
Radikalisierung, Rechtsruck unter Jugendlichen und Einsamkeit: Neue Social-Media-Plattformen wie TikTok für alle möglichen gesellschaftlichen Verwerfungen verantwortlich zu machen hält der Blogger und Politikberater Martin Fuchs für falsch. Bei der BLM-Fachtagung "Medienkompetent und meinungsstark“ hat er über die Herausforderungen demokratischer Meinungsbildung für junge Menschen gesprochen.
TikTok ist schuld, oder nicht? Diese Frage haben Sie an den Anfang Ihres Vortrags über die demokratische Teilhabe junger Menschen in Zeiten von TikTok & KI gestellt. Woran genau soll denn TikTok schuld sein?
Wenn eine neue Social-Media-Plattform oder Technologie aufkommt, werden gesellschaftliche Verwerfungen schnell auf die Technologie geschoben. Damit macht man es sich aber zu einfach. Denn meist liegen die Gründe für diese Verwerfungen ganz woanders, zum Beispiel in einer schlecht gestalteten Politik.
Wenn man die Debatten der letzten Wochen und Monate verfolgt, soll TikTok nicht nur an der Einsamkeit von Jugendlichen schuld sein, sondern auch an der Radikalisierung und am Rechtsruck unter Jugendlichen. Aber generell findet Politik im Gesamtkosmos TikTok gar nicht so stark statt wie angenommen.
Sie haben bei der Fachtagung aktuelle Studien, unter anderem von der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Progressiven Zentrum der Bertelsmann Stiftung vorgestellt, die politische Videos auf TikTok im Bundestagswahlkampf 2025 analysiert haben. Zu welchen Ergebnissen kommen diese Analysen?
Die Studien widerlegen das weit verbreitete Narrativ, dass die AfD diejenige Partei sei, die am erfolgreichsten auf TikTok agiere. Die AfD agiert gar nicht so professionell. Die AfD hat nur einen großen Vorsprung vor anderen Parteien, die diese Plattform nicht schon seit vier Jahren bespielen, sondern erst später darauf präsent waren.
Die gute Nachricht: Parteien wie die SPD, die erst spät dabei waren, agieren, was Reichweiten und Interaktion angeht, genauso erfolgreich – und zwar mit prodemokratischen Inhalten und positiven Botschaften. Auch diese Inhalte können funktionieren, und nicht nur das negative Campaigning. Das bedeutet:
Digitale Räume, die von Extremisten besetzt sind, lassen sich zurückerobern.
Martin Fuchs
Also können TikTok, Instagram und Co mit Blick auf di politische Teilhabe junger Menschen durchaus demokratiefördernd eingesetzt werden?
Genau. Allerdings muss man bedenken: Generell sind diese Plattformen nicht gebaut worden, um die Demokratie zu fördern, sondern um zu unterhalten, damit privatwirtschaftlich Firmen Gewinne damit machen können. Auch wenn sich TikTok sicher schwer damit tut, sich als politische Plattform zu definieren: Sie kann genutzt werden, um politische Informationen und prodemokratische Narrative in die Breite zu tragen.
Ob TikTok allerdings dazu geeignet ist, um einen politischen Diskurs zu führen, da bin ich sehr, sehr verhalten. Man erreicht darüber aber junge Leute, die über andere Plattformen nicht zu erreichen sind.
Was sind denn im Social-Media-Zeitalter die Herausforderungen für Parteien und Rezipienten, um demokratische Meinungsbildung zu fördern?
Für die Parteien ist es die mit Abstand größte Herausforderung, dass wir in einer mittlerweile so ausdifferenzierten Gesellschaft leben, in der gar nicht alle Stellen bedient werden können, an denen sich Menschen informieren. Es ist also sehr schwierig, einen gemeinsamen Wissensstand als Grundlage eines gemeinsamen Diskurses zu erzeugen. Im Gegenteil: Die Communities haben verschiedene Weltbilder und Wissensstände. Diese wieder für eine gesamtgesellschaftliche Debatte zusammenzuführen, ist die größte Herausforderung für Parteien.
