
Constanze Gilles gehört zu den Menschen, die seit vielen Jahren die Medien- und Unterhaltungsbranche prägen und aktiv an Future Video mitwirken. Im Rahmen des gleichnamigen MTM Specials wird die Zattoo-Managerin den Gedanken ins Spiel bringen, was Fernsehen von Social Media lernen sollte. Erste Hinweise, wo die Reise im Live-TV im Sinne des Publikums hingehen sollte, gibt Constanze Gilles im Interview mit dem Blog der MEDIENTAGE MÜNCHEN.
Ist das Live-Fernsehen in seiner breiten Ansprache über viele Zielgruppen hinweg noch zeitgemäß?
Absolut! Live-Fernsehen spielt im Alltag vieler Menschen nach wie vor eine wichtige Rolle, nicht nur bei großen Sportereignissen, Nachrichten oder Unterhaltungsshows. Diese Formate bringen Millionen von Menschen gleichzeitig vor den Bildschirm und schaffen ein gemeinschaftliches Erlebnis, das On-Demand-Angebote so nicht bieten können.
Aktuelle Zahlen belegen das: Laut AGF Videoforschung lag die tägliche TV-Nutzung 2024 bei 176 Minuten pro Tag. Das ist natürlich weniger als in der Vergangenheit, insbesondere bei jüngeren Menschen, deren Hauptnutzung an audiovisuellen Inhalten mit durchschnittlich zwei Stunden täglich auf Social Media stattfindet.
Schauen wir uns die Altersverteilung in Deutschland an, sehen wir aber, dass es noch eine signifikante Mehrheit in der Zielgruppe gibt, die klassisches TV zu schätzen weiß.
Die Herausforderung der TV-Branche liegt darin, das Medium weiterzuentwickeln.
Constanze Gilles
Interaktive Elemente, Second-Screen-Erlebnisse und individuell zugeschnittene Programmtipps könnten dabei helfen, Live-Fernsehen für eine digital geprägte Generation attraktiver und für die noch nicht so digitalen Personen zugänglicher zu machen.
Wenn Sie digitale Plattformen als Inspirationsquelle nennen: Was könnten sich TV-Sender zum Vorbild nehmen?
Digitale Plattformen haben das Mediennutzungsverhalten verändert. Menschen erwarten schnell erreichbare, personalisierte Inhalte und möchten sich aktiv beteiligen. TV-Sender können durch interaktive Elemente, Community-Engagement und gezielte Empfehlungen die Bindung des Publikums stärken.
Es geht heutzutage darum, Formate zeitlich und räumlich flexibel und über verschiedene Kanäle erlebbar zu machen.
Constanze Gilles
Wer eine Sendung verpasst, kann Highlights im Angebot oder auf Social Media nachholen oder über eine App weiter eingebunden bleiben. So bleibt Fernsehen dynamisch und relevant.
Wenn sich TV-Anbieter mehr an Social Media orientieren: Sehen sich die Sender dann nicht bald ähnlichen Kritikpunkten ausgesetzt?
Sobald TV-Sender auf Algorithmen und Personalisierung setzen, stehen sie vor ähnlichen Herausforderungen wie große Plattformen, etwa beim Umgang mit persönlichen Daten und der Transparenz von Empfehlungssystemen.
Der entscheidende Unterschied liegt in der Herangehensweise. Während Social-Media-Plattformen nur auf maximale Verweildauer optimieren, können TV-Anbieter mit journalistischer Qualität und einer kuratierten Vielfalt punkten.
Das Ziel ist es, den Nutzenden für sie relevante Inhalte zu bieten. Essenziell ist aber auch, dass die Zuschauer:innen immer die Wahl haben: Wer personalisierte Empfehlungen nutzen möchte, sollte dies tun können. Wer ein standardisiertes Programm bevorzugt, ebenso.
Wie groß wäre der Aufwand für diesen Schwenk hin zu mehr Interaktivität, Personalisierung und Nutzerengagement im Fernsehen?
Viele technische Grundlagen sind bereits vorhanden. Mediatheken ermöglichen zeitversetztes Fernsehen, erste interaktive Funktionen wie Live-Abstimmungen werden erprobt.
