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Was machen Multikrisen mit unserer Werteskala?

28. November 2023

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Krieg, Inflation, Klimawandel: Die Menschen sehen sich einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber. Mit Auswirkungen auch für Medien und Marken: Wie verändern sich Konsumverhalten, Marketing und Mediaentscheidungen durch multiple Krisen? Behält Nachhaltigkeit in diesen preissensiblen Zeiten für Menschen und Unternehmen eine große Rolle? Darüber haben Expert:innen im Rahmen der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN diskutiert.

 

2023 ist ein schwieriges Jahr für den Werbemarkt und bei den Werbekunden steht das Thema Nachhaltigkeit aufgrund der Konsumstimmung und Wirtschaftslage nicht unbedingt ganz oben auf der Prioritätenliste. Darin waren sich Expert:innen einig, die im Rahmen der #MTM23 über drängende Fragen in Media und Marketing diskutierten.

„Nachhaltigkeit ist wichtig für alle Branchen, und das Thema ist relevant“, betonte Andrea Malgara, Managing Partner der Mediaplus Group. Allerdings gebe es unter dem aktuellen wirtschaftlichen Druck eine Diskrepanz zwischen dem „Wollen“ und dem „Tun“. Das gelte sowohl für Menschen als auch für Unternehmen. Insgesamt, so prognostizierte der Media-Experte, würden der Branche herausfordernde Zeiten bevorstehen.

 

MTM23_MalgaraAndrea Malgara (Foto: Medien.Bayern GmbH)

 

Tanja Seiter (Foto oben; Medien.Bayern GmbH) zeigte bei einer weiteren MEDIENTAGE-Session die aktuellen Trends aus Deutschlands größter Marktmediaforschung Best for Planning: Der Wunsch nach Nachhaltigkeit und Fair Trade ist demnach von 2019 bis 2021 bei den Menschen deutlich gewachsen, stagniert aber nun, erklärte die Director Media Research von Hubert Burda Media und Mitglied des Forscherkreises der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GiK). Auch der gezielte Einkauf von Bioprodukten nimmt wieder leicht ab. Bremst demnach die Inflation den Wunsch nach Nachhaltigkeit? „Die Angst um den Lebensstandard nimmt zu und damit steigt auch die Preisorientierung – die Schnäppchenjäger nehmen zu“, urteilte Seiter.

Mit Blick auf die Ergebnisse aus der Studie Best for Tracking Creative, die jeden Monat 33 Print- und sieben Online-Motive testet, warnte die Marktforscherin bei den #MTM23 werbungtreibende Unternehmen davor, dass sie sich rein auf die Preiskommunikation fokussieren. Der Analyse zufolge würden Haltungsanzeigen deutlich bessere Werte für das Informationsbedürfnis, die Kaufabsicht oder die Einstellung zum Produkt erzielen. Seiters Fazit lautete: „Purpose kann viel für mein Image tun, Haltung lohnt sich.“

Ines Imdahl machte mit einem Impulsvortrag im House of Communication deutlich, dass sich Menschen wie Unternehmen derzeit in einem Verharrungsmodus nach dem Motto „weiter wie bisher“, gepaart mit Unmut und Existenzängsten befinden würden. „Die Folge sind Vertrauensverlust und der aktuell zu beobachtende Rechtsruck“, erklärte die Diplom-Psychologin. Schließlich liefere eine rechtsextreme Partei der Öffentlichkeit im Moment das einzige Zukunftsbild.

Deshalb lautete Imdahls Empfehlung für Werbungtreibende: „Purpose ist wichtiger denn je. Politik und Religion haben ausgedient, Unternehmen sind die letzten Hoffnungsträger. Die Menschen erwarten Zuversicht als echte Vision, Ausblick, Weitblick, Zukunftsbilder und Narrative.“ Das Fazit der Geschäftsführerin des Marktforschungsunternehmens Rheingold Salon: „Nie war Werbung so wertvoll wie heute.“

 

Warum braucht Werbung Werte?

Während der zurückliegenden Multikrisen habe sich auch die Gesellschaft stark verändert, machte Martina Vollbehr bei den Diskussionen im Marketing-Track der MEDIENTAGE MÜNCHEN 2023 deutlich. Sie ist zuständig für den Bereich Insight & Strategy for Marketing Impact beim Markenkommunikation-Dienstleister Pilot. Vollbehr präsentierte bei den #MTM23 Ergebnisse aus der Studienreihe Pilot Radar zu Themen wie Konsumlaune, Haltung gegenüber Marken und Werbung und über den Einfluss der Kommunikation auf Abverkauf und Image.

