rahmen des Audio-Gipfels wurde deutlich, dass sich Streaming-Platzhirsch Spotify in einer neuen Rolle sieht – als „Browser für Audio“, der den Radioanbietern mit all ihren neuen Angeboten wie Podcasts die Hand reicht
Spotify-Manager Michael Krause (Foto: MTM)
Ergänzend zum Medientage-Gipfel, zum Audio-Gipfel, zum TV-Gipfel sowie zum Europatag und zum Journalism Summit fand in diesem Jahr erstmals auch ein Nachhaltigkeitsgipfel statt. Dort appellierte der Club of Rome an Journalist:innen, sich vom Fokus auf schlechte Nachrichten zu verabschieden, entgegen höherer Reichweiten bislang gängige Narrative zu hinterfragen und das Verbindende in den Blick zu nehmen. Man müsse die Bürger:innen motivieren und geleiten, nicht abschrecken, um wirklich etwas im Klimaschutz zu erreichen.
Es gilt, Vielfalt zu sichern
Wie ein roter Faden zog sich durch die meisten Veranstaltungen die Erkenntnis, dass Meinungsmacht und wirtschaftliche Marktzutrittsbarrieren verhindert werden müssen, um in einer pluralen Gesellschaft einerseits Medien- und Meinungsfreiheit, Vielfalt und publizistische Qualität zu sichern und andererseits faire und transparente Artikulationschancen für alle zu ermöglichen. Dabei kam den Aspekten Nachhaltigkeit und Diversity eine wachsende Bedeutung zu.
Einig waren die Teilnehmer:innen der entsprechenden Sessions, dass Diversität in den deutschen Medien deutlich besser abgebildet werden müsse. Auch müsse sich das Mindset der Medienberichterstattung über die queere Society ändern. Und: Die Art der Berichterstattung oder auch der Gebrauch einer bestimmten Sprache erzeugen Bilder und prägen die Wahrnehmung stark.
„Ich glaube das Publikum ist oft viel weiter, als wir es manchmal glauben" sagt @GeorgineKellerm beim Panel #TransMedia - die Sichtbarkeit von Transgender und Queerness in den deutschen Medien#MTM21 pic.twitter.com/jwefL7h6SY
— MEDIENTAGE MÜNCHEN (@medientage_mtm) October 28, 2021
Pressefreiheit auf dem Prüfstand
Mit der Frage, wie es um die Pressefreiheit und den journalistischen Beruf bestellt ist, endeten die #MTM21 mit dem diesjährigen Journalism Summit. Auch hier wirkte Corona wie ein Brennglas: „Das Virus infiziert die Pressefreiheit“, betonte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Länder mit freier Presse hätten die Corona-Pandemie besser in den Griff bekommen. Er bedauerte, dass seit eineinhalb Jahren ziemlich viele Journalisten weltweit verhaftet worden seien, weil sie kritisch über die Corona-Politik ihrer Regierungen berichtet haben. Überhaupt: Die letzten Jahre würden zeigen, dass freier Journalismus in Europa nicht mehr gesichert sei.
Interessant: Der Fall des geschassten BILD-Chefredakteurs Julian Reichelt, der eine Woche vor Start der Medientage seines Amtes enthoben wurde, rahmte das Medienevent. Zum Auftakt sprach Bildblog-Chefredakteur Moritz Tschermak im Rahmen eines Booktalks über die toxische Athmosphäre im Team unter Reichelt, über die unglückliche Rolle des Springer-CEOs Mathias Döpfner und über den möglichen Weg, den die Zeitung mit den vier Buchstaben unter dem neuen Chef Johannes Boie einschlagen könnte.
Am Freitag äußerte sich dann Ippen-Digital-Chefredakteur Markus Knall dazu, dass Altverleger Dirk Ippen die umfangreichen Recherchen des Ippen-Investigativ-Teams zu Reichelts Verfehlungen im letzten Moment vor der Veröffentlichung ausbremste. Ein Schritt in alter Verleger-Denke, den Knall sehr bedauerte; sein Team hätte gerne umfangreich über Sexismus und Umgangsformen bei Springer-Blatt berichtet. Er entschuldigte sich bei den Informantinnen, deren Vertrauen gegenüber dem Ippen-Team enttäuscht worden sei.
Christian Mihr (l.), Markus Knall (zugeschaltet) und Moderator Richard Gutjahr (Foto: MTM)
So sah die hybride Konferenz aus
Erstmals haben die MEDIENTAGE MÜNCHEN in diesem Jahr unter dem Titel New Perspectives eine Konferenz angeboten, die zugleich vor Ort und online besucht werden konnte. Während die Veranstaltung 2020 wegen der Corona-Pandemie ausschließlich per Internet stattfand, war in diesem Jahr eine hybride Lösung möglich: Das Publikum konnte entweder vor Ort im Münchener Isarforum dabei sein oder auch sämtliche Veranstaltungen online per Live-Videostream verfolgen. So wurden innerhalb einer Woche insgesamt mehr als 9000 Besucher:innen erreicht.
Das Programm bestand aus mehr als 100 Einzelveranstaltungen mit etwa 400 Referent:innen und Diskussionsteilnehmer:innen aus Medienwirtschaft und -politik, aus Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft. Über zwei kontinuierliche Konferenz-Streams der #MTN21 hinaus wurden digitale Plattformen für Chats und Networking, für Masterclasses, Buch-Präsentationen, Specials und Networking geboten. Hinzu kamen – vor Ort und online zugänglich – der Expo-Bereich sowie Informationen aus dem Bereich „Extended Reality“ (XR).
Die 35. MEDIENTAGE MÜNCHEN wurden von der Medien.Bayern GmbH veranstaltet und von der Bayerischen Staatskanzlei und der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) gefördert.
Die Video-Aufzeichnungen vieler Sessions der 35. MEDIENTAGE MÜNCHEN sind noch vier Wochen on Demand verfügbar.
Außerdem stehen die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.
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