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So steht es um die Vielfalt in Medien und Medienhäusern

24. November 2021

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„Diverse Themen sollten aus diversen Teams heraus entstehen“: Eine Haltung, die das Produktionshaus Endemol Shine Germany aus der weltweit tätigen Banijay-Gruppe prägt und Geschäftsführer Fabian Tobias sehr ernst nimmt. Doch wie ist es allgemein in der Medienbranche um die Vielfalt von Inhalten und Anbietenden bestellt? Eine Frage, über die in diversen Diversity-Sessions der MEDIENTAGE MÜNCHEN diskutiert wurde.

 

Es gibt viele Aspekte von einseitiger Berichterstattung und Bewegtbild-Produktion. Gerade eben rüttelt eine neue Studie über geschlechtsspezifische Gewalt im Fernsehen auf, die von der MaLisa Stiftung und der UFA gefördert wurde. 

Demnach spiegelt das TV-Programm hierzulande eine frauenfeindliche Realität wider. So werde geschlechtsspezifische Gewalt zwar in rund einem Drittel der Sendungen - sei es Fiktion, Information oder Unterhaltung – thematisiert, heißt. Doch die Betroffenen selbst kommen laut Studie dabei fast nicht (8 Prozent) zu Wort. Und: Auch in Kinder- und Familienfilmen wird Gewalt gegen Frauen dargestellt. Grundlage der Analyse ist eine repräsentative Stichprobe des Programms von acht Sendern zwischen 18 und 22 Uhr.

„Die Studienergebnisse machen deutlich, dass ein bewussterer Umgang mit der Thematik und der Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt und ihrer Auswirkungen geboten ist“, heißt es dazu von der MaLisa Stiftung. Mitinitiatorin und Schauspielerin Maria Furtwängler zeigt sich in einer Pressemeldung besorgt über die Ergebnisse: „Medien prägen unsere Wahrnehmung der Realität. Wir als Medienschaffende haben dadurch eine besondere Verantwortung, gerade bei einem gesellschaftlich so dringlichen Thema wie Gewalt gegen Frauen.“

 

Diversity fängt beim Recruiting an

Doch klar ist auch: Hinter einseitigen Inhalten stecken oft wenig vielfältige Anbieter. Große Medienhäuser wie BBC, Deutsche Welle oder Discovery präsentierten im Rahmen einer Diskussion über Diversität bei den Medientagen München Konzepte, mit denen sie sowohl intern als auch in ihren medialen Angeboten für Vielfalt sorgen. Miranda Holt etwa, External Partners Lead bei der BBC, schilderte das 50:50-Gleichstellungsprojekt der öffentlichen Rundfunkanstalt in Großbritannien.

2017 als Initiative in der Nachrichtenredaktion gestartet, um den Anteil der Frauen bei BBC News zu erhöhen, erhält die Sendeanstalt inzwischen durch tägliches Erfassen ein exaktes Bild, wer zu den veröffentlichten Inhalten was beiträgt. Man zähle nunmehr 120 Partner und habe den Ehrgeiz, die 50:50-Initiative weltweit zu etablieren. „Sie betrifft jeden, der Content macht“, sagte Holt.

Chiponda Chimbelu (Foto oben, neben Susanne Aigner) bildet zusammen mit vier weiteren Kolleg:innen die erweiterte Chefredaktion der Deutschen Welle. Alle haben einen unterschiedlichen kulturellen Background. Chimbelu selbst ist in Sambia aufgewachsen und hat in den USA und Großbritannien studiert. Mit dem diversen Führungsgremium werde versucht, Themenauswahl, Gespräche und Diskussionen so vielfältig wie möglich anzugehen, was für die Deutsche Welle, die ihr Programm weltweit in 32 Sprachen ausstrahlt, maßgeblich sei, berichtete der Deutsche-Welle-Macher bei den #MTM21.