Und bei den Rezipient:innen erschwert die Flut an Informationen deren Verarbeitung. Deshalb ziehen sich nicht nur junge Generationen, sondern auch ältere zurück und meiden den belastenden Nachrichtenkonsum. Außerdem ist die Bewertung, wie seriös und belastbar eine Quelle ist, nicht mehr so einfach. Dafür braucht es genügend Medienkompetenz.
BLM-Präsident Dr. Thorsten Schmiege eröffnet die Fachtagung (Foto: BLM, Jan Scheutzow)
Inwiefern stimmen Sie dann der These zu, dass Medienkompetenz auch Demokratiekompetenz bedeutet?
Nur eine informierte Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die auch demokratische Entscheidungen treffen kann. Insofern ist diese These richtig. Wenn ich selbst nicht mehr entscheiden kann, ob Informationen belastbar und valide sind, dann hat Demokratie ein Problem.
Wir können ja bereits beobachten, dass das Vertrauen in Medien seit Jahren abnimmt. Unter anderem auch, weil es viele andere Quellen gibt, die klassische Medien angreifen.
Ich denke, dass nicht alle Menschen damit klar kommen, dass klassische Medien nicht mehr der zentrale Gatekeeper sind.
Martin Fuchs
Deshalb ist die Vermittlung von Medienkompetenz so entscheidend, und zwar nicht nur für junge Menschen. Wir sollten auch auf die heute 40- bis 65-Jährigen schauen, die noch in einer anderen Zeit groß geworden sind, aber glauben, alles zu wissen. Auch hier müssten politische Bildung und Medienkompetenz viel stärker ansetzen.
Zur Person:
Martin Fuchs (Foto oben: Jan Scheutzow) berät Regierungen, Parlamente, Parteien und Verwaltungen in digitaler Kommunikation. Er ist Dozent für politische Kommunikation an verschiedenen Hochschulen. Als Hamburger Wahlbeobachter bloggt Fuchs über Digitalisierung in der Politik und ist Kolumnist des Magazins "politik & kommunikation".
In den Medien wird er oft als Experte zum Thema Social Media und Politik zitiert. Unter anderem ist Martin Fuchs ehrenamtlich als Fellow der Initiativen Brand New Bundestag und JoinPolitics aktiv. Aktuell ist sein neues Buch "Digitale Wahlkämpfe" erschienen, das er als Herausgeber verantwortet. Zuletzt war er als Mitautor an den Büchern "Demokratieverstärker" und "Parlamentarische Demokratie heute und morgen" beteiligt.
Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu fachspezifischen Themen im Blog der MEDIENTAGE MÜNCHEN. Die MEDIENTAGE MÜNCHEN sind eine Initiative der Medien.Bayern GmbH – einer Tochtergesellschaft der BLM.
Sehen wir uns dieses Jahr beim Klassentreffen des lokalen und regionalen Rundfunks? Am 25. und 26. Juni finden die LOKALRUNDFUNKTAGE 2025 im NCC Mitte NürnbergMesse statt. Dabei gilt: Lokalrundfunk ist längst nicht mehr "nur" Radio und Fernsehen. Online und Social Media spielen eine tragende Rolle, um lokale Inhalte zu verbreiten. Best Cases und Impulse dazu liefert das abwechslungsreiche Konferenzprogramm.
Mehr Lesenswertes rund um die MEDIENTAGE MÜNCHEN findet Ihr im Blog. Inspirierendes kann auch gehört werden: Mehr als 150 Folgen mit Host Lukas Schöne stehen inzwischen im MEDIENTAGE-Podcast "This is Media NOW" für Euch zum Abruf bereit – mit vielen spannenden Themen und Gesprächspartner:innen!
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