Demnach sei die Gruppe der Bedrängten – also der finanziell nicht allzu gut gestellten Konsument:innen – in den vergangenen Jahren stark gewachsen und mache mittlerweile knapp die Hälfte der Gesellschaft aus, so Vollbehr. Außerdem hätten Marken an Strahlkraft verloren, berichtete die Pilot-Managerin: Heute seien nur noch 54 Prozent der Menschen der Ansicht, dass man sich auf Marken verlassen könne, im Jahr 2021 waren es noch 71 Prozent.

Für Werbungtreibende sei es deshalb wichtig, jetzt werblich präsent zu sein, denn ohne Werbung gewinne für Kaufentscheidungen der Preis immer mehr an Bedeutung. Erfolgreiche Werbebotschaften brauchten vor allem Produktsubstanz und Relevanz.

 

Das „Wie“ zählt beim Werben mehr denn je. Kristina Bonitz, Geschäftsführerin der Strategieberatung Diffferent, warnte davor, auf jeden Trend wie etwa dem „Purpose des Jahres“ aufzuspringen. „Menschen haben etwa 280 Werte, wobei die Nachhaltigkeit zu den weniger abstrakten zählt“, erklärte die Strategieberaterin bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN. Sie plädierte für eine Analyse, was sich für ein Unternehmen kommunizieren lasse, und riet dazu, bei Purpose-Themen eher tiefzustapeln, um bessere Ergebnisse zu erzielen.

Bonitz empfahl Werbungtreibenden, eine Haltung tief in der eigenen DNA zu verankern: „Haltung ist der Charakter eines Unternehmens und daher sollte es sich für diesen Transformationsprozess auch öffnen.“ Dieser Prozess müsse nicht unbedingt gleich zu deutlichem Wachstum von gewissen Werten führen. Wichtig sei es, glaubwürdig in eine bestimmte Richtung zu gehen und auch darüber zu reden, was geschehe. „Erst umsetzen, dann werben“, empfahl die Diffferent-Geschäftsführerin.

 

Nachhaltigkeit – ein Wettbewerbsvorteil!

Um Nachhaltigkeit und „Marketing als Haltungsfrage“ ging es im Impulsvortrag von Stephanie Helen Scheller vom Beratungsunternehmen OMG Momentum. Die für den Bereich Sustainable Solutions zuständige Managing Partnerin bei der innerhalb der Omnicom Media Group Germany auf nachhaltiges Marketing spezialisierten Agentur berichtete über den Status von Nachhaltigkeitsmaßnahmen in Unternehmen.

Zwar würden die Verbraucher:innen die Unternehmen in Bezug auf einen nachhaltigen Wandel in die Pflicht nehmen. In den meisten Fällen aber seien die Unternehmen noch nicht bereit, Maßnahmen zu ergreifen. Lediglich 26 Prozent hätten eine aktive, bestehende Nachhaltigkeitsstrategie und 32 Prozent seien dabei, eine solche zu entwickeln. Dabei, so erklärte Scheller, gehe es bei der Transformation für eine nachhaltige Zukunft darum, bewusst strategische Entscheidungen zu treffen, bei denen Environmental, Social and Corporate Governance (ESG) ein wesentlicher Bestandteil sei.

„Nachhaltigkeit ist ein Business, das wir gemeinsam vorantreiben, und zwar auf Mikro- und Makroebene“, erklärte Scheller. Es sei jetzt an der Zeit, damit anzufangen, schließlich sei Nachhaltigkeit zum einen ein Wettbewerbsvorteil und gleichzeitig ein Zeichen für Wirtschaftlichkeit. Zunehmend würden Werbungtreibende Wert auf nachhaltige Mediaplanung legen: So stuften im Jahr 2022 laut einer Umfrage des OMG-Tochterunternehmens Annalect 38 Prozent der Unternehmen Nachhaltigkeit als relevant für die Mediaentscheidungen ein, im Jahr 2021 lag dieser Wert bei 15 Prozent.

 

Und die andere Seite?

Entsprechende passende Programmumfelder für Werbung mit Haltung sind gefragt. Das wusste Lennart Harendza, Geschäftsführer des ProSiebenSat.1-.Vermarkters Seven.One Media, zu berichten. „Wir investieren in Nachrichten, Dokumentationen etc., also in nachhaltige Formate“, so der Sales-Manager. "Grüne“ Programmumfelder, wie sie beispielsweise das TV-Wissensmagazin „Galileo“ von ProSieben biete, würden von Werbekunden stark nachgefragt. Ganz anders sehe es bei CO2-Kompensationen aus – diese seien aktuell weniger beliebt.

Apropos ESG: Dazu zählt auch mehr Inklusion in der TV- und Werbebranche. Durchaus mit Eigennutz: „Werbung kann nur wirken, wenn sie verstanden wird“ – mit diesem Argument sprach sich Jan Kröger, Managing Director von PHD Germany, der Mediaagentur von VW, für mehr barrierearme Reklame bei den #MTM23 aus. Zwar werde das Thema wichtiger und man diskutiere zunehmend mit den Kunden darüber, allerdings stehe es nicht ganz oben auf der Prioritäten-Liste der Werbekunden.