Susanne Aigner, Geschäftsführerin von Discovery für Deutschland, Österreich, die Schweiz und die BeneluxStaaten, stellte ihre Initiative „Mosaic“ vor, mit der das global agierende Medienunternehmen intern die Vielfalt fördere. Diese Initiative ziele nicht nur darauf ab, den Frauenanteil im Unternehmen zu erhöhen. Auch in der Außendarstellung, also auf der Website oder in der Werbung, wolle man für das Thema sensibilisieren, so die Managerin. Das sei schließlich im Wettbewerb um Nachwuchskräfte wichtig.

Es nütze wenig, wenn die Vielfalt im Unternehmen ein wichtiges Thema sei, dies aber außen nicht ankomme, betonte Susanne Aigner. „Wir müssen deshalb auch unser Employer Branding überdenken“, räumte sie ein.

 

Vielfalt erzeugt mehr Themen, mehr Reichweite, mehr Umsatz

Dr. Emilia Roig, Gründerin des Centers for Intersectional Justice (CIJ) e. V. und Jonas Karpa, Redakteur für Sozialhelden e.V., gingen bei einer Diskussion im Rahmen der Medientagen 2021 noch weiter: Sie forderten gesetzliche Regelungen für mehr Vielfalt in den Redaktionen und in den Führungsetagen von Medienhäusern. Sie definierten die Begriffe „Diversität“ oder „Vielfalt“ dabei sehr umfassend: Dazu gehören zum Beispiel Alter, ethnische Herkunft und Nationalität, Geschlecht oder Geschlechtsidentität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierung und Identität sowie soziale Herkunft.

Roig und Karpa waren sich einig, dass die Qualität von redaktioneller Arbeit neu definiert werden müsse, nämlich über das Narrativ: „Vielfalt in Redaktionen erhöht die Qualität der redaktionellen Arbeit.“

Jonas Karpa leitet bei Sozialhelden e.V. das Portal Leidmedien.de, das Tipps für Journalist:innen gibt, die über Menschen mit Behinderung „auf Augenhöhe“ berichten und dadurch „klischeehafte Sprache“ vermeiden wollen. „Menschen mit Behinderung wollen keine Sonderrolle, sondern als Persönlichkeiten anerkannt werden, die nicht als Gruppe unter sich bleiben möchte“, erklärte er. Um die Inklusion in deutschen Unternehmen voranzutreiben, setze er auf die Einführung einer verbindlichen „Diversity-Quote“. Diese Quote beziehe sich auf Personen mit unterschiedlichen Diversity-Merkmalen, die 30 Prozent des Personals ausmachen sollten.

MTM21-Diversity-nichterzähltBoussa Thiam mit Jonas Karpa und Dr. Emilia Roig (Zugeschaltet; Foto: MTM)

Emilia Roig engagiert sich mit ihrer Organisation CIJ für Lobbyarbeit und politikorientierte Forschung, um die Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik inklusiver zu gestalten. Sie beklagte im Rahmen der #MTM21, dass die Zusammensetzung des Personals in den Führungsetagen von Medienhäusern „zu homogen“ sei. Das Bewusstsein für „Intersektionalität“ sei dort noch nicht angekommen.

Gemeint ist das Wissen über die Art und Weise, wie sich Ungleichheitssysteme auf der Grundlage von Geschlecht, Rasse, Ethnizität, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Behinderung, Klasse und anderen Formen der Diskriminierung „überschneiden“, um einzigartige Dynamiken und Wirkungen zu erzeugen. Es fehlten beispielsweise Gesetze, um Barrierefreiheit zu regeln, so Roig.

Dass Vielfalt in Unternehmen eine Win-Win-Situation darstellen würde, stellten beide Diskussionsteilnehmer:innen heraus. In Bezug auf journalistisches Arbeiten stehe Vielfalt in Redaktionen für „mehr Themen, mehr Reichweite, mehr Umsatz“, sagte Karpa.

 

Wie steht es um Transgender und Queerness in Medien?

