DAS Radio gibt es nicht mehr im Jahr 100 des Hörfunks in Deutschland. Digitalisierung bringt Diversifizierung mit sich, die Gattung Audio ist riesig geworden und bildet immer wieder neue Facetten und Nischen aus. Eine große Bandbreite an Entwicklungen ist bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN im Rahmen des Audio-Tracks thematisiert worden. Hier die wichtigsten Entwicklungen, Prognosen und Hoffnungen im Überblick.
Die Hörfunkempfangswege verändern sich, vor allem aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung. Sie hat Einfluss darauf, wie uns Audio-Inhalte erreichen. Mit Folgen für die Art des Konsums: „Mehr als jede:r Zweite hört Radio über das Internet“, erklärte Andreas Hombach, Director Insights Division beim Marktforschungsunternehmen Kantar, der die diesjährige Ausgabe der „Audio Trends“ der Medienanstalten vorstellte. Ein Viertel der Hörfunknutzung entfallt auf das Smartphone.
Und auch der zentrale Ausspielweg DAB+ wächst weiter; inzwischen jeder hört jeder dritte Deutsche Radioprogramme über ein DAB+ Gerät. Die Präferenz fürs analoge UKW-Radio ist ihm zufolge zwar weiterhin sehr hoch, jedoch seit fünf Jahren leicht rückläufig.
Nicht nur die Verbreitungswege werden vielfältiger, auch die Formate und Funktionalitäten ändern sich. Das liegt außer an der Digitalisierung auch am zunehmenden Einsatz von KI. Sie kann Audioberichte verfassen, sie vertonen, Sprache imitieren, Inhalte personalisieren und ganze Programmstrecken erstellen.
Aus Sicht von Dr. Nina Gerhardt (Foto oben; Medien.Bayern GmbH), Geschäftsführerin von RTL Radio Deutschland, biete die KI bereits jetzt an vielen Stellen Hilfestellung, von der Produktion bis zur Vermarktung. Auch wenn die Anwendungen der künstlichen Intelligenz den Menschen am und hinterm Mikro nicht ersetzen könnten, machte die Audio-Managerin beim Audio-Gipfel der #MTM23 im House of Communication deutlich. Dem pflichtete Johanna Haberer bei. Beim Hörfunk gehe es nicht nur um Stimmen, sondern auch um Stimmungen. „Menschen wollen Menschen hören“, zeigte sich die emeritierte Professorin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen sicher.
Was macht KI mit der Audio-Branche?
Getreu dem Motto der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN – Intelligence – drehten sich viele Impulse und Diskussion darum, wie mit KI in der Audio-Branche umgegangen werden und wie das rasch wachsende Angebot an Tools sinnvoll eingesetzt werden kann.
Tenor: Künstliche Intelligenz kann zwar Menschen dabei unterstützen, abstrakt und vernünftig zu denken, Probleme zu erkennen und zu lösen. Sie kann - basierend auf bestimmten Denkmodellen und großen Datensätzen - menschenähnlich intelligente Lösungen entwickeln.
Doch die Grenzen dieser maschinellen Intelligenz sind dann erreicht, wenn es um Intuition und Empathie geht, um spontane Kreativität, moralische Urteile oder schlicht um Menschlichkeit. Darüber, dass die KI-Zukunft klug und transparent reguliert werden müsse, herrschte nicht nur im Audio-Track der #MTM23 Konsens.
Einig waren sich die Expert:innen auch in ihrer Empfehlung an Medienschaffende, sich mit KI auseinanderzusetzen. Denn die Wirkmacht der Technologie wurde als enorm eingestuft.
Warum Radio gerade jetzt starke Marken braucht
Auch nach hundert Jahren ist der Hörfunk sehr lebendig und erfolgreich. In der digitalen Transformation lauern allerdings große Herausforderungen für die meist lokalen oder regionalen Radioprogramme. Vor allem die „Abrisskante“ bei der Umstellung auf digitale Audio-Angebote bereitete bei einer Diskussion im Rahmen der Konferenz manchen Branchenvertreter:innen Sorgen. „Die Vielfalt der Verbreitungswege macht das System aus“, hob Nina Gerhardt als RTL-Managerin und Vertreterin fürs private Radio im Verband VAUNET hervor. UKW nach wie vor die Basis, die nicht vernachlässigt werden dürfe. Ein möglicher Verzicht auf Hör:innen, der beim Umstieg auf DAB+ oder andere digitale Verbreitungswege drohe, sei für RTL eine „Katastrophe“.
Für Thomas Jung, Programmchef der SWR3 PopUnit beim SWR, stellte sich hier die Frage nach der Programmqualität: „Entscheidend ist es, die Love Brands in einer diversifizierten Welt zu erhalten“, stellte der Programmmanager fest und fügte hinzu: „Radio beschreitet schon längst mit Leidenschaft den digitalen Weg.“ Dabei müssten jedoch die Produkte permanent auf den Prüfstand. „Von Tageszusammenfassungen am Nachmittag muss man sich verabschieden“, meinte Jung mit Blick auf das umfassende Nachrichtenangebot, das den Menschen heutzutage rund um die Uhr zu Verfügung stehe. Angesichts zahlreicher Konflikte und Krisen und einer Gesellschaft im Umbruch denkt der Programmchef über mehr konstruktiven Journalismus im Hörfunk nach. Und: „Zerstreuung und Unterhaltung sind Riesenthemen.“
Dr. Nina Gerhardt, Thomas Jung, Daniela Arnu und Dr. Thorsten Schmiege tauschten sich über die Zukunft des Radioempfangs aus (Foto: Medien.Bayern GmbH).