Da das Thema alle Altersgruppen quer durch die Gesellschaft und alle Bevölkerungsschichten betreffe, sei es fatal, nicht über Barrierearmut und Barrierefreiheit zu sprechen, argumentierte Kröger. Bei der Umsetzung von Kampagnen gehe es darum, eine barrierearme Kreation – ob bei Geschwindigkeit oder Schnitten – von Anfang an mitzudenken. Um zu eruieren, wie barrierearme oder barrierefreie Programme oder Werbung gestaltet werden sollten, arbeitet die zu ProSiebenSat.1 gehörende Seven.One Entertainment Group eng mit Betroffenen zusammen und hat extra ein Team gebildet, das sich mit dem Thema beschäftigt. „Die Umstellung auf barrierefreies Programm geht nicht von heute auf morgen, aber wir arbeiten dran“, versicherte Steffen Johann Hubert, Senior Account Director der Seven.One Entertainment Group.

MTM23_InklusionJuliane Paperlein (l.) mit Cornelia Holsten (Foto: Medien.Bayern GmbH)

 

Dabei wünsche er sich auch mehr Hilfe von außen und freue sich in diesem Zusammenhang auf Unterstützung von Werbekunden – um Dinge wie Mehrkanal- oder Audio-Deskription flächendeckend finanzieren zu können. „Mehr Barrierefreiheit im Fernsehen ist also nicht nur ein wichtiges gesellschaftliches Ziel, sondern erschließt den Sendern auch neue Zuschauergruppen. Das Engagement für mehr Barrierefreiheit muss weiter vorangetrieben werden – nicht nur aus partizipativen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen“, lautete das Fazit von Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt (brema).

Die Landesmedienanstalten setzten sich seit nunmehr zehn Jahren dafür ein, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe an Medien zu ermöglichen, erklärte Holsten. Seit 2022 müssen dabei laut Medienänderungsstaatsvertrag bundesweit zugelassene private Fernsehprogrammanbieter alle drei Jahre über den Stand der Barrierefreiheit in ihren Programmen berichten und so genannte Aktionspläne für die Zukunft aufstellen. Diese gesetzlich verankerten Berichtspflichten gehen dabei weit über die bislang regelmäßig durchgeführten Monitorings zur Barrierefreiheit hinaus. Darüber hinaus wird ab dem Jahr 2025 die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit verpflichtend für Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden.

„Der Gesetzgeber hat erkannt, dass Barrierefreiheit ein entscheidender Baustein für gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe ist. Barrierefreiheit ist noch lange nicht selbstverständlich, sie kommt aber in immer mehr Köpfen und Herzen an“, sagte Holsten. Ähnlich lautete das Fazit bei den MTM-Diskussionen rund um Diversität in Medien und Werbung; für Kristina Bonitz von Diffferent war es dabei „unverständlich, dass viele Unternehmen noch immer keine Ahnung haben, was Frauen wünschen und welche Bedürfnisse sie haben“.

Der hohe Wert des Vertrauens

In einer Diskussion rund um den Podcast wurde im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN deutlich, dass das Trendmedium mit besonderen Werten bei den Hörer:innen punkten kann und damit auch als Werbeumfeld besondere Qualitäten aufweist.

Nina Wüst, die für das global agierende Podcast-Unternehmen Acast im deutschsprachigen Raum zuständig ist, unterstrich: „Kein Medium ist so nah am Menschen wie Podcasts.“ Es erreiche Menschen, die schon längst nicht mehr lineare Medienangebote nutzten. Podcast-Nutzer:innen hörten gezielt zu und vertrauten den Inhalten in hohem Maße. Wüst verglich Podcasts in ihrer Wirksamkeit mit Fachzeitschriften, die ebenfalls eher kleine Reichweiten erreichten, aber wenig Streuverluste hätten

Daniel Schmidt, der als Head der Mediaagentur Mediaplus Germany die Audiostrategie verantwortet, lobte das hohe kreative Potenzial von Podcasts. Ute Henzgen, General Director Sales bei Ad Alliance aus der RTL-Familie, wie darauf hin, dass Podcast-Hörer:innen ein sehr hohes Vertrauen in ihre Hosts hätten. Werbungtreibende sollten „dem Gespür der Hosts vertrauen“, damit diese beispielsweise so genannte Host Reads, von den Podcast-Macher:innen selbst eingesprochene Werbung, in ihrem persönlichen Stil gestalten könnten. Als Vermarkterin unter anderem von RTL Deutschland sei ihr jedoch auch das Thema Brand Safety wichtig. Dass Podcasts inhaltlich ein hohes qualitatives Niveau halten müssten, formulierte Henzgen als „Schlüsselaufgabe“ für die Zukunft.

Die Qualität des Umfelds wird immer wichtiger …

 


Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.

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Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.

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