Konkrete Beispiele für „blinde Flecken im Mosaik“ lieferte bei der Konferenz ein Diskurs über die Sichtbarkeit von homo-, bi-, trans- oder intersexuellen Menschen in deutschen Medien. Auch wenn sich seit den 1980er-Jahren schrittweise etwas getan habe, sie sich selbst selbstbewusster in den Diskurs über Gender-Gerechtigkeit und sexuelle Diskriminierung einmischen und Redaktionen zunehmend diverser besetzt sind. Insgesamt spiegelt die Repräsentation von Transgender und Queerness in deutschen Medienangeboten – anders als teilweise auf internationalen Plattformen – noch nicht die gesellschaftliche Realität wider.

Darüber, wie sensibel Gesellschaft und Redaktionen in Deutschland mit dem Thema umgehen, sprach Boussa Thiam, Moderatorin beim WDR, für den interkulturellen Sender Cosmo_ARD und Deutschlandfunk Kultur, während der Medientage mit Georgina Kellermann, Leiterin des WDR-Landesstudios Essen. Im beruflichen Leben agierte Kellermann vor ihrem Coming-out lange in der Rolle als Mann und berichtete als ARD-Auslandskorrespondent Georg Kellermann unter anderem aus Washington und Paris.

„Unsere Gesellschaft ist ein Mosaik, das umso schöner wird, je bunter es ist. Und jede:r von uns ist eines von diesen Mosaiksteinchen“, betonte Georgina Kellermann. Obwohl sie sich im Internet, also außerhalb ihres persönlichen Umfelds und ihrer Arbeit, auch mit Diskriminierung und aggressiven Reaktionen auseinandersetzen muss, zog sie im Gespräch insgesamt eine positive Bilanz.

MTM21-Diversity-kellermannBoussa Thiam und Georgina Kellermann (Foto: MTM)

Bevor sich Kellermann vor zwei Jahren öffentlich zu ihrer Identität als Frau bekannte, erfuhr sie in ihrem persönlichen Umfeld, dem sie sich früh anvertraut hatte, sehr viel Unterstützung, ebenso in ihrer Redaktion. Nach ihrem Coming-out habe sie sehr viele positive Kommentare von Zuschauer:innen erhalten, teilweise konnte ihr Vorbild Menschen ermutigen, sich ebenfalls zu outen. Kritisch äußerte sie sich darüber, dass heute zwar Redaktionen in den deutschen Medien zunehmend diverser besetzt werden, die Führungsebenen jedoch kaum.

Was die Darstellung in deutschen Medienangeboten betrifft, bestätigte die Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität „Sichtbarkeit und Vielfalt“ vom Institut für Medienforschung der Universität Rostock 2021 unter anderem, dass die sexuelle Orientierung von Menschen nicht so vielfältig sichtbar war wie in der Bevölkerung verteilt.

Georgina Kellermann wünschte sich, dass künftig auch ein Trans*Mensch einen Kommentar in den ARD Tagesthemen sprechen wird, und zwar nicht über ein Trans*Thema, sondern etwa über den Klimawandel oder die Steuerpolitik: 

 

Diversität in den Medien darf keinen Alibicharakter haben.

Georgina Kellermann, WDR

 

 

Wie sich werbliche "Zielgruppen" wandeln ...

Fakt ist: Medien und werbungtreibende Industrie setzen sich mit der Vielfalt der Zielgruppen auseinander, die die immens gestiegene Zahl an Medienkanälen zunehmend kleinteiliger bedienen. Zumindest bei der Aussteuerung von Inhalten oder der Werbung nach Zielgruppen scheinen demographische Kenngrößen wie „14 bis 49 Jahre“ oder „alle ab 3“ an Relevanz zu verlieren. Bei einer Panel-Diskussion suchten Expert:innen während der 35. Medientage nach Antworten.