Die Herausforderung liegt darin, diese Funktionen stärker ins klassische
TV-Erlebnis zu integrieren.Constanze Gilles
Dafür braucht es nicht nur technologische Anpassungen, sondern auch ein Umdenken in der Programmgestaltung. Live-Formate könnten durch Social-Media-Interaktion aufgewertet werden, indem Zuschauer:innen aktiv mitbestimmen. Der Aufwand ist hoch, aber die langfristige Bindung des Publikums wächst durch mehr Interaktivität und Personalisierung.
Was bedeutet Ihr Vorschlag für die Menschen, die in TV und Produktion arbeiten?
TV-Redaktionen müssen Inhalte plattformübergreifend denken. Neben klassischen Sendungen gewinnen kürzere, "snackable" Formate für Social Media an Bedeutung. Datenbasierte Entscheidungen rücken stärker in den Fokus, um Inhalte gezielt für verschiedene Zielgruppen zu optimieren.
Das verändert die Arbeit, eröffnet aber auch neue kreative Möglichkeiten.
Lassen Sie uns bitte an Ihrer Fantasie teilhaben: Wie sieht das Live-TV-Format aus, das Menschen auch in Zukunft anspricht?
Wie schon seit Menschengedenken werden es die guten Geschichten sein, die Leute auch in der Zukunft in ihren Bann ziehen. Wenn sich Ihre Frage auf Technologien bezieht, glaube ich persönlich, dass es die immersiven AR/VR Erlebnisse sein werden, die zukünftig in der Unterhaltung eine große Rolle spielen werden. Das dauert meines Erachtens aber noch eine Weile.
Heute sehen wir erste Schritte in Richtung Interaktivität: Einige Sender experimentieren bereits mit interaktiven Elementen, bei denen Zuschauer über Apps oder Social Media abstimmen oder den Verlauf von Sendungen mitgestalten können. Besonders in Quizshows, Reality-Formaten oder Live-Events wird das zunehmend erprobt.
Second Screens werden heute schon von vielen Zuschauenden genutzt.
Constanze Gilles
Während eine Talkshow im Fernsehen läuft, könnte eine begleitende Diskussion in einer App stattfinden, in der Expert:innen Fragen aus der Community beantworten oder zusätzliche Inhalte verfügbar sind. Auch spielerische Elemente wie Live-Challenges oder Belohnungssysteme für Publikumsinteraktionen würden das Fernseherlebnis erweitern. Doch das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Bei all der (Inter-)Aktivität, die in solchen Prognosen bedient wird, sollten wir aber eines nicht vergessen: Manchmal ist es auch einfach schön, sich nur zurückzulehnen und mitreißen zu lassen. Das galt jahrtausendelang fürs Zuhören von Geschichten am Feuer und heute noch beim guten "alten" TV.
Zur Person:
Constanze Gilles ist seit 20 Jahren in der Medien- und Unterhaltungsbranche aktiv. In dieser Zeit war sie vor allem in den Bereichen Geschäftsentwicklung, Strategie und Partnerschaften tätig und hat bereits mit einer Vielzahl nationaler und internationaler Partner und Marken zusammengearbeitet.
Bis 2019 arbeitete Constanze bei Sky Deutschland und wechselte dann zum Streamingdienst Joyn. Im Juni 2022 übernahm Constanze die Rolle des General Manager Direct-to-Consumer (DTC) beim TV-Streaming-Anbieter Zattoo. In ihrer Position ist sie für die Entwicklung des Endkundengeschäfts von Zattoo in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich.
#BigScreenVideo!
Alles wächst auf dem großen Bildschirm zusammen: Fernsehen und Streaming sind schon da, Social TV und Gaming ziehen nach, Zukunftsmodelle richten sich danach aus. Der Big Screen wird zur zentralen und vernetzten Anlaufstelle für Publikum, Publisher und Promotion. Mit Folgen für Menschen, Medien und Marken, für Media- und Business-Modelle, für die Infrastruktur, Produzenten oder auch die Technologiehersteller.
Darüber wollen wir beim #MTM SPECIAL FUTURE VIDEO 2025 sprechen!
Die Konferenz findet am 1. April 2025 im House of Communication in München statt und widmet sich der Zukunft von Video: Auch die Auswirkungen des Social Video Booms auf Publikum und Sender stehen auf dem Programm von #FuVi25. Constanze Gilles zählt zu den Expert:innen des Events!
Mehr Lesenswertes rund um die Themen der MEDIENTAGE MÜNCHEN steht im Blog der Medientage bereit. Inspirierendes kann auch gehört werden: im Podcast der MEDIENTAGE MÜNCHEN.
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