Twitch boomt. Doch die etablierten Medienhäuser in Deutschland tun sich aktuell noch schwer mit einem Engagement auf der Livestreaming-Plattform aus der Amazon-Familie. Dabei ist es genau das Spielfeld, auf dem sich vor allem junge Zielgruppen tummeln. Und das bei hohen Nutzungsdauern.
Twitch hat sich zu einem interessanten Kanal mit großer Community entwickelt. Gaming bespielt immer noch einen beträchtlichen inhaltlichen Bereich, doch inzwischen haben auch viele andere Genres ihren Platz auf der Plattform für Livestreams erobert. Themenbereiche wie Kochen, Sport, Musik, Lifestyle und sogar Landwirtschaft finden viele Fans.
Laut Online-Video-Monitor 2023 der BLM gibt es alleine in Deutschland vier Millionen monatlich Nutzende. Die durchschnittliche Streaming-Zeit pro Twitch-Fan liegt in Deutschland monatlich bei 97 Stunden. Wie der BLM-Monitor zeigt, hat Twitch eine außergewöhnlich junge Nutzerschaft: 21 Prozent sind zwischen 13 und 17 und rund die Hälfte ist zwischen 18 und 34 Jahren alt.
Die öffentlich-rechtlichen Sender machen erste Schritte
Eine Zielgruppe also, die mit klassischen Medienangeboten wie dem linearen TV kaum mehr zu erreichen ist. „Eine Präsenz kann sich dort durchaus lohnen, um die Angebote der Sender bekannter zu machen und neue Zielgruppen zu erschließen“, sagt Till Krause, Professor für Medien und Kommunikation an der Hochschule Landshut (Foto: Priscilla Grubo). Doch betrachte man die Präsenz etablierter TV-Sender aus Deutschland, falle auf, dass dort teils noch Nachholbedarf bestehe. „Viele Sender nutzen Twitch aktuell noch nicht oder nur sehr unregelmäßig“, stellt Krause fest.
Ein Haus, das hier bereits erste Schritte gemacht hat, ist die ARD. Sie hat dort eigene Formate, streamt laut Krause aber „nur relativ wenig Inhalte, auch die Zahl der Follower ist mit 23.000 noch eher gering“. Zu den regelmäßig gestreamten Formaten zählt der „MixTalk“, der als interaktives Dialogformat Anfang des Jahres an den Start ging. Der wöchentliche Live-Stream ist eine Art Podiumsdiskussion, bei der die Community mitdiskutieren kann, zu Themen wie Deutsche Bahn, Wohnungsmarkt und Pornokonsum.
Auf die doppelte Follower-Zahler, nämlich 60.000, bringt es der Schwestersender Arte. Die Fans sind dabei, wenn der Sender Live-Dokus oder Festivals bei Twitch streamt. Darüber hinaus hat Arte im Frühjahr zwei neue Formate an den Start gebracht: „Wissenschaftler reagieren“ ist eine Art Sci-Fi-Faktencheck für alle, die sich schon immer gefragt haben, wie realistisch oder absurd das Geschehen in diesen Filmen ist. Expert:innen analysieren die Inhalte auf ihren wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt hin und diskutieren mit der Community. Host ist Youtuber Cedric Engels alias Doktor Whatson.
In „ChatWithA DJ“ lässt Arte die Mischpulte glühen. Künstlerinnen aus der Welt der elektronischen Musikszene, als auch aus dem Rap und Hiphop laden in das gleichnamige LED-Studio in Berlin ein, um je ein 60-minütiges DJ-Set zu spielen. Moderiert wird das Format von DJ, Produzentin und Podcasterin Josi Miller.