Ein Beispiel: Mit der Generation Alpha hat das WDR Innovation Hub einen neuen Zielgruppenansatz der Zukunft entwickelt. „Bei der Generation Alpha handelt es sich um die Menschen, die zwischen 2010 und 2025 zur Welt kommen und damit die erste Generation sind, die komplett im 21. Jahrhundert aufwächst,“ erklärte Vanessa Beule, Innovation Managerin beim WDR Innovation Hub „Um deren Verhalten im Erwachsenenalter zu prognostizieren, haben wir Persona-Entwicklung und Trendforschung kombiniert. Wir wollten ein Gespür dafür bekommen, wie die Zielgruppe von morgen aussieht: Sie ist sozial, divers, digital, visuell und auditiv. Wir erkennen aber auch klassische Werte, die wiederkommen, wie etwa der Sinn für Familie“, erklärte Beule.

Mit den aus dem Kombi-Ansatz entwickelten Persona-Figuren Alice, Baram oder Leonie kann man nun schon einmal in die Zielgruppenzukunft reisen. Nachzuvollziehen ist das online unter http://zukunft.wdr.de. Der WDR-Ansatz bündelt Teilpublika nicht aufgrund von soziodemographischen Daten, sondern anhand von Mindsets, also unterschiedlichen Denkweisen oder Lebensstilen.

MTM21-Diversity-krabbenhöftVanessa Beule, Svenja Teichmann, Tobias Schiwek und Günther Krabbenhöft (Foto: MTM)

Auch Tobias Schiwek, CEO des Medienunternehmens We are Era, das seinen Schwerpunkt im Bereich Produktion und Vermarktung von Webvideos und Influencern hat, ist auf der Suche nach den Zielgruppen. Das Haus arbeitet für Marken, Medien und Unternehmen und beschäftigt in den Teams auch Data Scientists, die Motivationen, Sorgen, Ängste und Einstellungen analysieren.

Alter und Geschlecht der Anzusprechenden spielten noch immer eine Rolle, da diese Eigenschaften Einfluss auf das Wertesystem haben. „Entscheidend ist aber die Lebenshaltung, die stark von persönlichen Eindrücken beeinflusst wird“, unterstrich Schiwek. Er sei sich sicher, dass sich die Zielgruppen auch künftig noch weiter fragmentieren werden.

Keineswegs zielgruppenkonform tritt Günther Krabbenhöft auf. Als Speaker, Writer, Model und Host sorgt der Mit-Siebziger mit 150.000 Instagram-Followern für ungewöhnliche Auftritte, gerne auch mal beim Abtanzen im Berliner Techno-Club Berghain. Ebenso unkonventionell ist seine Lebenseinstellung, über die er bei den Medientage sprach:

 

Mich erreicht man nicht mit klassischer Ansprache für Treppenlift oder Gelenkcreme, also über die reine Altersschiene.

Günther Krabbenhöft

 

Günther Krabbenhöft weiter: „Auch ältere Menschen haben vielfältige Bedürfnisse, und auch ich bin Teil bestimmter Gruppen, die sich für das Heute und Jetzt interessieren und begierig darauf sind, neue Dinge zu begreifen.“ Der vielseitige Berliner gab zu, dass sich seine Interessen nicht immer mit denen anderer Menschen seiner Altersklasse decken. Aber auch innerhalb der älteren Generationen gebe es verschiedene Milieus, Lebensumstände und Wertvorstellungen – und häufig auch Gemeinsamkeiten mit Jüngeren.

Krabbenhöfts Rat: „Setzt euch gedanklich nicht zur Ruhe, der Austausch mit Menschen wirkt wie ein Akku. Bewegt euch raus aus eurer Blase, lasst andere Ansichten und mehr Vielfalt zu.“

 


Die Video-Aufzeichnungen vieler Sessions der 35. MEDIENTAGE MÜNCHEN sind noch bis Ende November on Demand verfügbar.

 

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Außerdem stehen die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit. Dort sind auch Interviews mit Susanne Aigner, Miranda Holt und Fabian Tobias rund um das Thema Diversity zu finden.

Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München. Ausgabe 54 befasst sich mit "Zielgruppen im Wandel".

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