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Wie sich Medien gemeinsam von Big Tech lösen

17. Dezember 2025

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Von vier Prozent Facebook-Traffic zu eigenen Plattformen: Europäische Medien brechen mit Big Tech. ARD und ZDF bauen ein gemeinsames Open-Source-Streaming-OS, französische Verlage gründen kooperative Abo-Bündel und die EU plant unter anderem eine pan-europäische News-Plattform. Europas "stille Tech-Revolution" gegen Algorithmen-Abhängigkeit läuft – ein zahnloser Tiger oder eine echte Alternative?

 

In Frankreich passiert gerade etwas Bemerkenswertes. Das unabhängige und investigative Medium Basta hat seinen Facebook-Traffic von 38 Prozent im Jahr 2017 auf magere vier Prozent in 2024 fallen sehen. Statt zu verzweifeln, hat das Team aus Montreuil die Konsequenzen gezogen: Zusammen mit anderen unabhängigen Medien haben sie im Oktober zwei neue Plattformen gestartet – das werbefreie Portail des médias indépendants und La Presse libre, ein Abo-Bündel von acht Publikationen für knapp 20 Euro im Monat. Im ersten Monat: 2500 Abonnent:innen.

Das Signal ist klar: Es geht um Kooperation statt Reichweite, um Kontrolle statt Abhängigkeit, um direkte Beziehungen zum Publikum, Vertrauen und Unabhängigkeit der Berichterstattung.

Und das ist kein französisches Einzelphänomen. Unabhängige europäische Medien führen eine "stille Tech-Revolte" an. Sie bauen an einer echten Alternative zur Big-Tech-Dominanz, um ihre Unabhängigkeit von großen Plattformen wie Meta und Google zurückzugewinnen. Durch algorithmische Änderungen und zuletzt vor allem durch KI Search sind die Reichweiten der Websites der Medienanbieter Nachrichten in die Knie gegangen.

Nukleus für EU-Plattform? Das gemeinsame Streaming-OS

ARD und ZDF entwickeln derzeit ein gemeinsames "Streaming-OS" – eine geteilte technische Plattform für ihre Mediatheken: gemeinsamer Player, Login-System, Empfehlungsalgorithmen, Design-Basis. Das Besondere: Kernkomponenten werden als Open Source veröffentlicht, damit auch andere Medienhäuser, Bildungsanbieter oder Institutionen die Software nutzen können. Es handelt sich um eine der größten Open-Source-Initiativen Deutschlands. Sie wird bewusst als gesellschaftliche Rückgabe öffentlich finanzierter Entwicklung gedacht.

Gesteuert wird das Ganze über ein gemeinsames "OS-Office". Für Betrieb und Cloud-Infrastruktur ist eine kommerzielle Tochterfirma geplant. Das Ziel: sich gegen Apple, Google, Netflix behaupten – mit eigener Technologie statt eingekaufter Plattformlogik. Und mit der Option, zusammen mit weiteren (öffentlich-rechtlichen) Anbietern letztlich eine europäische Streaming-Plattform zu gestalten, wie wissenschaftliche Arbeiten als Vision ausgaben.

Bei diversen Events im Lauf des Jahres haben Projektverantwortliche von ARD und ZDF den deutsch-französischen Sender Arte mit seiner Mediathek als Sprungbrett in eine europaweite Plattform in Spiel gebracht.

YEP News: Europas gemeinsamer Newsfeed

Parallel dazu hat die European Broadcasting Union (EBU) Anfang 2025 YEP News gestartet – ein mehrsprachiges Nachrichtenportal, das Inhalte aus öffentlich-rechtlichen Sendern in fünf großen europäischen Sprachen kuratiert. Es basiert auf KI-gestützter Übersetzung plus menschlicher Redaktion. Geboten werden soll ein vertrauenswürdiger News-Feed jenseits der Social-Media-Timeline.

Das Europaparlament hat bereits eine Studie zur European News Streaming Platform in Auftrag gegeben – einer Plattform, die Nachrichten der europäischen Public-Service-Medien bündelt, automatisch verschriftlicht und in alle EU-Sprachen übersetzt. Technisch machbar, weil auf bestehende Inhalte und Infrastruktur aufgebaut werden kann.

