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Die dunkle Seite von Social Media

3. Dezember 2020

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Die Corona-Pandemie hat allgemein den Medienkonsum beflügelt und im Besonderen die Social-Media-Nutzung. Die Aktivitäten der Deutschen bei Facebook und Co nahmen laut Bitkom bei der Mehrheit deutlich zu. Ebenso die Nutzung von Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Telegram. Allerdings verschärfte sich auch in besonderem Maße der Ton im Netz – Stichwort „Hatespeech“ – und das Problem, dass sich Menschen in geschlossenen Nutzergruppen radikalisieren. Ein Einblick in die dunklen Echokammern gaben die MEDIENTAGE MÜNCHEN digital.

 

Social Media macht Social Distancing erträglicher, hat aber auch eine dunkle Seite: Extremist*innen agieren immer öfter abseits von Facebook, Twitter, Instagram und Co und setzen stattdessen auf Messenger Apps oder geschlossene Social–Gruppen und –Kanäle. Wenn Hassreden hauptsächlich von privaten Gruppen innerhalb digitaler Netzwerke im so genannten Dark Social verbreitet werden, ist die Strafverfolgung sehr schwierig.

Dark Social, auf Deutsch etwa „geheimes soziales [Netzwerk]“, bezeichnet die Internetkommunikation, die über persönliche E-Mails, geschlossene Gruppen in sozialen Online-Netzwerken oder Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram entsteht. Ein Wissenschaftler, eine Journalistin und ein Journalist, die sich intensiv mit dem Phänomen Hatespeech im Internet beschäftigt haben, stellten im Rahmen der #MTM20 diese und weitere Erkenntnisse ihrer Projekte vor.

  • Soziologe Jens Struck, von 2017 bis 2020 Mitglied im Forschungsverbund Radikalisierung im digitalen Zeitalter (RadigZ), stellte fest: „Online geäußerte Gewaltaufrufe, die auf Ungleichwertigkeitsvorstellungen basieren, nahmen innerhalb des Forschungszeitraumes enorm zu.“ Individuelle und gesellschaftliche Risikofaktoren, beispielsweise die mangelnde Integration von Menschen oder die soziale Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft könnten dazu führen, dass sich Menschen radikalisieren. Anonymität, Depersonalisierung und die Möglichkeit der unmittelbaren Reaktion in Social Networks begünstige die Radikalisierung von Nutzern.
    Im Rahmen seiner Forschungsarbeit identifizierte Struck drei Typen extremistischer Gewaltaufrufe: Propaganda im Sinne von zielgerichteten Versuchen, politische Meinungen oder öffentliche Sichtweisen zu formen und Erkenntnisse zu manipulieren, auf Affekthandlungen abzielende Aufrufe und Aufrufe zur Gewalt.
  • Die Datenjournalistin Martina Schories von der Süddeutschen Zeitung lieferte Einblicke aus ihrer Recherche zum kostenlosen Instant-Messaging-Dienst Telegram: „Auf Telegram können Gruppen mit einer Größe von bis zu 200.000 Personen Textnachrichten, Sprachnachrichten, Fotos, Videos und Dokumente austauschen.“ Zum Vergleich: Bei WhatsApp liegt die Kapazitätsgrenze bei 256 Personen, Verschwörungsgruppen und rechtsradikale Gruppen ließen sich identifizieren.
    Telegram sei „ein Raum, in dem kaum Inhalte gelöscht werden, keine Widerrede und keine Kritik geduldet wird“, erklärte Schories. Jeder, der den Messaging-Dienst nutze, könne jede vorhandene Community aufrufen und Daten einstellen. „Verschwörungspromis“ wie zum Beispiel die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman generierten viel Aufmerksamkeit und dienten vor allem kleineren Gruppen als „Spreader von Verschwörungstheorien“, urteilte die Journalistin.
  • Über „private Facebook-Gruppen“ konnte Robert Schöffel, Journalist bei BR Data,  Datenjournalismus-Einheit des Bayerischen Rundfunks, berichten. Den Datensatz für die Facebook-Recherche hatte Schöffel mit Hilfe von Web Scraping erstellt, einer Technologie zur Gewinnung von Informationen durch gezieltes Extrahieren der benötigten Daten auf Webseiten.
    „In den privaten Facebook-Gruppen ist das Ausmaß an rechtspopulistischen und rassistischen Beleidigungen sowie Gewaltandrohungen beeindruckend“, berichtete Schöffel. Die Inhalte seien mutmaßlich strafbar, aber „da die Löschung nur auf Hinweis erfolgen könne“, seien die privaten Gruppen auf Facebook „perfekte Echokammern“, deren Inhalte meistens nicht gemeldet würden.
    Schöffel warnte: „Es gibt kein Korrektiv, und die Nutzung privater Gruppen bei Facebook geht nach oben.“
 