„Starke Marken müssen sich nicht so viel Gedanken über einen Technologiewechsel machen“, pflichtete Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), bei. Er bescheinigte dem „Wohlfühlmedium“ eine „große Zukunft“, wobei er den Druck, der vor allem bei der Vermarktung auf das Medium ausgeübt werde, durchaus im Blick habe. Wichtig sei es, den richtigen Zeitpunkt für die gesamte Branche zum Umstieg auf DAB+ zu finden und auch die Öffentlich-Rechtlichen ins Boot zu nehmen.
Wie das Auto der wichtige Raum fürs Radio bleiben kann
Hat die Drivetime der Radiobranche eine Zukunft? Chancen fürs Medium Radio sahen Expert:innen auch in der Fortentwicklung des Automobils hin zur „mobilen Unterhaltungsbühne“ – trotz der starken Konkurrenz durch Streaming und den Empfang übers Smartphone. Gereon Joachim, als Vice President zuständig für den Bereich Automotive Sales & Strategy bei Xperi, leitete eine Panel-Diskussion der MEDIENTAGE MÜNCHEN mit einem Impulsvortrag ein.
Er empfahl: Fahrzeuge müssten den Nutzer:innen in Zukunft ganzheitliche Erfahrungen bieten, wobei verschiedene Medieninhalte kombiniert werden sollten. Dabei liege der Schwerpunkt auf einer nutzerorientierten Erfahrung. „Früher brauchte das Auto Radio, heute braucht das Radio das Auto“, urteilte Joachim.
Caroline Grazé, Geschäftsführerin von Radioplayer Deutschland, nannte es eine Herausforderung, Hörfunksender in einem immer diverser werdenden Medienangebot im Auto auffindbar zu machen. Mit fortschreitender Technologie „lerne“ das Auto die Vorlieben von Nutzer:innen immer besser kennen und passe sich diesen an, was die Suche nach den bevorzugten Radiosendern erleichtere. Ihr Tipp: Lösungen könnten also Empfehlungssysteme und personalisierte Profile sein, die ihre Hörer:innen während einer gesamten Reise begleiten.
Welche Audio-Nischen für Podcast-Pläne?
Ein weiterer Schwerpunkt im Audio-Track der #MTM23 lag auf dem Podcast. Potenzial für Radioschaffende sah Franziska Paskuda-Plangger: Angebote für Kinder könnten aus ihrer Sicht im weiter wachsenden Angebot an Podcasts durchaus erfolgreich sein. Auch die Älteren könnten vomn den Hörangeboten überzeugt werden, zeigte sich die Head of Podcast des öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogramms Bayern 3 sicher. Spannend seien zudem aktuelle Podcasts für Gehörlose mit Gebärdensprache. Paskuda-Plangger: „Mit den Podcasts erreichen wir als Öffentlich-Rechtliche die Jungen, die dann im Idealfall auch das Radio einschalten. Das ist eine Riesenchance für uns“, so die BR-Managerin.
Indes beobachtet Konstantin Seidenstücker, Co-Founder & Managing Director bei Studio Bummens, im Vorfeld der Fußball-EM 2024 eine wachsende Zahl an Sport-Podcasts. Auch existiere ein Markt für narrative Formate. Allerdings sei die Vermarktung solcher Podcasts schwierig. Mit Koproduktionen könnten diese aufwändigen und teuren Produktionen jedoch finanziert werden.
In der Diskussion berichtete auch Luisa Abraham von ihren Erfahrungen auf dem Werbemarkt. Kampagnen richteten sich oftmals an Frauen als Haushaltsführende. Gefragt seien dabei unterhaltende Umfelder, die „easy going“ seien. Aber: „Gegenüber True Crime gibt es Vorbehalte“, schränkte die Managing Director von Zebralution Podcast ein. Andererseits seien einige Produzenten Idealisten, die bestimmte Werbekunden ausschließen und somit auf Erlöse verzichten würden. „Die wilden Anarchos sind das Herz der Branche“, stellte Abraham fest.
Wie läuft es fürs Werbemedium Podcast?
Wie Werbekunden die richtigen Angebote für ihre Kampagnen finden können und warum sie dabei nicht einfach für Hörfunk entworfene Spots in Podcasts spielen sollten, diskutierten weitere Expert:innen der Podcast- und Mediabranche während der MEDIENTAGE MÜNCHEN. Daniel Schmidt, der als Head der Mediaagentur Mediaplus Germany die Audiostrategie verantwortet, schätzt das hohe kreative Potenzial von Podcasts. Podcasts seien „Werbung direkt auf das Ohr“ und böten ein viel emotionaleres Umfeld als klassisches Radio. Doch viele Werbetreibende hätten noch kein Gefühl für das neue Medium und versuchten, Metriken aus dem Audiomarkt wie den Tausenderkontaktpreis (TKP) eins zu eins auf Podcasts zu übertragen. Hier sei noch viel Aufklärungsarbeit nötig.