 

Projekte für die digitale Unabhängigkeit Europas

Das Thema der medialen digitalen Souveränität und der Aufbau eigener, gemeinsamer digitaler Infrastrukturen in Europa gewinnt stark an Bedeutung. Obwohl sie nicht direkt von Medienhäusern stammen, stärken diverse Vorhaben auf EU- und Länder-Ebene den strategischen Rahmen:

  • Digital Commons EDIC (European Digital Infrastructure Consortium):
    Frankreich, Deutschland, die Niederlande und Italien haben ein Konsortium für "Digitale Gemeingüter“ ins Leben gerufen. Es gilt, die technologischen Souveränität und eine gemeinsame digitale Zukunft Europas zu fördern, die auf Offenheit und Vertrauen basiert.
  • GAIA-X:
    Obwohl diese Projekt branchenübergreifend angelegt ist, zielt GAIA-X darauf ab, eine europäische Alternative zu Plattformanbietern zu schaffen, die nicht europäische Werte teilen. Ein direkter Widerhall des eingangs geschilderten Anliegens unabhängiger Medien. Es geht darum, ein offenes und transparentes digitales Ökosystem zu schaffen, in dem Daten vertrauensvoll geteilt und genutzt werden können.
  • EuroStack Initiative:
    "Die ‚EuroStack‘-Initiative, die von einer parteiübergreifenden Koalition im Europäischen Parlament unterstützt wird und aus einer Veranstaltung des Parlaments im September 2024 hervorging, bringt führende Unternehmen, Wissenschaftler:innen, politische Entscheidungsträger:innen und die Zivilgesellschaft zusammen.“ Das Ziel heißt auch hier: Mit einem umfassenden europäischen Technologie-Stack (Sovereign European Technology Stack) soll die Abhängigkeit von US-amerikanischen oder chinesischen Technologien verringert und die digitale Souveränität gestärkt werden.
  • EU-Förderung für den Nachrichtenmediensektor:
    Die Europäische Kommission unterstützt Projekte im Rahmen von Creative Europe, Digital Europe und Horizon Europe, um Medienpluralismus, Medienkooperationen und die Entwicklung innovativer digitaler Tools zu fördern. Dies wiederum bildet die finanzielle Grundlage für viele der dezentralen Initiativen.
  • Initiativen im deutschsprachigen Raum wie Reinvent Social Platforms:
    Oft beginnt es im Kleinen. In Deutschland arbeiten Initiativen daran, sich kritisch mit der Abhängigkeit von sozialen Plattformen auseinanderzusetzen und nach Wegen zu suchen, um Distribution und Interaktion zurückzugewinnen. Das Ziel ist oft, Prototypen zu entwickeln, um alternative, nicht-kommerzielle und den öffentlich-rechtlichen Werten entsprechende Kommunikationswege zu schaffen. Dazu zählt unter anderem das von der Medien.Bayern-Initiative Media Lab Bayern und dem SWR X Lab unterstützte Projekt Reinvent Social Platforms.

Die strategische Dimension

Was alle diese Initiativen verbindet: Sie wollen Distribution, Logins, Empfehlungssysteme nicht mehr Big Tech überlassen. Über 100 Organisationen fordern inzwischen von der EU-Kommission, Journalismus explizit als demokratische Infrastruktur zu finanzieren – ähnlich wie Straßen oder Breitband.

Die Logik ist bestechend: Wenn öffentliche Gelder sowieso fließen, warum dann nicht in gemeinsame, offene Infrastrukturen investieren statt in proprietäre Plattform-Deals? Wenn ARD und ZDF schon ein Streaming-OS bauen, warum nicht so, dass französische, skandinavische oder polnische Medien andocken können?

Sie alle sind vereint in dem Wunsch, eine unabhängige, europäische Distributionskette für Inhalte zu schaffen, um nicht von den Algorithmen globaler App Stores und Betriebssystemanbieter abhängig zu sein.

Was noch fehlt …

Damit aus Experimenten an diversen Stellen eine europaweite und vielleicht sogar koordinierte Bewegung wird, braucht es noch mehr "Interoperabilität“, also die Fähigkeit unterschiedlicher Systeme, möglichst nahtlos zusammenzuarbeiten. Ein europaweit nutzbares Login-System – eine Art "EU-ID für Mediendienste" –, wäre ein echter Gegenentwurf zu "Login with Google". Und Micropayment-Systeme, die nicht nur acht Medien bündeln, sondern 80 oder 800. Ein Art "Spotify des Journalismus", wie es Medienwissenschaftler:innen den Anbietern seit einigen Jahren mitgeben möchten.

Die nächsten zwei bis drei Jahre werden zeigen, ob Europa hier tatsächlich eine Alternative zur dominanten amerikanischen Plattform-Ökonomie etabliert. Nicht durch Abschottung, sondern durch bessere Infrastruktur, bessere Geschäftsmodelle und demokratische Kontrolle.

Basta kompensiert die sinkende Reichweite übrigens mit 25.000 Newsletter-Abonnent:innen und zehn bis 15 Prozent Spendenwachstum pro Jahr seit einem Jahrzehnt. Die Botschaft: Es geht auch anders.

 


Auch wenn die MTM als Konferenz bis zum 21. Oktober 2026 pausieren: Wir bleiben präsent! Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 39. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen im Info-Bereich der MEDIENTAGE-Homepage und auch im MTM-Blog  bereit. Bilder für den Download (Quelle: Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN) sind in der Mediathek zu finden.

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