Bayern geht hart gegen Hassrede im Netz vor

Konkret zur Bekämpfung von Hatespeech im Netz meldete sich die Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“ des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN zu Wort. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich und BLM-Präsident Siegfried Schneider machten deutlich: Hass und Hetze im Internet gehen uns alle an. Er sei sofort zur Unterstützung bereit gewesen, als die BLM im vergangenen Jahr mit dem Wunsch nach einer Initiative gegen Hass im Internet an ihn herantrat, betonte Minister Eisenreich.

Die im Oktober 2019 gestartete Initiative wurde um ein Jahr verlängert und ermöglicht Mitarbeiter*innen bayerischer Medienhäuser, einfach und sicher Prüfbitten, ob strafbare Online-Inhalte vorliegen, an den Hatespeech-Beauftragten der Bayerischen Justiz zu senden. Seit Jahresbeginn wirkt er bei der Generalstaatsanwaltschaft München. Zügig hätten mehr als 110 bayerische Medienhäuser Interesse an der Initiative gezeigt. Rund 80 davon beteiligten sich aktiv, bilanzierte Siegfried Schneider. In mehr als zehn angezeigten Fällen ist demnach inzwischen Anklage erhoben worden, von denen zwei zu Verurteilungen geführt hätten.

In ganz Bayern seien inzwischen 22 Sonderdezernate zur Bekämpfung von strafbarem Hass und Hetze im Internet eingerichtet worden, erklärte Eisenreich. Journalist*innen dürften nicht allein gelassen werden, wenn sie im Internet beleidigt oder bedroht würden. „Löschen von strafbaren Hasskommentaren allein reicht nicht“, sagte Georg Eisenreich und unterstützte die geplante gesetzliche Verankerung der Anzeigepflicht sozialer Netzwerke von strafbaren Kommentaren, etwa im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Zugleich müssten Plattformen wie Facebook sich ihrer Verantwortung stellen und Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaften ohne Wenn und Aber beantworten.

BLM-Präsident Schneider unterstrich die Bedeutung präventiver Maßnahmen: „Junge Menschen müssen sich wehren können und den Mut finden, den Eltern und den Lehrkräften von Bloßstellungen im Netz zu berichten.“ Man werde auch über eine Möglichkeit nachdenken, wie auch einzelne Bürger*innen einfach online Prüfbitten einreichen könnten. Doch schon jetzt könne sich jeder, der von Hass-Postings bedroht werde oder diese im Internet entdecke, an Polizei und Staatsanwaltschaften wenden. Klar müsse sein: Die Justiz kann nur ermitteln, wenn strafbare Inhalte auch zur Anzeige gebracht werden.


Sie können die MEDIENTAGE MÜNCHEN digital auch im neuen Podcast nachhören. Außerdem stehen Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial auf der Medientage-Homepage in der Mediathek und auf https://medientage.de/pressemitteilungen/

Sie interessieren sich für Themen rund um die Medienbranche? Dann finden Sie hier im Blog der Medientage München noch mehr Lesenswertes.

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