Kreativität nannte Sven Rühlicke als maßgeblichen Erfolgsfaktor für Podcasts. Der Geschäftsführer und Co-Founder des Audioproduzenten Wake Word arbeitet daran, Podcasts zu professionalisieren und auch weniger bekannte Podcasts an ein größeres Publikum bringen. Er betonte die konstruktive Zusammenarbeit von Podcast-Macher:innen, Agenturen und Werbetreibenden. „Das Medium kann von jedem bespielt werden.“ Werbungtreibende sollten nicht allein auf die Skalierbarkeit bzw. die Reichweiten von Podcasts achten, sondern in der Wahl der Werbeformate und der Platzierung auf die Eigenheiten der Angebote eingehen.
Ute Henzgen, Sven Rühlicke, Nina Wüst und Daniel Schmidt debattierten mit Lena Herrmann über das Werbemedium Podcast (Foto: Medien.Bayern GmbH).
Dass „kleine“ Podcasts mit authentischen Inhalten und klaren Erzählstrukturen Werbung durchaus zielgerichteter transportieren könnten als große Flaggschiffe des Marktes wie „Fest & Flauschig“ oder „Gemischtes Hack“, bestätigte auch Ute Henzgen, General Director Sales bei Ad Alliance. Die Podcast-Hörer:innen hätten ein sehr hohes Vertrauen in ihre Hosts. Werbungtreibende sollten „dem Gespür der Hosts vertrauen“, damit diese beispielsweise sogenannte Host Reads, von den Podcaster:innen selbst eingesprochene Spots, in ihrem persönlichen Stil gestalten könnten. Als Vermarkterin unter anderem von RTL Deutschland sei ihr jedoch auch das Thema Brand Safety wichtig. Dass Podcasts inhaltlich ein hohes qualitatives Niveau halten müssten, formulierte sie als Schlüsselaufgabe für die Zukunft.
Nina Wüst, die bei dem global agierenden Podcast-Unternehmen Acast für den Markt in Deutschland, Österreich und der Schweiz zuständig ist, unterstrich: „Kein Medium ist so nah am Menschen wie Podcasts.“ Es erreiche Menschen, die schon längst nicht mehr lineare Medienangebote nutzten. Podcast-Nutzer:innen hörten gezielt zu und vertrauten den Inhalten in hohem Maße.
Nina Wüst verglich Podcasts in ihrer Wirksamkeit mit Fachzeitschriften, die ebenfalls eher kleine Reichweiten erreichten, aber wenig Streuverluste hätten. Natürlich wollten viele Kunden Kampagnen bei großen und bekannten Podcasts platzieren. Wüst betonte deshalb, wie wichtig eine umfangreiche Beratung sei, die Werbekunden mit den passenden Formaten zusammenbringe: Host Reads zu Beginn oder am Ende eines Podcasts, von professionellen Sprechern eingesprochene Werbung oder auch geeignete Audiospots. Das hänge davon ab, was Werbungtreibende mit ihren Kampagnen erreichen wollten. Die Acast-Expertin nannte eine verbesserte Skalierbarkeit, besseres Targeting und eine offene Zusammenarbeit aller Akteur:innen im Markt als Schlüsselfaktoren für die weitere Entwicklung des Mediums Podcast.
KI-Einsatz für die Podcast-Branche
Natürlich kam auch die Podcast-Branche bei den Debatten der #MTM23 am prägenden Thema KI nicht vorbei. Für Konstantin Seidenstücker von Studio Bummens macht der Einsatz im Hintergrund vieles effizienter: zum Beispiel durch automatische Transkripte oder die Audio-Nachbearbeitung
. Eine eigene Unit für KI hat die Deutsche Presse-Agentur (dpa) bereits vor einem Jahr aufgebaut und nutzt die Technik kostensenkend zum Beispiel bei der Cover-Gestaltung oder für Übersetzungen. David Krause, Head Of Podcast, berichtete von 95 Prozent der dpa-Kunden, die sich eine Videospur beim Podcasts wünschen würden. „Wir denken Video bei jedem Format mit“, versicherte Krause.
Beispiele für einen unterstützenden KI-Einsatz nannte Yves Brunschwiler, Head of Sales Central Europe des Audiostreamers Spotify: „KI kuratiert bei Spotify neue Playlisten für die Hörer und erweitert dadurch deren Musikgefühl“, sagte er. Der Münchner Podcast-Vermarkter Seven.One Audio hingegen nutze KI, um den Markt zu „screenen“, erklärte Senior Vice President Alexander Krawczyk das Konzept: „Welche Podcasts gibt es draußen, welche Trends sind erkennbar?“ In dieser Funktion sei KI eine Unterstützung fürs Marketing.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können passenderweise auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.
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