Die reine Spiegelung von TV-Inhalten reicht nicht aus
Sehr zurückhaltend agieren Privatsender wie RTLZwei oder Sport1. Man schaue sich die Entwicklung zwar fortlaufend an, jedoch müssten „Aufwand und potenzieller Nutzen in einem erfolgversprechenden Verhältnis stehen“, heißt es auf Anfrage bei RTLZwei. Ähnlich verhalten agiert auch der Münchner Sportsender. „Voraussetzung für ein intensiveres Engagement wäre, dass wir programmlich überzeugende Konzepte und entsprechende Formatumsetzungen regelmäßig und nachhaltig platzieren können“, sagt Sprecher Michael Röhrig.
Eine reine Spiegelung von TV-Inhalten sei aus Sendersicht nicht ausreichend, vielmehr solle der Content plattformspezifisch maßgeschneidert für die Twitch-Zielgruppe sein. Und natürlich geht es auch hier um die Kosten-Nutzen-Analyse. „Die grundsätzlich entscheidende Frage ist in diesem Kontext, wie Medienmarken aus ihrem Twitch-Engagement einen funktionierenden Business Case machen können“, so der Sprecher weiter.
ProSiebenSat.1 hat für Twitch eine ganz eigene Strategie gefunden: Zwar bespielt die hauseigene VoD-Plattform Joyn auf Twitch keine eigenen Kanäle, nutzt aber die großen Reichweiten der Internet-Stars. So arbeitet Joyn mit zahlreichen Live-Streaming-Größen wie Trymacs oder Pappaplatte zusammen und platziert dabei Live-Events vor allem bei sehr jungen Zuschauer:innen. „Anfang Februar zeigt Joyn die ‚Motor Games - presented by Pappaplatte‘“, so Sprecher Christoph Körfer auf Anfrage.
Das Werbevolumen auf Twitch wächst stetig
Perspektivisch werden sich die Medienhäuser mit dem Thema vermutlich stärker beschäftigen (müssen), denn mit den steigenden Nutzerzahlen wachsen auch die Gelder, die auf der Plattform umgesetzt werden. “Natürlich kann Twitch als Plattform auch wirtschaftlich interessant sein – vor allem für private Sender“, sagt Krause.
Laut Schätzungen der Statista Market Insights wurden mit Sponsorings, Werbeplatzierungen, Kanal-Abonnements und -spenden 2022 rund neun Milliarden Euro weltweit umgesetzt. In Deutschland betrug der Umsatz im Games-Live-Streaming-Segment im Jahr 2022 geschätzte 360 Millionen Euro, bis 2027 wird eine Verdopplung dieser Summe prognostiziert, wie das Fachmagazin Werben & Verkaufen weiß .
Die Streamenden auf Twitch erzielten demnach 2022 unter dem Strich über eine Milliarde Dollar. Die reinen Werbeeinnahmen in Großbritannien, Deutschland, Spanien, Italien und Frankreich stiegen Vergleich zum letzten Jahr um fast 20 Prozent.
Twitch bietet verschiedene Möglichkeiten, dort mit Inhalten Geld zu verdienen – darunter Werbeeinnahmen, Abonnements, Spenden von Zuschauern, Produktplatzierungen und Affiliate-Verkäufe. „Allerdings gerät direkte Werbung dort schnell an ihre Grenzen – die Seh- und Nutzungsgewohnheiten dort sind weniger auf klassische Spots ausgerichtet und mehr auf kreativere Werbeformen“, gibt der Medienwissenschaftler zu bedenken.
Fazit
Für Medienhäuser ist es nicht ganz trivial, den Kanal für sich zu nutzen. „Es ist eine Herausforderung, die Twitch-Community zu verstehen und anzusprechen, da sie sich von traditionellen Medienpublika unterscheiden kann“, sagt Medienwissenschaftler Krause. Dazu kommen Themen wie die Moderation von Live-Kommentaren sowie die mögliche Rechtsverletzung durch Benutzerinhalte.
„Es ist ratsam, sich erstmal genau zu überlegen, was eine Präsenz dort bringen soll“, so der Professor. Eine unüberlegte Präsenz könne schnell unwirksam sein.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.
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